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Risiko Preissenkung

Pricing-Experte Martin Fassnacht zeigt im RUNDSCHAU-Interview, wie sich Aktionen und Preiserhöhungen auf den Gewinn auswirken und fordert professionellere Strategien.

 

Pricing-Experte Prof. Dr. Martin Fassnacht im RUNDSCHAU-Interview mit Martina Kausch. Foto: Stephan Pick
Von Martina Kausch | Fotos: Stephan Pick

Angesichts der Steigerung der Lebensmittelpreise im Durchschnitt von über zwölf Prozent und einer Inflationsrate von knapp sechs Prozent im Jahr 2023 reagierten Konsumenten mit Sparsamkeit und Freude an Aktionsware. Andererseits verlangen sie zunehmend regionale Produkte und möchten nicht, dass das Thema Nachhaltigkeit völlig ins Hintertreffen gerät. Für den Handel bedeutet das: Das Gewinnpotenzial unbedingt im Auge behalten – am besten durch eine Preisgestaltung, die so professionell wie möglich ist. Denn hier ist die Chance, den Gewinn zu erhöhen, am größten – wenn der Kunde für sich Nutzen im Produkt erkennt.

Niedrigere Absatzmengen verkleinern den Gewinn des Kaufmanns, wenn sich die Konsumenten zurückhalten. Das ist die aktuelle Situation. Wie kann man als Händler den Gewinn erhöhen?
Es gibt nur drei Gewinntreiber: Preis, Absatzmenge und Kosten. Wenn die Absatzmengen sinken, können Unternehmen dies nur ausgleichen, indem sie im Durchschnitt höhere Preise am Markt durchsetzen.

Welcher dieser drei Gewinntreiber ist am ehesten Erfolg versprechend?
Gewinn ist Absatzmenge mal Preis minus Kosten. Studien zeigen, dass der Preis mit Abstand der wichtigste Gewinntreiber ist. Seine Bedeutung ist höher als eine Verbesserung der Fixkosten, der Absatzmengen oder der variablen Kosten. Von diesen Gewinntreibern hat der Preis laut Studien das größte Gewinn-Wirkungspotenzial.

Preiserhöhungen führen bei vielen Konsumenten zu negativen Reaktionen. Viele kaufen dann eher beim Discounter, Preiseinstiegsprodukte oder Angebotsware …
Aktuell ist ein professionelles Preismanagement wichtiger denn je, und zwar für Hersteller und Händler.

Nennen Sie bitte Beispiele, wie sich Preisänderungen konkret auf den Deckungsbeitrag und auf den Gewinn auswirken.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen. Zuerst müssen die Unternehmen die Höhe des Deckungsbeitrags auf Produktebene feststellen. Gehen wir aus von einer 500-Gramm-Packung Spaghetti mit einem Deckungsbeitrag von 25 Prozent und einem Verkaufspreis im Handel von 1,59 Euro. Senkt der Handel jetzt den Preis um zehn Prozent von 1,59 Euro auf 1,43 Euro, muss die verkaufte Menge um 66,7 Prozent – also um zwei Drittel, machen wir uns das klar! – erhöht werden, um den gleichen Gesamtdeckungsbeitrag für dieses Produkt zu erzielen.

Geht man vom umgekehrten Fall einer Preiserhöhung von zehn Prozent aus, sodass die Packung Spaghetti statt 1,59 Euro nun 1,75 Euro
kosten würde, kann die verkaufte Menge um rund 28,6 Prozent zurückgehen, und man erhält dennoch den gleichen Gesamtdeckungsbeitrag für dieses Produkt.


"Aktuell muss man die Cross-Selling-Effekte bei viel Promotionware kritischer hinterfragen."

Martin Fassnacht


Wie ist Ihre Meinung zu Cross-Selling?
Wir müssen uns diese Größenordnung immer wieder verdeutlichen, auch weil wir in Märkten mit sinkenden Absatzmengen unterwegs sind. Die oft unterstellten Cross-Selling-Effekte auf andere Produkte, wenn man einzelne Produkte stark auf Promotion setzt, sind kritischer als in der Vergangenheit zu hinterfragen. Verbraucher sind noch preissensibler geworden. Relativ gesehen kaufen sie weniger Produkte auf Normalpreisniveau als in der Vergangenheit.

 

Muss man das Kaufverhalten der Kunden also noch genauer beobachten?
Ja, es ist sehr wichtig zu wissen, wie preissensitiv Kunden im Hinblick auf verschiedene Warengruppen und Produkte sind. Bei nicht so preissensitiven Produkten kann es für Handelsunternehmen sehr viel Sinn machen, Preise zu erhöhen, auch wenn die Absatzmenge zurückgeht, da man, wie im Beispiel eben dargestellt, relativ viel Menge verlieren und dennoch den Gesamtdeckungsbeitrag für das Produkt konstant halten kann. In dem erwähnten Spaghetti-Beispiel waren das knapp 29 Prozent.


