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Wissen Sie, wie ihre Kunden ticken?

Die Anuga ist die wegweisende Messe der Branche. Hier werden die neuesten Trends präsentiert. Aber: Weiß die Branche wirklich, was Verbraucher wollen? Wir haben Experten dazu befragt, welche Konzepte Zukunft haben.

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Von Jessica Themanns

Eine Innovation jagt die nächste. Zumindest aus Sicht der Produktmanager hält sich dieses Bild. Die Realität hingegen sieht anders aus. In den Regalen kommen die vermeintlichen Innovationen vielmehr als Marketingblasen daher – befindet der Handel einhellig. Bloß keinen Trend verpassen. Auf der Seite der Markenartikelindustrie wächst der Druck, den Handelsmarken ihr aufbürden. In dieser Sandwich-Position hat es die Frage, was der Verbraucher wirklich will, nicht leicht.
Auch die Leitmesse der Branche, Anuga, versucht alle zwei Jahre auf diese Fragen eine Antwort zu finden. Elf Trendthemen hat die Messe in diesem Jahr definiert. Trends, die auch viele Experten der Food- und Handelsbranche als solche definieren.


So weit so gut: Nur einen Trend, um des Trends willen, am besten zu einem günstigen Preis, anzubieten, ist nicht der goldene Weg für die Zukunft – weder für die Industrie noch für den Handel. Fakt ist: „Auf den soziodemografischen Wandel haben sich weder Handel noch Industrie wirklich vorbereitet, weil die Geschäftsmodelle immer in Richtung Wachstum ausgerichtet sind“, sagt Thomas Bachl von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). In Zukunft müsse man lernen, auf schrumpfenden Märkten zu agieren. 


Das sieht auch die Ernährungsexpertin Hanni Rützler vom Future Food Studio so: „Das alte Paradigma, billiger und mehr produzieren, damit jeder genug bekommt, ist nicht mehr zukunftsfähig – das Neue heißt: Besser statt mehr.“ Kunden würden zunehmend Wert auf Qualität legen, alleine schon wegen der wiederkehrenden Skandale in der Branche.

 

Wirkliche Mehrwerte statt Illusion

Dennoch bleibt der Preis eine Gretchenfrage für die deutschen Verbraucher. „Natürlich wollen Konsumenten per se nicht mehr zahlen“, sagt Rützler. Handel und Industrie forcierten außerdem von sich aus immer wieder die Billig-Debatte, statt ein ganzheitliches Qualitätsprofil zu entwickeln. „Wenn man heute einen ‚ordentlichen‘ Preis verlangen möchte, muss man viel klarer kommunizieren, warum der Konsument diesen zahlen sollte“, sagt die Ernährungsexpertin. 
Ein weiterer Grund, warum ein Umdenken nötig ist: Viele Produktneuheiten, auch wenn diese Trendthemen bedienen, gehen dennoch an den Bedürfnissen der Verbraucher vorbei. Es fehlt oft an Authentizität und für den Verbraucher an greif­baren Mehrwerten. Die hohen Flopraten stehen dafür. Je nach Kategorie liegen die bei 60 bis 80 Prozent, das bestätigt Martin Fassnacht, Professor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Be­sonders die Markenartikler haben es dieser Tage schwer mit dem deutschen Verbraucher. Der nämlich kauft zunehmend Handelsmarken. 
61 Prozent meinen, dass deren Qualität derjenigen der Marken gleicht. Das geht aus der „Shopper-Trends-Studie 2013“ von Nielsen hervor. „Ein unklares Profil und mangelnde Begehrlichkeit sowie zu wenige echte Innovationen oder Produktverbesserungen mit Relevanz für Kunden“ nennt Franz-Rudolf Esch, Direktor am Institut für Marken- und Kommunikationsforschung den Grund, warum viele Marken in den vergangenen Jahren Federn lassen mussten.

Trendscouting betreiben, Mut zeigen

Für die Branche heißt das: Sie muss in der Verkaufspsychologie tiefer gehen. „Ich glaube, dass die Kundenbedürfnisse differenzierter werden und damit die Kundengruppen kleiner“, sagt Handelsexperte Fassnacht. Die Aufgabe für die Zukunft an die Markenartikelindustrie könnte so lauten: Klare, authentische Produktkonzepte schaffen, ohne kurzfristige Trendheischerei. Nur das überzeugt Verbraucher und schafft Vertrauen. „Die Industrie muss sich konsequent und längerfristig mit dem gesellschaftlichen Wandel auseindersetzen und vor allem ihre Qualtitätsstrategie konsequent weiterentwickeln“, sagt Rützler. 
Dazu gehöre es auch, Innovationen nicht nur dem Marketing zu überlassen. Vielen Unternehmen fehle dazu die Konsequenz und der Mut. Diese Auffassung teilt auch Handelsexperte Fassnacht. Er empfiehlt den Unternehmen systematisches Trendscouting zu betreiben: „Markenhersteller und übrigens auch der Handel, sollten sich Inspiration bei kleinen Formaten holen, etwa auf Wochenmärkten oder in der Szene, wie in Berlin.“


Auch am Point of Sale liegt noch viel Potenzial brach. Als „Vorratskammer“ bezeichnet Ernährungsexpertin Rützler die derzeitigen Verkaufskonzepte des Handels. So ticke der Kunde von heute allerdings nicht mehr. „Sein großes Problem ist die täglich wiederkehrende Entscheidung, was er essen soll“, sagt Rützler. Ihre Forderung: Der Handel muss seinem Kunden eine Antwort geben und es ihm einfacher machen, in Mahlzeiten zu denken. Gerade Frische- und Convenience-Konzepten zeichnet Rützler Fahrlässigkeit aus. „Nur frisches Obst geschnipselt anzubieten ist nett, aber zu wenig.“ In Crossoverkonzepten mit Gastro-Bereich sieht sie Potenzial. „Die Gastronomie bietet sich an, die eigene Qualitätsphilosophie zu kommunizieren, indem man etwa die eigenen Marken inszeniert oder neue Take-away-Produkte anbietet.“ 


Trends kommen und gehen. Ein Fakt bleibt: Die Konsumenten werden immer älter. Bekanntlich halten sich bei älteren Menschen diese Werte über Jahrzehnte hinweg konstant: Sicherheit, Verlässlichkeit und Ansprache. „Die Einkaufsstätte wird künftig wieder zu einem Marktplatz für persönlichen Austausch“, sagt Franz-Rudolf Esch. Keine neue Erkenntnis. Allerdings scheint sie in vielen Köpfen noch nicht angekommen zu sein.

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