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Bitterer Beigeschmack

Das Beispiel Kakao zeigt einmal mehr: Agrarrohstoffe sind eine unberechenbare Größe für die Süßwarenindustrie. Der Preisdruck im Handel verschlimmert die Lage. Um die Wertschöpfung zu erhöhen, testet die Branche bereits Alternativen zum Lebensmittelhandel.

Michael Holtz
Michael Holtz, Geschäftsführer Unternehmensberatung Sales In Time
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Von Jens Kemle

Wenn die Schokolade die Königin unter den Süßwaren ist, dann ist der Kakao die Diva unter den Zutaten. Der Theobroma cacao (lat.: Kakaobaum) mag es weder zu heiß noch zu kalt, nicht zu feucht, aber auch nicht zu trocken. Ist das Klima nicht wohltemperiert, verfaulen die Kakaobohnen. Das bereitet längst nicht mehr nur den Kakaobauern Kopfzerbrechen. Die Fieberkurve lässt sich jeden Tag an den Handelsplätzen für Kakao in New York und London ablesen.

Kakaopreis auf Zweijahreshoch

Zwischen 2000 und 2010 schwankte der Preis nach Angaben der International Cocoa Organization zwischen 774 und 3.700 Dollar pro Tonne Rohkakao. Neben dem Wetter spielen Krankheitsbefall, das Konsumverhalten, aber auch die Lagerbestände, die politische Stabilität in den Anbauländern und Spekulationen eine Rolle. „Ende 2013 lag der Preis mit 2.825 Dollar wegen einer erwarteten Verknappung des Angebots von Rohkakao auf einem Zweijahreshoch“, sagt Friedel Hütz-Adams vom Südwind Institut. Seit Juni 2013 sei der Preis um fast ein Viertel nach oben gegangen, so der Kakaoexperte weiter.Neben langfristigen Schwankungen sorgen vor allem die kurzfristigen für Probleme: „Wenn man Pech hat, kann man innerhalb von wenigen Minuten ein paar hunderttausend Euro verlieren“, erzählt Hans-Joachim Brand, Strategischer Einkaufsleiter von Ritter Sport. „Der Rohstoffeinkauf ist aufgrund der höheren Volatilität komplexer und damit auch schwieriger geworden“, sagt er. Vor allem Mittelständler sind oft nicht so finanzkräftig wie Konzerne und können eine anhaltende Hausse nicht auf Dauer durchhalten. Die Situation, dass die wesentlichen Rohstoffe zur gleichen Zeit teuer sind, ist zudem neu.Der Job von Brand gleicht einem Pokerspiel: Über Terminkon-trakte an der Börse kann er schon jetzt Kakao kaufen, der erst in zwei Jahren geerntet wird. Geht die Strategie der Einkäufer nicht auf, bringen sie im schlimmsten Fall die ganze Firma in die Bredouille. Steigende Rohstoffkosten können die gesamte Preiskalkulation zerschießen: Wo zuvor eine bestimmte Marge eingeplant war, bleibt weniger hängen – im schlimmsten Fall können die Einnahmen die Unkosten sogar nicht mehr decken.

Entlastung durch Eigenanbau

Um sich von den schwankenden Kakaopreisen unabhängiger zu machen, baut das Unternehmen aus Waldenbuch bei Stuttgart seit zwei Jahren in Nicaragua eine eigene Kakaoplantage auf. Bei den 1.300 Hektar Anbaufläche handelt es sich um eine der größten Plantagen der Welt. Ab 2016 werden die Bäume das erste Mal Früchte tragen – Ritter Sport plant, damit langfristig rund ein Drittel seines Kakaobedarfs zu decken. Die Zielvorgabe lautet, auf Dauer sogar für die gesamte Produktion ökologisch und nachhaltig angebauten Kakao einzusetzen.
Der Kostenanteil für Rohkakao an einer handelsüblichen Tafel Vollmilchschokolade zum Ladenpreis von 69 Cent beträgt etwa sechs Cent. Das hört sich zunächst wenig an. „Dieser Kostenanteil schwankt jedoch schnell mal um ein bis zwei Cent“, sagt ein Branchenkenner gegenüber der RUNDSCHAU. Bei der Vergabe von Aufträgen durch den Handel entscheiden oft Centbeträge – der Spielraum ist minimal. Hinzu kommt, dass Vollmilchschokolade einen relativ geringen Kakaoanteil aufweist. Für Hersteller von Pralinen, die aus bis zu 70 Prozent Kakao bestehen, kann schnell eine existenzbedrohende La-ge entstehen, wenn sie Listungen verlieren. Der brutale Preiskampf im Handel macht den Produzenten das Leben auch so schon schwer genug. „In den letzten 50 Jahren sind die Preise in Deutschland um mehr als 300 Prozent gestiegen – der Preis für eine Tafel Schokolade hätte damit von unter einer D-Mark auf vier D-Mark steigen müssen“, sagt Kakaoexperte Friedel Hütz-Adams. Stattdessen wurden die Preise künstlich niedrig gehalten und die Konsumenten über Jahrzehnte daran gewöhnt, dass Schokolade billig ist. Die Einführung des Euro hat die Preisschwelle durchbrochen – von einer D-Mark auf 1,99 Euro. Die Überschreitung des Euro-Preises gilt seither als Tabu.  

