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Offensiv in die Zukunft

Seit Jahren prophezeien Experten den Untergang der Großfläche. Real kontert mit einem neuen Konzept. In Essen steht der Prototyp, der auf 9500 Quadratmetern einige Discountgedanken aufgreift.

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Von Franziska Zieglmayer

Gut Ding will bekanntlich Weile haben. 2008 beginnt die Entwicklung des neuen Real-Standorts in Essen. Vier Jahre später ist Baustart. Bombenblindgänger und alte Bunkeranlagen erschweren den Bau und verzögern die Eröffnung. Seit Oktober ist geöffnet. "Als Konzept der Zukunft", beschreibt Metro-Vorstand Carsten Koch die neue Vorzeigefläche von Real. Die punktet vor allem mit viel Raum. Breite Gänge und eine großzügige Gestaltung prägen das Gesamtbild. Die Hauptgänge sollen auch in Zukunft völlig von Sonderplatzierungen freigehalten, stattdessen direkt in die Abteilungen integriert werden. Diese werden durch farbige Trennwände optisch voneinander getrennt. Ins Auge fällt die neue Frische. Die neu gestalteten Bedientheken (rechts) binden Fleisch, Wurst und Käse (rechts) in ein wertiges Bild ein. Das ist  für Real doch eher ungewöhnlich.

Wertiger Auftritt aber billigere Preise

Ins Auge stechen Obst und Gemüse sowie Wein und Spirituosen (großes Foto). Um die Regale optisch zu brechen, arbeiten die Macher hier mit eigenen Regalelementen inklusive Warenkunde (Foto S. 26). Auffallend ist auch das Drogerie-Konzept mit dynamischen Regalen und Präsentationsideen (Foto S. 26). Elemente des neuen Konzepts sollen auf weitere Standorte adaptiert werden. In Sachen Sortimentspolitik will sich Real künftig  breiter aufstellen - auch nach unten. 80.000 Artikel umfasst das Sortiment. Frische, Vielfalt und Regionalität sollen im Vordergrund stehen. Unter dem wertigeren Auftreten versteckt sich auch eine härtere Preispolitik: Die neue Preiseinstiegsmarke, die mit "Ohne Schnickschnack. Ohne teuer" wirbt, steht dafür. Preislich sei diese sogar noch unter Referenzgeber Aldi positioniert, sagt Real-Chef Didier Fleury. Mit dem neuen Markt will der schwächelnde Großflächen-Filialist ein Zeichen gegen alle Skeptiker setzen. Schon bei der Eröffnung waren sich die Real-Macher bewusst: "Künftig werden intern wie extern alle Blicke auf die Fläche gerichtet sein."


 

Herr Fleury, was ist das Besondere an Ihrem neuen Verkaufsflächenkonzept der Zukunft?
Fleury: Von allen Einzelhandelsformaten kann das SB-Warenhaus-Format optimal an die  verschiedenen Bedürfnisse der Kunden im Einzugsgebiet angepasst werden. So konnte auch das neue Marktkonzept in Essen speziell an die Anforderungen der Kunden vor Ort angepasst werden: Neben Frische und Vielfalt stehen besonders regionale Produkte im Vordergrund. Das Sortiment spiegelt die Bedürfnisse der Kunden in Essen-Altendorf optimal wieder. Darüber hinaus wurde die enge Zusammenarbeit mit regionalen Lieferanten intensiviert. Geschmack, Umwelt, Regionalität und Frische sind hier die entscheidenden Argumente. Die neu gestalteten Abteilungen bieten eine warme und einladende Atmosphäre mit einer vielfältigen Produktauswahl in breiten Gängen, interessanten Angeboten. Mit dem neuen Marktkonzept können wir zum einen vor allem saisonale Ereignisse eindrucksvoller als zuvor präsentieren, weil wir dafür speziell im Eingangsbereich viel Platz geschaffen haben. Unsere Kunden werden bei jedem Besuch gleich nach Betreten des Marktes die Veränderungen zum letzten Mal bemerken. Zum anderen haben wir die Anordnung unserer Non-Food-Präsentation vollkommen verändert. Jetzt bieten wir umfassende Sortimente, die die Bedürfnisse des täglichen Lebens unserer Kunden besser adressieren.

