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ForscherAuftritt Martin Fassnacht: Der Handel hat Preishoheit

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will gegen Billigfleisch vorgehen. Agrarökonom Achim Spiller sagt, der Handel habe den Kunden preisorientiert erzogen (RUNDSCHAU 08/20). Martin Fassnacht ist anderer Ansicht.

Martin Fassnacht, Ökonom an der WHU Otto Beisheim School of Management.
Von Martina Kausch | Fotos: RUNDSCHAU/ privat

Ist der Vorwurf richtig, dass der LEH die Preise für Fleisch verdorben hat, indem er es zu billig verkauft?

Nein. Der Handel kann die Preise setzen, wie er möchte. Es gibt grundsätzlich eine Preishoheit des Handels, und ich sehe nicht, dass in diese Preishoheit von Seiten der Politik eingegriffen werden soll. Der Handel setzt Preise, um Verbraucher von Angeboten zu überzeugen. Es gab in der Vergangenheit ja bereits Versuche, die Preise für beispielsweise Bio-Fleisch und andere Bio-Produkte hochzusetzen, das hat nicht funktioniert.

Warum nicht?

In Deutschland gibt es ein Riesen-Gap zwischen Intention und Behavior, also eine große Lücke zwischen Absichtserklärung und Verhalten. Konsumenten sagen oftmals, sie achten auf Nachhaltigkeit, sie sagen, sie sind bereit, mehr zu zahlen – in der Realität tun es aber die meisten einfach nicht. Die Masse der Verbraucher handelt hier nicht so, wie sie sagt. Ich sehe nicht, dass in Deutschland die Masse der Konsumenten bereit ist, für nachhaltig produzierte Lebensmittel deutlich mehr zu bezahlen. Nachhaltigkeit ist eine „nice to have“-Eigenschaft von Produkten, sie spiegelt sich aber nicht in einer höheren Zahlungsbereitschaft wider.

Sind Sie also der Meinung, Billigfleisch hat Zukunft?

Natürlich soll nicht unter Einstandskosten verkauft werden. Laut einer Kalkulation von Greenpeace, die auch Folgenabschätzung beinhaltet, müsste Fleisch teurer sein, das mag nach dieser Rechnung stimmen. Der Handel reagiert ja auch bereits, bringt mehr Fleisch aus den Haltungsstufen drei und vier in die Regale, bei Milchprodukten gibt es zunehmend Bio-Produkte. Aber: Wir können den Handel nicht dafür verantwortlich machen, wie Verbraucher entscheiden. Es gibt eine Wahlfreiheit der Verbraucher.

Aber es gibt auch Steuerungsinstrumente wie beispielweise die Mehrwertsteuersätze.

Sie spielen auf die Alkopops an, die mit einer zusätzlichen Steuer belegt wurden, damit der Konsum unter jungen Leuten nicht steigt. Bei Fleisch ist die Situation anders als bei Alkohol. Fleisch ist nach wie vor populär und ein Traffic-Treiber im Markt. Da es einen großen Wettbewerb in Deutschland gibt, ist es klar, dass der Handel auf diesen Treiber nicht verzichten kann. Aber der Handel und auch die Discounter arbeiten – relativ gesehen – mehr an Nachhaltigkeitsthemen als vor einigen Jahren.

Ist Nachhaltigkeit nicht ein so wichtiges Ziel, dass der Staat hier mehr steuern sollte?

Grundsätzlich kann der Staat die Rahmenbedingungen so setzen, dass es für Unternehmen attraktiver wird, nachhaltige Produkte anzubieten. Ich bin beim Fleisch kein Freund eines höheren Mehrwertsteuersatzes, da dann viele Verbraucher vom Fleischgenuss stärker ausgeschlossen werden.

Wie kann man Nachhaltigkeit also im Handel fördern?

Nachhaltigkeit hat viel mit sozialen Normen zu tun. Früher hat man Pelz getragen, heute wird das sozial geächtet. Wenn man sich heute beim Autokauf für ein Verbrennerfahrzeug entscheidet, muss man es stärker in seinem Freundeskreis rechtfertigen. Wenn bei Verbrauchern stärker Wert auf soziale Normen gelegt wird, wird der Handel immer mehr Produkte anbieten, die diesen Normen entsprechen. Wir müssen aber realistisch bleiben, denn Nachhaltigkeit ist ein langfristiges Ziel. Signifikante Investitionen in Nachhaltigkeit sind langfristige Investitionen. Für Handelsunternehmen, die gewohnt sind, sich mehrmals am Tag die Umsatzzahlen anzuschauen, ist es schwierig, die Investitionen in Nachhaltigkeit, die sich kurzfristig nicht rechnen, zu rechtfertigen. Das ist eine große Herausforderung für den Handel.

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