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Seafood frisch vom Land

Fisch ist zunehmend gefragt. 14,2 Prozent mehr Fisch und Meeresfrüchte kauften private Haushalte 2020. Gute Aussichten für Firmen, die Garnelen und Co. in ländlichen Regionen züchten. Die RUNDSCHAU war vor Ort.

Barsche in einer Seawater Cube-Anlage, die überall aufgebaut werden kann. Foto: Seawater Cube
Von Martina Kausch | Fotos: Helge Kirchberger Photography

Erfolgsgeschichte mit Romanqualität

So stellt man sich in einem Roman zum Thema Start-ups die Entstehung einer Geschäftsidee vor. Ein junger Jurist besucht 2012 einen Bekannten in dessen Münchner Wohnung und stellt staunend fest, dass der in Wannen Krebse hält und vermehrt. Es folgt ein Gespräch darüber, dass man Fische an Land züchten kann. Der Jurist, der gerade seine Doktorarbeit abgeschlossen und eigentlich den Plan hat, seine Zulassung bei der Anwaltskammer zu beantragen, liest sich in das Thema ein und findet, dass Aquakultur die am schnellsten wachsende Branche innerhalb der Lebensmittelindustrie ist. 2016 verkauft er die ersten Garnelen, und heute, 2022 und zehn Jahre nach der Begegnung mit den Krebsen in der Großstadtwohnung, ist Dr. Fabian Riedel Geschäftsführer von Crusta Nova und hat nach eigenen Angaben 2016 die größte landbasierte Salzwassergarnelen produktion Europas gebaut. Es ist keine erfundene Geschichte: Standort der Zuchtanlage ist Langenpreising im Nordosten von München, Geschäftssitz die Münchener Leopoldstraße.

Der „End of Fish Day“ rückt näher

Fabian Riedel denkt groß und mit Blick auf Marktchancen. Denn fraglos steigt der Bedarf an Fisch und Krustentieren (als Proteinquelle) bei gleichzeitiger Gefahr der Überfischung der Meere weltweit. Dazu kommt die Frage, was die ausgedehnten Aquakulturen mit den Ökosystemen machen: Denn auch diese Zuchtanlagen liegen größtenteils in Meeren und haben Einfluss auf die natürlichen Systeme. Ökologen und Entwicklungsorganisationen wie der Bremer Verein „Fair Oceans“ und das Netzwerks „Slow Food Deutschland“ schlagen Alarm und rufen den „End of Fish Day“ aus. Der markiert das Datum im Jahr, an dem statistisch in Deutschland alle unter deutscher Flagge gefangenen und gezüchteten Fische verbraucht wurden. Der End of Fisch Day war in diesem Jahr am 11. März, schon wieder eine Woche früher als 2021. In Deutschland steigt der Fischverbrauch. Laut Fischwirtschaft, dem Magazin des Fischinformationszentrums der deutschen Fischwirtschaft, hat das durch Corona veränderte Verbraucherverhalten zu einem Nachfragezuwachs im LEH geführt. Nach Angaben des Marktforschungsinstituts GfK stiegen die Einkäufe privater Haushalte von Fisch und Meeresfrüchten im Jahr 2020 um 56.753 Tonnen auf 457.630 Tonnen, was einem Zuwachs von 14,2 Prozent entspricht. Auch die Ausgaben für Fisch und Meeresfrüchte sind demnach auf ein neues Rekordhoch gestiegen: Die Haushalte in Deutschland gaben im Jahr 2020 rund 0,7 Milliarden Euro mehr aus, das ergibt Gesamtausgaben von 4,7 Milliarden Euro, ein Zuwachs von 16,4 Prozent.

Discounter mit der Nase vorn

Und wo kauft der deutsche Konsument den Fisch? Das Fisch-Informationszentrum (FIZ) ist eine Einrichtung der deutschen Fischwirtschaft und veröffentlicht den Branchendienst „Fischwirtschaft“. Die meisten Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse werden nach dessen Zahlen bei den Discountern eingekauft. Ihr Marktanteil beträgt 48 Prozent, gefolgt von den Super- und Verbrauchermärkten mit 40 Prozent. Auf den Fischfachhandel entfallen fünf Prozent. Der Absatz von Frischfisch und aufgetautem Fisch bei den Discountern ist im Jahr 2020 mit einem Marktanteil von 36 Prozent auf dem Niveau des Vorjahres geblieben. Damit liegen die Discounter auch in dieser Kategorie weiterhin vor den Super- und Verbrauchermärkten, die in dieser Kategorie einen Marktanteil von 33 Prozent erzielten.