Viele Einzelhandelsexperten prognostizieren, dass die großen Verkaufsflächen langfristig vom Markt verschwinden werden. Sie kontern mit einem neuen großflächigen Konzept. Was macht Sie so sicher, dass real,- auch in 20 Jahren noch existieren wird?
Fleury: Auch wenn es in den letzten 20 Jahren immer und immer wieder prognostiziert wurde: Bislang ist noch kein Handelsformat verschwunden. Alle Formate beginnend mit Wochenmarkt bis hin zu den Onlineshops existieren immer noch. Es stellt sich nur jedes Mal auf’s Neue die Frage, wie professionell die besten Ansätze der anderen für das eigene Format adaptiert werden. SB-Warenhäuser sind das ideale Format, um sowohl Food- als auch Non-Food-Produkte unter einem Dach zu präsentieren. Wir verfügen über den Platz, um ein breit gefächertes und modernes Sortiment anzubieten. Zudem können wir dadurch eine unbegrenzte Anzahl an Produktinnovationen präsentieren. Besonders das SB-Warenhaus-Format war und ist die wichtigste Triebkraft für Innovationen im Einzelhandel, weil es die größte Verkaufsfläche, die meisten Marken, usw. bietet. Außer uns haben nur sehr wenige andere Einzelhändler so viele Möglichkeiten, bestimmte Produktthemen wie etwa „Italien von A bis Z“ in Szene zu setzen.
Darüber hinaus haben wir unsere Managementstruktur verschlankt, um Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. Hierdurch rücken wir näher an unsere Kunden. Unsere Marktleiter erhalten mehr Freiheiten, aber auch mehr Verantwortung für die Erfüllung der Bedürfnisse der Kunden vor Ort. Auf diese Weise sichern wir unseren langfristigen Erfolg und machen gleichzeitig unsere Kunden glücklich.

Wie passt Ihre neue preisgünstige Marke in das neue hochwertigere Erscheinungsbild – ist das nicht ein Widerspruch?
Fleury: Während der letzten Monate haben wir bereits zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Fast alle von ihnen adressierten Kundengruppen, die nach einer höhere Qualität, einer ansprechenderen Einkaufsatmosphäre und ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis verlangen. Beginnend mit einem neuen Obst & Gemüse-Konzept bis hin zu unseren Aktionswochen „Das Gute essen" im Frühjahr (Spargel) und Herbst (Italien-Wochen) arbeiteten wir intensiv an einem neuen emotionalen Erscheinungsbild von real,-. Dies alles führte zu dem Ergebnis, das wir nun unseren Kunden in Essen präsentieren. Die Einführung der neuen Marke ist nur eine weitere Maßnahme, die sich gezielt an die Kundengruppe richtet, die über eine geringere Kaufkraft als der Durchschnitt verfügt. Wir haben den Markt analysiert und festgestellt, dass ein großer Bedarf an preisgünstigen Grundnahrungsmitteln besteht. Unseren Kunden möchten wir ein breit gefächertes und optimal an ihre Bedürfnisse angepasstes Sortiment bieten. Der Bedarf an Produkten aus dem Einstiegspreisbereich ist sehr hoch und diesen Bedarf decken wir optimal mit unserer neuen Produktlinie ab. Gleichzeitig versuchen wir so unseren Kunden beim Geldsparen zu helfen.

Normalerweise hat jede Marke einen Namen – Ihre jedoch nicht. Warum?
Fleury: „Ohne Schnickschnack. Ohne teuer.” - mit dieser neuen Marke wagen wir etwas völlig Neues. Wir haben auf alles verzichtet, das nicht unbedingt erforderlich ist. Hierzu zählen beispielsweise teure Verpackungen, ein ausgefallenes Verpackungsdesign und sogar ein Name. Weil all dies nicht relevant ist. Die einzig wichtigen Faktoren sind eine gute Produktqualität und ein besserer Preis.

Die Marke bietet einen günstigeren Preis als vergleichbare Produkte von Aldi. Wie schaffen Sie das?
Fleury: Viele Discounter haben die Qualität ihrer Produkte und damit einhergehend auch den Preis in den letzten Jahren immer weiter nach oben geschraubt. Wir haben den Markt sorgfältig analysiert und sind der Ansicht, dass jetzt Platz für neue Produkte unterhalb des Preiseinstiegssegments ist. Diese Lücke füllen wir mit unserer neuen Marke. Auch bei diesen Produkten garantieren wir ein gutes Qualitätsniveau. Völlig unabhängig vom günstigen Preis durchlaufen und bestehen auch diese Produkte denselben aufwändigen Qualitätssicherungsprozess wie unsere anderen Eigenmarken (Tip, real,- Quality, real,- Bio und real,- Selection). Darüber hinaus muss ein Produkt, welches das Discounter-Rezept nicht eins zu eins kopiert, kein schlechtes Produkt sein. Unsere Markteinführung ist daher keine Antwort auf die Konkurrenz, sondern ein proaktiver Schritt zur Schaffung einer neuen, einzigartigen Marke im deutschen Lebensmittelhandel.

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