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Große Einschnitte

Wir stehen vor riesigen Veränderungen, sagt Konsumforscher Thomas Bachl. Die Deutschen werden immer älter. Keiner will sich der unbequemen Wahrheit stellen. Doch die Zeit drängt.

Thomas Bachl
"Der Preis rückt immer stärker in den Hintergrund. Medial spielt er kaum noch eine Rolle", GfK-Chef Thomas Bachl
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Von Linda Schuppan

Herr Bachl, Sie beschäftigen sich täglich mit dem Thema Konsumforschung. Jeder redet vom demografischen Wandel. Stellen sich Handel und Industrie überhaupt darauf ein? 
Bachl:
 Auf den soziodemografischen Wandel haben sich weder Handel noch Industrie bislang wirklich vorbereitet, weil die Geschäftsmodelle immer auf Wachstum ausgerichtet sind. Bei der Überalterung unserer Gesellschaft haben wir es allerdings mit dem genauen Gegenteil zu tun. Wir haben uns nie damit beschäftigen müssen, in einem schrumpfenden Markt zu agieren. Das hat sich heute geändert.

Es scheint, als stehe Deutschland mit diesem Problem ziemlich alleine da …
Bachl:
 Ja. Die Überalterung ist tatsächlich ein deutsches Phänomen. In allen anderen europäischen Ländern sehen wir diese Entwicklung noch nicht oder eben in einer viel längeren Zeitspanne. Rein mengenmäßig verliert der deutsche Lebensmitteleinzelhandel. Das wird sich in den nächsten fünf Jahren noch beschleunigen. 

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Discounter wachsen. Woran liegt das?
Bachl:
 Drei Jahre lang haben die Discounter trotz Flächenwachstum stagniert. Jetzt gewinnen sie Marktanteile hinzu. Das hat vor allen Dingen mit Sortimentsausweitungen zu tun und damit, dass Discounter auch in die zweite und dritte Preislage gehen, um mehr Verbraucher anzusprechen. 

Die deutsche Wirtschaft boomt – gleichzeitig boomen auch Aldi und Lidl. Ist das nicht recht antizyklisch?
Bachl: Theoretisch ja, aber nicht kaufpsychologisch. In Zeiten der wirtschaftlichen Prosperität wird Zeit ein knappes Gut. Discounter hingegen stehen für effizientes, zeitsparendes Einkaufen.

Steht denn der Faktor Preis weniger im Vordergrund?
Bachl:
 Medial auf jeden Fall. Noch vor fünf Jahren hatte der Preis ein extrem mediales Echo. Sogar die Bildzeitung machte den Preis zur Hauptschlagzeile. Das ist im Moment kein Thema mehr. Deshalb spielt der Preis für den Wechsel zum Discount derzeit auch keine entscheidende Rolle. Es ist vielmehr die Geschlossenheit des Angebotes, die Verbraucher dort bevorzugen.

Denken Discountexperten klüger als ihre Vollsortimentskollegen?
Bachl:
 Sie denken passgenauer. Und sie reagieren schneller auf Trends und gesellschaftliche Strömungen. Das spiegelt sich in der Sortimentsausweitung, in den Preislagen. in der Erweiterung des Markenportfolios, den Frischesortimenten mit der Erweiterung der Obst- und Gemüseabteilung und in den Backstationen wider. Auch die Imagekomponente ist nicht zu unterschätzen. 

Aldi scheint gegen jede Schlagzeile immun zu sein. Ist Aldi der neue „Berlusconi“ Deutschlands?
Bachl:
 Das könnte man so sagen. Aldi hat ein hohes Ansehen und einen enormen Vertrauensvorsprung. Das war beim Lidl-Skandal anders. Der hat die Marke extrem geschädigt. Lidl hat dann das einzig Richtige getan und mit einer offenen Kampagne dagegengehalten. Heute ist Lidl raus aus der „Schmuddelecke“. 

Wie bewerten Sie Penny?
Bachl: Nach unseren Zahlen ist Penny noch nicht ganz durch. Penny hatte einen Aufschwung zu verzeichnen, was allerdings fehlt, ist der nachhaltige Erfolg.

Wird es das Konzept Norma in zehn Jahren noch geben?
Bachl: Norma hat eine respektable Umsatzentwicklung, aber auch den niedrigsten Flächenumsatz pro Quadratmeter bei gleicher Kostenstruktur wie andere. Ob das langfristig wirtschaftlich darstellbar ist, bleibt die große Herausforderung. 

