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RUNDSCHAU Round Table O&G: „Da kommt zu wenig im Handel an“

Bei der finalen Jurysitzung zum Deutschen Frucht Preis gab es Gesprächsbedarf. Zwar hat sich die Kategorie Obst & Gemüse enorm weiterentwickelt, doch es hapert immer noch an einer engeren Zusammenarbeit mit dem Handel. Die Industrie sagt: Unsere Lösungen finden am PoS zu wenig statt.

Obst und Gemüse, Jury des Deutschen Frucht Preis, Round Table, Rundschau, Medialog
Foto: Reinhard Rosendahl
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Von Linda Schuppan, Alexandra Stojic

Der Deutsche Frucht Preis hat viel bewirkt in den Märkten. Auch bei den neuen Medien werden die Möglichkeiten am PoS immer größer. Wird das genutzt?
Fuchs: In vielen Märkten wird ein Bildschirm oder Rezeptberater gleichgesetzt mit modernen Medien. Das ist für mich nichts Neues.
Reh: Vor zwei, drei Jahren waren zumindest die warenkundlichen Informationen häufiger vorhanden. Heute beschränkt sich das auf Flyer – das war’s.

Der Einsatz neuer Medien ist heute so gut wie nicht vorhanden. Woran liegt diese Zurückhaltung?
Reh: Der Handel sagt oft , die Nachfrage sei nicht da. Ich bin der Meinung, der Handel muss Angebote schaffen, um Kunden Möglichkeiten zu bieten. Er muss vorausgehen.
Daniel: Für Sushi gab es vor vier Jahren auch noch keine Nachfrage. Dann ist der Handel damit gestartet – schon war die Nachfrage da.
Brügger: Ob man bei Obst und Gemüse neue Medien zum Einsatz bringen sollte, wird sicherlich auch unterschiedlich gesehen.

Ist der Handel in der Bringschuld?
Reh: Absolut. Gerade in einer Zeit, wo jeder Kunde mit seinem Smartphone googeln kann, bis er wahnsinnig wird, sollte man das Feld nicht anderen – dem Onlinehandel – überlassen. Deshalb heißt mein Appell an den Handel: Seid mehr Vorreiter!
Pretzel: Gerade in der heutigen Zeit sollte der Handel den Kunden über die neuen Medien im Sinne einer verbesserten Customer Experience hochwertige Informationen anbieten. Hier sehe ich noch enormen Verbesserungsbedarf.

Wie lässt sich dieses Problem lösen?
Schneider:
Nehmen wir einmal den Bereich warenkundliche Informationen für den Verbraucher. Hier besteht großes Potenzial. Ein I-Pad ist da sicherlich ein gutes Medium.
Pretzel: Die Bespielung mit hochwertigen Inhalten bedeutet allerdings Aufwand – und hier ist der Handel heute noch nicht bereit, vollumfänglich zu investieren.
Schneider: Stimmt. Sehr häufig wird das Schulungsmaterial für O&G-Mitarbeiter zur Verbraucherkommunikation verwendet. In der Regel werden hier nicht die Inhalte an Kunden vermittelt, die sie wirklich interessieren.
Pretzel: Gegenfrage: Lässt die Industrie den Handel da nicht zu sehr allein?

Wie meinen Sie das?
Pretzel:
Die Industrie könnte warenkundliche Informationen zur Verfügung stellen.
Reh: Es gibt bereits Programme und Initiativen. Aber unterm Strich kommt da sicher noch zu wenig im Handel an.
Vilanova: Das Thema Warenkunde wird im Handel immer noch total unterbewertet. Da wird unten umgebaut und dann passen die Informationen darüber nicht mehr zum Produkt.
Daniel: Mir kommt es so vor, als ginge der Handel davon aus, dass der Shopper permanent im Internet unterwegs ist. Er gibt die Informationspflicht damit an das Internet. Da geht viel Verkaufspotenzial im Laden verloren. Der Großteil der Verbraucher ist nun mal permanent online.
Daniel: Wir haben in Umfragen herausgefunden, dass sich zwischen 60 und 80 Prozent der Verbraucher ihre Einkaufsinformationen immer noch über den Handzettel holen. Die jungen Leute machen das online.
Pretzel: Aus meiner Sicht kann die Lösung nur eine engere Kooperation zwischen Handel und Industrie sein. Beispielsweise könnte die Industrie Videos von Produzenten oder Farmen liefern, die neben der reinen Information auch Emotionen beim Shopper wecken. Davon würden dann alle profitieren.
Schneider: Man sieht ja schon bei vielen selbstständigen Händlern, was für Materialien von der Industrie zur Verfügung gestellt werden.
Pretzel: Dann frage ich mich, weshalb die nur spärlich beim Kunden ankommen. Entweder sind die gelieferten Informationen nicht ausreichend oder der Handel möchte sie in gewisser Weise nicht publizieren.