Vom Teich zu Hightech

Laut Zahlen des FIZ (vorläufige Zahlen für 2021) bleibt Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland das Land, in dem am meisten Fisch- und Fischereierzeugnisse eingekauft werden. Legt man jedoch den Fokus auf den einzelnen Verbraucher im jeweiligen Bundesland, führt im Jahr 2020 erneut Hamburg mit 7,4 Kilogramm pro Person die Rangliste an. Die durchschnittliche Einkaufsmenge pro Person betrug 5,9 Kilogramm, im Vergleich zu 5,2 Kilogramm 2019. Kein Wunder also, dass vielerorts Fisch- und Krustentierzucht als Geschäftsidee entwickelt und realisiert wird. Im Gegensatz zu den traditionellen Teichwirtschaften für Forelle bis Karpfen sind nun geschlossene Systeme mit Hightech an Land im Kommen. „Mithilfe von Technologie Fischproteine an Land zu züchten“, nennt Fabian Riedel sein Geschäftsmodell, und arbeitet an nachhaltigen Aquakulturen, die standortunabhängig weltweit skaliert werden können. Rewe züchtet bereits auf dem Dach eines neuen Green-Building-Supermarkts in Wiesbaden-Erbenheim mithilfe des Partnerunternehmens ECF Farmsystems und Urban Farmers Buntbarsche in aquaponischem Kreislauf. Hier sind die Ausscheidungen der Fische Dünger für Pflanzen, beide gedeihen im System – in Wiesenbaden-Erbenheim besteht die Pflanzenfraktion aus Basilikum, das Rewe an 400 Märkte in Hessen und Rheinland-Pfalz vertreibt. Rund 14.000 Töpfe Basilikum werden in dieser Kräuterquelle pro Woche plastikfrei vor Ort verpackt. ECF spricht von Lebensmittelproduktion mit 90 Prozent weniger Wasserverbrauch gegenüber herkömmlicher Landwirtschaft. 20.000 Buntbarsche werden in Bassins auf rund 230 Quadratmetern gezüchtet und vor Ort verarbeitet. So entsteht pro Monat circa eine Tonne Fischfleisch. Bei 500 Gramm ist die Verkaufsgröße erreicht. Diese Systeme sind eine Möglichkeit, Fisch- und Pflanzenzucht zu verbinden. Derartige Systeme gibt es in Deutschland mittlerweile an verschiedenen Standorten. Sie heißen Hanse Garnelen, Neue Meere, Förde Garnelen oder Die Landgarnele. Aber kann man mit übersichtlichem finanziellen Aufwand nicht selbst Fisch in geschlossenem System produzieren und in der Region vertreiben?

Eine Anlage für (fast) jeden

Szenewechsel nach Saarbrücken. Man muss ein wenig durch unwirtliches Gelände an den Stadtrand fahren, um in einem alten Industriegelände in Burbach am backsteinernen Gebäude das Schild „Seaater Cube“ zu entdecken – und gleich auf eine Erfolgsgeschichte aufmerksam zu werden. Eine alte Wagenrichthalle der Bahn bietet auf 40 Hektar Fläche auch Start-ups Entwicklungsmöglichkeiten. Unter ihnen das Team um die Gründer und Geschäftsführer Carolin Ackermann und Christian Steinbach. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden fünf Jahren bis zu 120 Meeresfischzuchtanlagen zu vertreiben und damit bei den Arten Wolfsbarsch und Dorade einen Marktanteil von zehn Prozent zu erreichen. Die ersten Anlagen haben eine übersichtliche Größe, sodass sie mit übersichtlichem Investitionsbedarf angeschafft werden können. Bereits seit die erste (Pilot-)Anlage in Betrieb ist, wird Wolfsbarsch produziert und in der Region vertrieben ‒ roh und sogar geräuchert und weiterverarbeitet.  Schon entstehen die nächsten Unternehmen, die explizit für die Region Seafood produzieren wollen. Beispielsweise die Firma Aixponic. Das Ziel? Seespargel und Algen kultivieren, „lokal und in bester Qualität, Protein- und Vitamin-B12- Superfood“, so die Homepage. Und – in Aachen – Kaiser-Barsch.

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