Die Großfläche strauchelt. Haben SB-Warenhäuser eine Zukunft?
Bachl: Ich denke, die Großfläche hat es in der Gänze sehr schwer, weil die Vielfalt der Auswahl mit dem Nachteil von langen Anfahrtszeiten verbunden ist. Verbraucher wollen allerdings immer seltener lange Anfahrtszeiten in Kauf nehmen. Sie wollen sich auch nicht zu lange auf einer Fläche aufhalten, um zu bekommen, was sie suchen. Das spricht gegen die Großfläche

Was ist das Problem der Großfläche?
Bachl: Ihre Struktur. Eine halbe Stunde durch Gänge zu laufen, um für 20 Euro einzukaufen, ist einfach zu umständlich. Wir haben in Deutschland fast eine Vollbeschäftigung, was zur Folge hat, dass viele Menschen über immer weniger Zeit verfügen. Die Großfläche passt einfach nicht mehr in das klassische Einkaufsmuster.

Welche Chance haben Großflächenbetreiber aus Ihrer Sicht?

Bachl: Die Großfläche kann nur noch mit Erlebnis punkten. Mit großen Frischeflächen, aber auch mit Sortimenten wie Wein. Großflächenbetreiber müssen allerdings auch in Standortveränderungen denken. Auf der grünen Wiese wird man selbst mit Konzeptveränderungen nicht gegen die Abwärtsspirale bestehen können. 

Bedeutet dies das Ende der Großfläche, wenn kein Umdenken stattfindet?

Bachl: Im Sinne eines Vorratsversorgers ist das sicherlich das Ende. Die Einkaufsgewohnheiten ändern sich, darauf muss die Großfläche reagieren.

Kaufland reagiert mit Flächenreduzierung. Der richtige Schritt?

Bachl: Ja, damit reduziert Kaufland Komplexität. Das ist im Sinne der Verbraucher.

Was wollen die Käufer morgen?
Bachl: Bei den Single-Haushalten haben wir es mit einem anderen Ernährungsverhalten, aber auch mit einem anderen Lebensstil zu tun. Was wir brauchen, sind etwa Single-Serve-Lösungen in einem sehr breiten Sortimentsumfeld. Viele Produkte müssen in Zukunft zwei Dinge erfüllen: Sie müssen sich für den Inhome-Konsum eignen, aber auch für den On-the-go-Konsum. Viele Verzehranlässe finden heute unterwegs und nicht mehr zu Hause statt. Damit müssen sich Produktentwickler auseinandersetzen.

Immer mehr Informationen fluten den Markt. Welche Informationen will der  Verbraucher wirklich?
Bachl: Er will Produkte, die nachhaltig sind und er will sicher sein, dass auch wirklich das drin steckt, was draufsteht. Verbraucher möchten nicht betrogen werden und sich nicht unendlich informieren müssen. Informationen werden heute schlaglichtartig wahrgenommen. Darauf folgt die Entscheidung. 

Wie bewerten Sie die App- und QR-Code-Strömungen dieser Tage?
Bachl: QR-Codes und Apps sind für Spezialanwendungen relevant – etwa, wenn es um Speziallebensmittel geht, bei denen Verbraucher sicher sein wollen, dass die Produkte zu ihren Anforderungen passen. Solche Applikationen machen Sinn.

Sprechen wir vom E-Commerce-Markt. Wann ist „Food online“ reif für den deutschen Markt?
Bachl: Der Treiber für E-Commerce ist die Veränderung der Lebensstile. In Frankreich etwa sind das junge Familien mit einem relativ hohen Einkaufsvolumen, beide Doppelverdiener, mit einem großen Zeitproblem. Solche Zielgruppen suchen nach entsprechenden Angebotsformen. Mit dem Drive-Konzept haben französische Player eine Antwort darauf gefunden.

Brauchen wir überhaupt ein Online-Angebot für Food?
Bachl: Ich denke schon. Immerhin kaufen zwölf Prozent der Verbraucher in Deutschland heute schon online – tun dies allerdings relativ selten, weil das Angebot noch nicht ausgereift ist. Wenn die Angebote flächendeckend da sind, zieht der Markt mit, davon bin ich überzeugt.

In Deutschland geht es immer nur um den Preis. Wie kann der Online-Markt hierauf reagieren?
Bachl: Indem er den Preis zu seinem Vorteil macht. In UK hat sich der Anbieter Ocado darauf eingestellt – ein Online-Händler, der dem Verbraucher den Preisvergleich abnimmt. Ocado hat sich damit klar gegen Tesco aufgestellt. Das könnte auch in Deutschland gegen Aldi funktionieren. 

Bünting kooperiert bei mytime.de mit Amazon. Jetzt wittert die Deutsche Post ihre Chance und will in den Lieferservice einsteigen. Kann das gutgehen?
Bachl: So wie deutsche Logistikunternehmen derzeit organisiert sind, passt das nicht zur FMCG-Branche. Wer Food online verkaufen will, muss ein enges Zeitfenster definieren, wann die Ware geliefert wird. Momentan kenne ich keine Logistikkonzepte, die das leisten können.

