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Edeka Marco Wenzel: Marktshopping mit Wow-Effekt

Das Zusammenspiel von Kaufmann, Handelsunternehmen und Investorin hat in Kassel eine aufsehenerregende Einkaufswelt ermöglicht. Alte Industriearchitektur wird zur neuen Markthalle und belebt das ganze Viertel.

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Von Martina Kausch | Fotos: André Becker

Der Eindruck ist schlicht gewaltig. An wenigen Plätzen in Deutschland würde man solch eine spektakuläre Marktarchitektur erwarten – am wenigsten in der Nordstadt von Kassel. Dass hier neben Wohnungsaltbauten und alten Werksgebäuden aus Backstein nun einer der schönsten Lebensmittel- Einkaufsplätze der Republik entstanden ist, zeigt, was das Miteinander engagierter Menschen vermag. In diesem Fall fruchtete das von Kaufmann Marco Wenzel, der Edeka Hessenring und einer investitionsfreudigen Dame namens Renate Westhoff. Ihr gehört der Ort der Tat, die Immobilie in der Fiedlerstraße 30. Und nun gebührt ihr der Ruhm, dass es diesen Top-Handelsplatz ohne sie in dieser Form nicht geben würde, denn sie investierte einige Millionen – auch aus Verbundenheit zum Viertel und als nachhaltiges Zukunftszeichen für Kassel Nord.

Deckenhöhe: über zwölf Meter

Betritt man den Markt durch einen der beiden Eingänge, bewegt man sich zunächst auf gewohntem Terrain. Aber dann: Wow-Effekt ist untertrieben. Über dem Kunden erhebt sich ein mehr als zwölf Meter hohes Tonnendeckengewölbe, man steht in einer Halle von 50 Metern Länge und 20 Metern Breite und erlebt rund hundertjährige Industriehistorie. Ursprünglich war der Bau eine Produktionshalle für Kühlschränke. Später zog man eine Zwischendecke ein, dann verkaufte Edeka- Vorläufer „Raika Delta“ hier Lebensmittel. 1996 begann die Erfolgsgeschichte. Marco Wenzel übernahm den Markt als frisch gebackener Handelsfachwirt. Er sorgte für immer bessere Zahlen – und pflegte den Kontakt zur Eigentümerin im Büro nebenan. Renate Westhoff feierte ihren 75. Geburtstag vor fünf Jahren noch im alten Markt, und schon das war ein Zeichen für die besondere und langjährige Geschäftsbeziehung. 2017 entwickelten sich Umbaupläne parallel mit Gedanken, wie man das bestehende Gebäude in eine Wohnungs-Neubaumaßnahme drumherum einbinden könnte. Im respektvoll „Westhoff-Tower“ genannten Turm zogen Personal- und Büroräume für das Wenzel-Team ein. Das Highlight aber ist die Markthalle. Die Zwischendecke wurde entfernt, Tonne und Betonsäulen, auf denen das Dach lastet, wurden aufwendig saniert, denn der Stahl im Beton hatte stellenweise Rost angesetzt. Beauftragt wurde hier eine Firma, die normalerweise auf Autobahnbrücken spezialisiert ist, berichtet Architekt Benjamin Reibold. Während der Bauphase hatte Marco Wenzel den Markt in eine leer stehende Halle einige Hausnummern weiter verlegen können. Im Mai 2020 schließlich eröffnete der Markt nach dem Umbau.

Mit Atmosphäre, aber nicht zu edel

Fraglos „lebt“ der Markt nun von diesem besonderen Ambiente, der Großzügigkeit. Im Bistro-Bereich der Vorkassenzone wurde der Versuchung der Kleinteiligkeit widerstanden. Nun ist hier auf 100 Quadratmetern Platz für Café- und Gastro-Genuss. Der Eingangsbereich wirkt auch durch viel Holz einladend. Blumen und ein kleines Gartendeko-Sortiment schaffen einen Hauch Exklusivität. Die Obst- und Gemüseabteilung, betitelt „Marktplatz der Frische“, nimmt den Shopper am Beginn des Kundenlaufs in Empfang und punktet mit drei Etagen Angebot, aber auch viel Platz für Convenience und eine Salatbar. „Die wichtigste Aufgabe war, Atmosphäre zu schaffen, aber nicht zu edel zu werden, um alle Kunden zu bedienen“, sagt Joachim Rosemeier, der für die Firma Wanzl den Ladenbau projektiert hat. „Es soll keinen toten Raum geben und die Einrichtung darf nicht verloren wirken.“ Diese Ziele wurden erreicht. Im gesamten Markt korrespondiert nun der betongraue Boden mit der Betonkuppel; das großzügige Tageslicht, das durch die Dachfenster einfällt, mischt sich mit den Spots der Regale zu einem angenehmen, hellen Eindruck. Bei der Regalgestaltung hat man sinnvollerweise auf die Tonnenarchitektur Rücksicht genommen – immer bleibt der Blick über das anthrazitfarbene Metall nach oben frei. Graue Kuben mit Sortimentsbeschriftung erleichtern die Orientierung, beleuchtete Schriftzüge auf Holzhintergrund weisen auf Gewürze, Babynahrung und Backwaren hin. Sorgsam geometrische Farbgestaltung ist auf die Seitengänge beschränkt, hier hat man sich für einige bunte Wandflächen entschieden.

Kunden und Klientel im Blick

Marco Wenzel kennt nach 24 Jahren vor Ort Kunden und Klientel in der Kasseler Nordstadt – und ihre Wünsche. In das von alter Industrie geprägte Viertel quartierte man die Universität mit ihrem Hauptstandort ein – fertig ist das bis heute bunte Treiben. Mit Blick auf Realitäten führt Marco Wenzel die top gepflegte Salatbar in Bedienung und hat ab 1. September einen muslimischen Metzger eingestellt. Die TK-Ware wird andererseits ausschließlich edel in Schränken angeboten. Das Alkoholsortiment ist neben dem Kassenbereich platziert. Die Frischetheke wurde mit der Neueröffnung um ein Drittel vergrößert, Fleisch bietet Wenzel getrennt nach „Herkunft“ und in der Reihenfolge Fisch – Geflügel – Rind – Schwein an: Dies sind einige Beispiele für die Einfühlsamkeit des Kaufmanns, und die wiederum ist einer der Schlüssel zu seinem Erfolg. Wenzel setzt aber auch auf neues Kundenverhalten, perspektivisch will er im Kassenbereich 50 Prozent des Umsatzes über Self-Checkout kassieren. Drei klassische, drei Self-Scan-Kassen und zwei Bezahlstationen sind aktuell im Einsatz.

Das Rosetten-Logo des Kaufmanns

Angesichts dieser Kombination von Vision und Realitätssinn ist es letztendlich kein Wunder, dass die Edeka Hessenring erlaubte, den Namen des Kaufmanns prominent zu platzieren. Die Halle hat zwei Seitenschiffe und ist damit Kirchenbauten verwandt. Dass das Wenzel-Logo mit Schriftzug an der Kopfseite des Gebäudes fast wie eine Glasfenster-Rosette prangt, ist da nun noch logisch.

 

 

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