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ForscherAuftritt David Bosshart: Freundlichkeit als Rettung

Vom demografischen Wandel bis zum Einsatz von KI: Etliche Faktoren prägen den LEH der Zukunft. Beim Thema Kundenbindung bleibt für Trendforscher David Bosshart emotionale Intelligenz das wichtigste Tool.

David Bosshart, Trendforscher, Executive Advisor, langjähriger Direktor Gottlieb Duttweiler Institute. Foto: GDI, Sandra Blaser
Von Sibylle Menzel | Fotos: GDI, Sandra Blaser

Aktuell sehen wir viele Handelskonzepte: Wie ist Ihre Prognose speziell für Großflächen? 
Interessant ist, dass man die Großflächen im LEH regelmäßig für tot erklärt hat. Als Vergleich: Im Nonfood ist klar – Online schreitet voran, KI treibt zusätzlich. Man muss mit neuen Formaten experimentieren, insbesondere mit kleinerem und fokussiertem Sortiment, um im Omnichannel-Betrieb Erfolg zu haben. Bei Lebensmitteln können Großflächen etwa als Marktplätze mit Gastroangeboten in urbanen Räumen Sinn haben. Nur immer mehr Richtung Premium zu gehen, das ist eine Illusion. Es gilt: location, location, location. Wenn ich über entsprechende Standorte mit entsprechender Klientel verfüge, Inspiration biete, die Frequenz und Umsatz bringen, die Bedürfnisse der Jüngeren berücksichtige, mögen Großflächen überleben. Herausfordernd scheinen mir die Folgen von Demografie, von Zeitstress trotz mehr Freizeit und von tendenziell schrumpfenden Haushaltsbudgets für Konsumausgaben. 

Können smarte Märkte den üblichen Supermarkt verdrängen? 
Es gibt eine gewisse Annäherung der Formate. Ich gehe davon aus, dass derjenige, der Smart und Convenience richtig definieren kann – Bequemlichkeit, Schnelligkeit, Verfügbarkeit, Attraktivität –, in den nächsten Jahren zulegt. Also durch weiterentwickelte Nahversorgerqualitäten, gegebenenfalls mit beschränkter Lieferung mit eng definiertem Radius. Convenience-Läden haben über die Jahrzehnte immer mehr Kompetenzen integriert; weitere Dienstleistungen bis in die Basics der Gesundheitsversorgung sind denkbar und sinnvoll. Aber das braucht Personal. 
Kleinflächen haben den großen Vorteil, dass sie mit einem kleinen Team in gleicher Zusammensetzung von Mitarbeitern auskommen, da persönlich die Kundschaft bedienen kann. Das ist gut für Vertrauen und Kundenbindung. Studien legen nahe, dass sich Shopper heute immer mehr persönlichen Kontakt und Beratung wünschen ...  

Die Frage ist, was Beratung heißt, und wie Wertschätzung entsteht. Da Kommunikation und Interaktion mit Kunden immer mehr etwa über Apps 
stattfinden, wird die kleinste persönliche Begegnung prägender, häufig auch wertvoller. Es genügen kleine Gesten, ein Tipp, eine freundliche Begrüßung: „kleine Akte der Freundlichkeit“. Man nennt das „familiäre Fremde“. Auch wenn ich die Person nicht kenne, empfinden wir Empathie, weil wir uns regelmäßig an der Fleischtheke treffen und uns kurz austauschen. Das kann den Tag retten – bei jungen Menschen genauso wie bei alten. Denn Einsamkeit ist der Megatrend unserer Zeit.   

Wie beurteilen Sie demnach die voranschreitende Produkt-Personalisierung als Instrument zur Kundenbindung – Stichwort Hyperpersonalisierung?
Die Entwicklungen in der Vernetzung gehen immer weiter und werden mächtiger – das kann man nicht stoppen. Generell gilt: Mit KI wird jede Form von Werbung mehr Spaß und mehr Grenzüberschreitung mit sich bringen. Der Fortschritt bei Bildern wird schneller vorangehen als bei Texten. Wir leben also immer mehr auch in einer simulierten Welt. Hyperpersonalisierung gewinnt dann, wenn sie vom Kunden als Mehrwert erlebt wird und nicht einfach als Einweg-Bedrängung oder gar Belästigung im Kampf um Aufmerksamkeit. Der Einsatz verlangt somit wirklich „Intelligenz“, auch auf emotionaler Ebene, und sollte fokussiert und sympathisch daherkommen. 

Was können die Händler daraus für Schlüsse ziehen und wie können sie entsprechend handeln?
Der Händler – nicht die Industrie – sollte unbedingt die Hoheit über seine Aktivitäten behalten und die Instrumente als Dialog mit seinen Kunden verstehen, nicht einfach als Verkaufsförderung.


David Bosshart

ist als Trend- und Handelsforscher weltweit tätig. Er wechselt sich hier mit Martin Fassnacht, Stefan Grünewald und Florian Klaus ab. www.davidbosshart.com

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