Bringen Shopper überhaupt die Zeit mit, sich die Informationen anzuschauen?
Reh:
Wenn es das Informationsmaterial schafft, die Verbraucher neugierig zu machen, dann investieren sie die Zeit. Und damit kann man auch Umsätze generieren.
Schneider: Allerdings konnten wir bei einigen Selbstständigen feststellen, dass sie die I-Pads nach einer Zeit wieder aus der Abteilung entfernt haben. Die Kunden haben die Medien nicht genutzt. Vielleicht wurden die Geräte zu wenig integriert. Einfach nur ein I-Pad ins Regal zu legen funktioniert nicht.
Vilanova: Ich kenne diverse Händler, die diese Medien irgendwo in eine Ecke verfrachten, weil sie sonst im Weg stehen.

Wo funktionieren neue Medien am besten?
Daniel:
Wir empfehlen Händlern, ihren Kunden am Eingang das Tempo zu nehmen – das geht am besten mit Monitoren oder Plakaten, die direkt im Gang aufgebaut sind. Der Shopper wird vielleicht nicht ganz stehenbleiben, aber sein Schritttempo verlangsamen.
Thiesmeier-Dormann: Mir fehlt von Industrieseite allerdings etwas Übergreifenderes. Was ist mit Zusatzinformationen zu aktuellen Ernährungstrends? Ich finde es wichtig, Shoppern alle Labels zu erklären, um damit ihr Vertrauen in das Produkt zu stärken. Das könnten ja auch neue Medien leisten.
Thiesmeier-Dormann: Nein, das meine ich nicht. Ich denke vielmehr, dass der Kunde während des Einkaufens eine Pause von der digitalen Welt sucht und die Produkte vielmehr sehen, fühlen, schmecken will.
Reh: Wenn Informationen bereitgestellt würden, könnten sich Shopper schlau machen und würden dann vermutlich auch mehr kaufen, als sie es so tun.
Schulze: Der LEH wird sich noch mehr mit seinen Konsumenten auseinandersetzen müssen. Der PoS hat sich verändert. Das wird sich fortsetzen. Das heißt auch, sich von klassischen Mustern zu verabschieden und dort aufzutauchen, wo einen der Konsument braucht. Amazon Fresh ist da. Angst?
Brügger: Wenn wir uns an die vorhergesagten Online-Einkaufsplattformen im B2B-Business erinnern, ist es doch so, dass davon sehr wenig bei Obst und Gemüse übrig geblieben ist.
Fuchs: Ich wage mal eine ketzerische Prognose: Eigentlich müssten alle Abteilungen mit einer geringen Flächenproduktivität in Zukunft verschwinden. Denn die können die Vorteile gegenüber Online anscheinend nicht bieten. Da kann ich gleich bei Amazon Fresh kaufen.
Vilanova: Was mir viel mehr Sorgen macht, sind die Lieferdienste der Handelsketten, die durch die Stadt fahren.

Warum?
Vilanova:
Weil die Ware inzwischen für kleines Geld direkt vor die Haustüre gebracht wird. Diese Zwischenstufe ist viel spannender. Ich glaube, dass der LEH verlieren wird, wenn es die Rewe oder andere Lieferdienste schaffen, weiterhin gute Qualität zu bringen.
Bövingloh: Verbesserungsbedarf sehe ich da allerdings bei der Lieferzeit und bei der Verpackung. Da entsteht zu viel Müll.

Was erwarten Shopper bei Obst & Gemüse?
Bövingloh:
Eine gleichbleibende Qualität ist das A und O. Dazu muss das Category Management eng mit dem Einkauf arbeiten, um eine konstante Warensicherung und langfristige Planung mit Produzenten zu gewährleisten.
Heiss: Außerdem erwartet der Verbraucher eine entsprechende Sortimentstiefe, Frische und eine klare Kommunikation bezüglich Herkunft und Rückverfolgbarkeit.
Schulze: Eine gut strukturierte Vielfalt an Produkten mit speziellem Augenmerk auf die Bereiche Bio, Convenience und Fokusprodukte, die Lust auf Neues machen, sind besonders wichtig. Bei der Präsentation von Verwendungsanlässen und Zielgruppen einzugehen hilft , den Abverkauf zu steigern.