"Handelsunternehmen müssen intern ihre Silos überwinden und kategorien-übergreifend Bundles anbieten. Hier liegt Gewinnerhöhungspotenzial."

Martin Fassnacht


Sie vermissen im LEH immer wieder das Bundling. Warum? Und warum wird es Ihrer Ansicht nach so selten angewendet? Welche Gelegenheiten bieten sich an?
Viele Manager in Handelsunternehmen sind auf einzelne Warengruppen und -kategorien fokussiert. Dieses interne Zieldenken führt dazu, dass wenig kategorienübergreifende Bundles angeboten werden. Ich verstehe nicht ganz, warum zum Beispiel zu Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten bestimmte Warengruppen nicht in Bündeln angeboten werden. Bei solchen Anlässen liegt im Bundling ein großes Gewinnerhöhungspotenzial. Bei Bundles kann eine niedrige Zahlungsbereitschaft für ein Produkt durch eine höhere Zahlungsbereitschaft bei einem anderen Produkt oder sogar mehreren Produkten ausgeglichen werden. Handelsunternehmen müssen hier intern ihre Silos überwinden.

Nennen Sie uns ein Beispiel.
Einer meiner Lieblingsbäcker verkauft sieben verschiedene Backwaren als „Wochenend-Tüte“ für 7,20 Euro. Er erleichtert damit den Kunden die Kaufentscheidung. Verschieden hohe Zahlungsbereitschaften zwischen diesen sieben Produkten können entsprechend durch das Bundling abgeschöpft werden. Dazu kommen logistische Vorteile: Die Tüten können etwa von Mitarbeitern vorbereitet werden, das bedeutet weniger Stress in der Hauptverkaufszeit und bessere Planbarkeit beim Backen der Semmelsorten. Denken Sie auch an das uns allen bekannte Beispiel der Happy Meals von McDonald’s.

Sie zitieren gern George Tackes Satz: „How you charge is often much more important than how much you charge“ – die Strategie der Preisgestaltung ist wichtiger als der Preis selbst. Was ist unter Strategie der Preisgestaltung zu verstehen?
In der täglichen Praxis fokussiert man sich in Unternehmen gerne auf die Preisentscheidung — also auf den konkreten Preis. Aber der Preis ist eine umfassende Managementaufgabe und mit vier Phasen zu unterscheiden: Strategie, Analyse, Entscheidung und Umsetzung. Alle vier Phasen sind aufeinander abzustimmen. Die Geschäfte eines Discounters müssen folglich nicht so schön aussehen wie die eines Supermarktes. Hier gibt es klare Grenzen zwischen Discountern und Supermärkten. Ein sehr wichtiger Aspekt im Preismanagement ist der Kundennutzen, der Value to Customer. Wenn der Konsument vom Nutzen eines Produktes überzeugt ist, steigt die Zahlungsbereitschaft, er ist bereit, mehr Geld auszugeben.

Der Preis, den man erzielen kann, hängt also davon ab, ob der Kunde das Produkt für sich als wertvoll einschätzt? Wann geht es in die Richtung eines emotionalen „Will haben“?
Kunden kaufen Produkte, weil sie Kundennutzen stiften und damit Bedürfnisse befriedigen. Es gibt insgesamt vier Arten von Kundennutzen: Zum funktionalen Nutzen gehören beispielsweise die technischen Produktmerkmale. Der emotionale Nutzen betrifft Geschmack und Design des Produkts und die Frage, welche Gefühle das Produkt bei Kunden auslöst. Die Basis, auf der Konsumenten Produkte kaufen, stellt — unabhängig von der Preislage — der funktionale Nutzen dar. Starke Marken zeichnen sich durch einen hohen emotionalen Nutzen aus. Wir müssen hier ehrlich sein, viele Handelsmarken sind im strengen Sinne keine Marken, da ihnen oft der emotionale Nutzen — ein sehr entscheidender Nutzen für Marken — fehlt.

Das heißt? Was geschieht am Anfang, in der Strategiephase?
In der Strategiephase haben Hersteller wie Händler zu entscheiden, wie sie sich im Markt positionieren. Auf der Unternehmens- wie auf der Marktebene gibt es drei wichtige Positionierungen: Man kann Unternehmen/Marken als Discount-Marken positionieren, eine zweite Möglichkeit besteht darin, Unternehmen/Marken als Mittelpreis-Player zu positionieren und die dritte wesentliche Möglichkeit besteht darin, Unternehmen/Marken als Premiumanbieter im Markt zu verorten. Also können Unternehmen/Marken sich in der Niedrigpreislage, in der Mittelpreislage oder in der Premiumpreislage ansiedeln.