Wer macht vor, wie es gehen kann?
Bachl: Das französische Vorbild, die Logistik beim Verbraucher zu belassen, ist eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung für die Speckgürtel großer Metropolregionen. 

Nicht jeder alte Mensch wird künftig in Metropolregionen zu finden sein …
Bachl: Richtig. E-Commerce ist sicher nicht die Lösung für diese Kundengruppe. Dennoch sehe ich hier durchaus die Chance für erfolgreiche Nischenkonzepte. Tiernahrung ist ein gutes Beispiel. Hier ist das Einkaufsverhalten in hohem Maße standardisiert. Die Verbraucher wollen beim Kauf kein besonderes Erlebnis und haben eine regelmäßige Nachfrage. Das kann man wunderbar online abbilden.

Das kling so, als könnten Online-Konzepte immer nur eine Antwort auf ein spezifisches Einkaufsverhalten sein …
Bachl: Ja. Tiernahrung ist online derzeit die erfolgreichste Warengruppe, gefolgt von Bodycare-Produkten. Der durchschnittliche Tiernahrungsbon im Internet beträgt 35 Euro. Das belegt: Wer eine Katze oder einen Hund hat, schaut nicht unbedingt aufs Geld.  

Macht online langfristig dm und Rossmann Konkurrenz?

Bachl: Nein, aber einige Produktgruppen werden sicher stärker online nachgefragt werden, etwa Windeln oder Waschpulver.  

Der Kaffeemarkt hat durch das Nespresso-System einen großen Schub erfahren. Der Trend war ja vor allem onlinegetrieben. Kann das auch bei anderen Warengruppen funktionieren?
Bachl: Mit Sicherheit gibt es noch Platz, stark aufgeladene Marken zu etablieren. Wer die richtige Differenzierungsstrategie und den richtigen Preis hat, kann einen Markt durchaus drehen.

Sollten sich die Brauer mal Rat bei den Kaffeeexperten holen?
Bachl: Sicher, allerdings ist die Ausgangssituation etwas anders. Der Biermarkt schrumpft massiv. Da ist es schwer, über den Preis zu agieren, da wir es letztlich mit starken Überkapazitäten zu tun haben. Die einen wollen den Preis anziehen, weil sie Mengen verlieren, die anderen hingegen haben die Menge und könnten im Preis runter.

Bei Bier gibt es den Normalpreis häufig schon gar nicht mehr. Wie lässt sich dieser Kreislauf stoppen?
Bachl: Erfolgreiche Preiserhöhungsstrategien setzen nicht den Regalpreis nach oben, sondern den Aktionspreis – das funktioniert in der Regel sehr gut. Wer sein Preisniveau langfristig nach oben absichern will, muss seine Promotionpreise unter Kontrolle bringen. Den Regalpreis zu erhöhen und dafür Promotions tiefer anzusetzen ist keine nachhaltige Strategie.

Was kann die Fußball-WM beim Thema Preis ausrichten?
Bachl: Die Weltmeisterschaft kurbelt den Aktionskalender sicher wieder kräftig an, ist aber auch eine Chance, langfristig Preiserhöhungen durchzusetzen. 

Können Sie einen Blick in die Kristall-kugel werfen und sagen, wie die Konsumgewohnheiten 2030 aussehen?
Bachl: Der Markt der Zukunft wird geprägt sein von einer starken Veränderung der Soziodemografie – der extremen Überalterung der Menschen. Es wird deutlich weniger Verbraucher geben, was wiederum die Mengen verengt. Wenn die wirtschaftliche Lage in Deutschland weiterhin stabil bleibt, lässt sich über Premium-Konzepte dennoch Wertschöpfung generieren. 

Und was wird aus E-Commerce?
Bachl: 2030 werden wir uns nicht mehr die Frage stellen, ob Online-Konzepte für die FMCG-Branche funktionieren oder nicht. Das wird dann schlicht Fakt sein.

Thomas Bachl
Linda Schuppan
RUNDSCHAU-Chefredakteurin Linda Schuppan im Gespräch mit GfK-Chef Thomas Bachl.
Linda Schuppan
RUNDSCHAU-Chefredakteurin Linda Schuppan im Gespräch mit GfK-Chef Thomas Bachl.
Thomas Bachl
"Die Großfläche als Vorratsversorger hat keine Zukunft. Hier ist Umdenken gefordert."
Thomas Bachl
"Die Großfläche als Vorratsversorger hat keine Zukunft. Hier ist Umdenken gefordert."
Thomas Bachl
"Wer sein Preisniveau anheben will, muss seine Promotionpreise unter Kontrolle bringen."
Thomas Bachl
"Wer sein Preisniveau anheben will, muss seine Promotionpreise unter Kontrolle bringen."

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