Was glauben Sie, wie sieht die O&G-Abteilung der Zukunft aus?
Vilanova:
Sie ist das Aushängeschild des Marktes. Bei aller modernen Technologie geht aber ohne die Kompetenz des Abteilungsverantwortlichen wenig. Hier ist der Aspekt Fort- und Weiterbildung unverzichtbar.
Thiesmeier-Dormann: Serviceorientierung und Kundenbindung stehen an erster Stelle, um sich von Mitstreitern und Online-Angeboten abzugrenzen. Originelle Kundenansprache ist gefragt. Wir werden beim Frucht Preis in den nächsten Jahren sicher tolle Modelle präsentiert bekommen.
Schneider: Individualität und Emotionen werden wichtig sein, um Kunden Obst und Gemüseartikel zu erklären.
Fuchs: Ich sehe mehr Personal in der Abteilung, auch die Bedienung ist nicht vom Tisch.
Bövingloh: Wir brauchen Fachberatung, Verkostungen und das Erleben von Obst & Gemüse.
Schulze: Ich sage: Es wird nachhaltiger, digitaler und individueller.
Heiss: Ohne Informationen und Fachberatung geht auch in Zukunft bei Obst & Gemüse nichts.
Daniel: Die O&G-Abteilung ist, war und bleibt die Visitenkarte eines Marktes und sie wird auch in Zukunft vom Menschen und von der Ware abhängen.
Pretzel: Wir werden individuellere Lösungen brauchen. Sei es im Hinblick auf die Kundenkommunikation am PoS oder auch im Hinblick auf die soziodemografische Struktur oder den Convenience-Aspekt. Warum wird nicht auch mal nur ein halber Blumenkohl statt eines ganzen angeboten? Das könnte eine Lösung sein.
Daniel: Das kann eigentlich nur die Teilbedienung schaffen. Ich weiß, dass einige Händler darüber nachdenken. Nämlich die, die es sich leisten können, zwei oder drei Mitarbeiter mehr einzustellen.
Reh:
Wir können erst über Rezepte, neue Medien und Warenkunde reden, wenn die Leute auf den Flächen entsprechend ausgebildet sind. Aber an dem Punkt sind wir noch lange nicht. Wir stehen erst bei 60 Prozent. Es gibt noch jede Menge zu tun.
Daniel: Am Ende des Tages können wir aber auch nicht immer nur die Schuld dem Handel geben. Da müssen gemeinsame Lösungen her.

Obst und Gemüse, Jury des Deutschen Frucht Preis, Round Table, Rundschau, Medialog
Foto: Reinhard Rosendahl
Obst und Gemüse, Jury des Deutschen Frucht Preis, Round Table, Rundschau, Medialog
Schauen sich die Kriterien der besuchten O&G-Abteilungen ganz genau an: Thorsten Fuchs (l.) diskutiert mit Kaasten Reh. Foto: Reinhard Rosendahl
Obst und Gemüse, Jury des Deutschen Frucht Preis, Round Table, Rundschau, Medialog
Schauen sich die Kriterien der besuchten O&G-Abteilungen ganz genau an: Thorsten Fuchs (l.) diskutiert mit Kaasten Reh. Foto: Reinhard Rosendahl
Obst und Gemüse, Jury des Deutschen Frucht Preis, Round Table, Rundschau, Medialog
Wünschen sich mehr Warenkunde und Serviceorientierung am PoS: Caroline Thiesmeier-Dormann und Pedro Vilanova. Foto: Reinhard Rosendahl
Obst und Gemüse, Jury des Deutschen Frucht Preis, Round Table, Rundschau, Medialog
Wünschen sich mehr Warenkunde und Serviceorientierung am PoS: Caroline Thiesmeier-Dormann und Pedro Vilanova. Foto: Reinhard Rosendahl
Obst und Gemüse, Jury des Deutschen Frucht Preis, Round Table, Rundschau, Medialog
Abstimmung bei der Jurysitzung zum Deutschen Frucht Preis: Jasmin Bövingloh, Michaela Schneider und Barbara Heiss (v.l.). Foto: Reinhard Rosendahl
Obst und Gemüse, Jury des Deutschen Frucht Preis, Round Table, Rundschau, Medialog
Abstimmung bei der Jurysitzung zum Deutschen Frucht Preis: Jasmin Bövingloh, Michaela Schneider und Barbara Heiss (v.l.). Foto: Reinhard Rosendahl

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