Lindt: Erfolg im Premiumsegment

Die Produzenten reagieren auf diese Verkrustung durch hochwertigere Produkte und neue Verpackungskonzepte, die eine Vergleichbarkeit erschweren. Schokoladen mit edlen Ingredenzien wie Arriba-Kakao aus Ecuador oder Trinitario-Kakao, der nur fünf Prozent der weltweiten Produktion ausmacht, verzeichneten zuletzt einen deutlichen Aufwärtstrend. Bestes Beispiel für den Erfolg von Premiumschokolade ist Branchenprimus Lindt. „Dank des Bekenntnisses zu Premiumprodukten“, teilte das Unternehmen kürzlich bei der Vorlage seiner Geschäftszahlen für 2013 mit, konnten die Schweizer ihren Umsatz um acht Prozent steigern. Im Premiumsegment, so wird in der Branche geraunt, soll der Zuwachs sogar im deutlich zweistelligen Bereich liegen. Mit einer Diva kann man also Geld verdienen – die gleichnamige Pralinenrange hat eine Preisspanne von 4,90 bis 15,90 Euro. Die österreichische Schokoladen-Manufaktur Zotter verkauft eine Packung mit 24 Bio-Pralinen und zwei Tafeln Edel-Schokolade gar für 26,80 Euro.

Restriktive Preispolitik bleibt

„Das Premiumsegment gewinnt an Bedeutung, und ich gehe fest davon aus, dass es deutlich wächst“, sagt Unternehmensberater Michael Holtz. „Hochwertige Produkte sind eine Möglichkeit, im Schokoladensegment noch Wertschöpfung zu erzielen.“ Holtz war jahrelang in der Schokoladenindustrie tätig und kennt die Befindlichkeiten: „Vor Preiserhöhungen bei Massenware haben viele Hersteller Angst, weil sie die Verbraucher nicht verschrecken wollen.“ 
Trotz der restriktiven Preispolitik geht es der Branche noch vergleichsweise gut. Im vergangenen Jahr konnten die Hersteller nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) die Produktion mengenmäßig um rund vier Prozent steigern. Der Umsatz legte 2013 um drei Prozent zu. 

Marken-Stores sollen Image bringen

Marktforscher sehen allerdings erste Anzeichen dafür, dass dieser positive Trend nicht ewig anhält. Die Experten beobachten, dass die Kaufkraft in Deutschland zwar weiterhin gut ist, die Kaufakte pro Konsument aber sinken. Wenn die Verbraucher weniger für ihren Einkauf ausgeben, gehen vor allem die Impulskäufe zurück. Gerade die sind es aber, die für die Süßwarenindustrie essenziell sind. 
Angesichts der Herausforderungen muss sich die Branche etwas einfallen lassen, um auch langfristig überleben zu können. Ein Ausweg: Marken-Stores an Hochfrequenzstandorten. So betreibt der Nougathersteller Viba bereits 40 eigene Shops – die meisten davon in Thüringen. Man wolle sich langfristig vom Lebensmittelhandel unabhängiger machen, heißt es bei Viba. Für die weitere Expansion blickt das Unternehmen insbesondere in die neuen Bundesländer, wo die Markenbekanntheit derzeit noch hinterhinkt.  

Kein Auffangbecken


Milka hat solche Ambitionen nicht. Der Mutterkonzern Mondelez sieht seine ­Schokolade in der lila Verpackung als Mainstream-Produkt – dieses müsse auch überall erhältlich sein, heißt es. Unternehmensberater Holtz bezweifelt, dass Stores den Absatz des Handels komplett auffangen können. Nichtsdestotrotz experimentiert mittlerweile jeder ­größere Hersteller mit alternativen Verkaufs- und Vermarktungskonzepten.

Handel droht Markenherstellern 

Neben der Inszenierung der eigenen Marke können die Hersteller durch solche Shop-Lösungen ihr komplettes Sortiment präsentieren und nicht nur einen Bruchteil. Bei der Einführung von Neuheiten lässt sich das Kundenverhalten genau analysieren, die Erkenntnisse können anschließend in die Entwicklung neuer Produkte einfließen. Und: Preislich können die Player so unabhängiger agieren.

Dem Handel schmecken diese Ideen gar nicht. Ein Insider berichtet, dass der Handel verstimmt sei und einigen Markenproduzenten indirekt sogar mit Auslistung gedroht habe. Der Schokoladenhersteller Gubor, der in Baden-Württemberg drei Cafés samt Shop betreibt, sieht sich selbst keineswegs als Konkurrenz. „Wenn wir unsere Marke bekannter machen, profitiert auch der Handel davon“, sagt Claus Cersovsky, Geschäftsführer von Gubor.

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