Hersteller mit mehreren Marken können ihre Marken in allen drei Preislagen positionieren, Händler mit einer Handels-Dachmarke wiederum müssen sich auf eine Preislage fokussieren. Konkret: Aldi ist als Discounter positioniert, Rewe und Edeka in der Mittelpreislage. Im Durchschnitt müssen alle ihre Sortimente und die damit zusammenhängenden Produkte entsprechend der Preislage positioniert sein. Folglich kann Aldi nicht den Fokus auf Mittelpreismarken setzen und im Vergleich zum Discounter müssen Rewe und Edeka mehr Marken in der Mittelpreislage haben und relativ weniger Niedrigpreismarken als Discounter. Die gewählte Preislage entscheidet: Discounter müssen Discounter bleiben, und Supermärkte müssen wie Supermärkte agieren.

Und weitere Arten des Kundennutzens?
Es gibt den symbolischen Nutzen. Beim symbolischen Nutzen geht es um die Wirkung nach außen. Themen wie soziale Anerkennung und Ausdruck des Ichs stehen im Vordergrund: Möchte sich der Konsument zum Beispiel durch den Kauf eines Produktes einer sozialen Gruppe zugehörig fühlen? Und dann gibt es als viertes den sozialen und ethischen Nutzen. Hier spielen dann Nachhaltigkeit und Moral eine Rolle für den Erwerb eines Produkts.

Also würde ein Kunde sechs Euro für ein Stück französischer Bio-Butter ausgeben?
Wenn Kunden dies so wahrnehmen können, sind sie bereit, für ein Stück französischer Bio-Butter erheblich mehr zu bezahlen als für eine „klassische“ Butter. Aber dies trifft nur für eine Minderheit von Verbrauchern zu. Dies gilt insbesondere in dem aktuell sehr herausfordernden makroökonomischen Umfeld. Wir dürfen nicht vergessen: Wir hatten im Jahr 2023 im Durchschnitt eine Steigerung der Lebensmittelpreise um über zwölf Prozent und eine Inflationsrate von knapp sechs Prozent.

Ein Tipp von Ihnen lautet: „Steigern Sie Ihre Gewinne durch Nachhaltigkeit, indem Sie Konsumenten starke Mehrwerte bieten, die die Zahlungsbereitschaft erhöhen.“ Wie funktioniert das?
Die Hersteller und der Handel haben im Preismanagementprozess alle vier Arten des Kundennutzens zu beachten. Bei dem Aspekt der Nachhaltigkeit, also dem sozial-ethischen Nutzen, müssen beide Parteien — Hersteller und Händler — verstehen, dass Kunden typischerweise nie Produkte kaufen, weil sie ausschließlich einen hohen sozial-ethischen Nutzen haben, also sehr nachhaltig sind. Beide Parteien erreichen eine höhere Anzahl an Verbrauchern, wenn sie neben dem sozialethischen auch einen emotionalen Nutzen liefern. Also, dass das nachhaltige Produkt auch positive Assoziationen wie beispielsweise Spaß bei Verbrauchern hervorruft.

Das gilt auch beim Thema Nachhaltigkeit?
Ja. Ein Beispiel: Kunden kaufen einen Tesla nicht nur, weil er einen hohen sozial-ethischen Kundennutzen hat, sondern weil er auch Spaß bereitet – also emotionalen Nutzen hat und sich die Kunden einer besonderen Gruppe zugehörig fühlen, also den symbolischen Nutzen spüren. In Kurzform festgehalten heißt das: Selbst nachhaltige Produkte müssen Verbrauchern Spaß machen, damit eine entsprechend hohe Zahlungsbereitschaft bei relativ vielen Verbrauchern vorliegt.


INFO

In Kürze zum Gewinn

Der Preis hat mit Abstand das größte Gewinn-Wirkungspotenzial. Seine Bedeutung ist höher als eine Verbesserung der Fixkosten, der Absatzmengen oder der variablen Kosten.

Sinkt bei einem Produkt mit einem Deckungsbeitrag von 25 Prozent und einem Verkaufspreis von 1,59 Euro der Preis um zehn Prozent auf 1,43 Euro, muss die verkaufte Menge um 66,7 Prozent – also um zwei Drittel – erhöht werden, um den gleichen Gesamtdeckungsbeitrag zu erreichen.

Bundling erleichtert dem Kunden die Kaufentscheidung. Verschieden hohe Zahlungsbereitschaften für die einzelnen Produkte können durch das Bundling abgeschöpft werden.


ZUR PERSON

Martin Fassnacht

Der Diplomkaufmann ist Inhaber des Lehrstuhls für BWL, insbesondere Marketing und Handel, an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf. Er ist an der WHU auch wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Marktorientierte Unternehmensführung (ZMU).

Fassnacht forscht und lehrt in den Bereichen Price Management, Brand Management sowie Retail Marketing und Omnichannel Business. Neben der wissenschaftlichen Universitätsarbeit ist Fassnacht in vielen Gremien in der Wirtschaft engagiert, unter anderem ist er Vorsitzender des Beirats des Henkel Center for Consumer Goods (HCCG). Für die RUNDSCHAU für den LEH ist Martin Fassnacht Mitglied im Expertenbeirat, der jährlich den BESTSELLER Award vergibt.

 

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