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ForscherAuftritt Martin Fassnacht: Die Russland-Frage

In der aktuellen Kriegssituation Geschäfte in Russland machen oder sich zurückziehen? Über dieses Thema wird zur Zeit heftig diskutiert. Für Martin Fassnacht zählen marktwirtschaftliche Prinzipien, Argumentation und Realitätssinn.

Martin Fassnacht ist Ökonom an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar bei Koblenz
Von Martina Kausch | Fotos: RUNDSCHAU/privat

Wie stehen Sie zu der Frage, ob Unternehmen in der aktuellen Kriegssituation Geschäfte in Russland machen oder sich aus dem Land zurückziehen sollten?

Unternehmen geraten immer mehr unter Druck, wenn sie in Russland tätig sind, dort produzieren, den russischen Markt bedienen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bedeutet nicht automatisch, dass Unternehmen keine Geschäfte in Russland machen dürfen. Natürlich müssen Unternehmen sehr genau begründen, wenn sie dort weiterhin Geschäfte betreiben. Sie müssen auch transparent machen, wie sie mit dem vor Ort erzielten Gewinn umgehen – beispielsweise ihn prozentual für humanitäre Hilfszwecke weiterreichen. Klarheit in der Argumentation ist sehr wichtig.

Es ist also eine Frage der Argumentation?

Genau. Wir können Unternehmen nicht im Detail vorschreiben, welche Geschäfte sie zu machen haben. Mancher macht es sich hierzulande sehr einfach mit emotionaler Kritik. Unternehmen, die sich nicht aus Russland zurückziehen, werden unverhältnismäßig kritisiert.

Es gibt die Drohung Russlands, deutsche Unternehmen zu enteignen, wenn die Produktion in Russland eingestellt wird. Deutschen Unternehmen wird von Juristen geraten, Vermögenswerte in Sicherheit zu bringen.

Ja. Und es gibt bestehende Verträge, Vertragstreue ist die Grundlage des Wirtschaftslebens. Wirtschaftlicher Realismus tut uns allen gut.

Ist es nicht auch eine ethisch-moralische Frage? 

Ja, natürlich. Deswegen muss man jeden Einzelfall sorgfältig abwägen und sehr genau differenzieren. Unternehmen brauchen Planungs-
sicherheit. Wir hebeln die soziale Marktwirtschaft aus, wenn wir bei Geschäften als Erstes nach der Gesinnung fragen. Ich bin auch dagegen, die Mehrwertsteuer bei Obst und Gemüse auf null Prozent zu setzen. Das widerspricht den marktwirtschaftlichen Prinzipien. Wir dürfen die Grundlagen unseres Wirtschafts- und Sozialsystems nicht außer Acht lassen. Produktion und Handel sind Voraussetzungen für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Wir gehen bereits in Richtung einer kleinen Wirtschaftskrise, die Wachstumsprognosen werden gesenkt. Unser Wohlstand wird abnehmen. 

Was bedeutet „wir gehen in Richtung einer kleinen Wirtschaftskrise“? 

Das bedeutet, wir müssen uns neuen Themen zuwenden und innovativer werden. 

Das hat der Edeka-Vorstandsvorsitzende Markus Mosa gemeint, als er die Geschäftszahlen für 2021 vorlegte und sagte, im Fokus stünden die Expansion mit zukunftsfähigen Märkten, die Optimierung des Logistiknetzwerks, das Vorantreiben digitaler Innovationen?

 Die von Herrn Mosa gesetzten Schwerpunkte machen vollkommen Sinn. Dies sind Themen, denen sich alle Handelsunternehmen stellen müssen. Mosa hat auch erklärt, bei Edeka würden 7.000 Produkte auf dem Preisniveau wie beim Discounter gehalten – das finde ich strategisch richtig. Denn grundsätzlich werden angesichts sinkender Kaufkraft in der Bevölkerung die Discounter gewinnen. 

Wie können die anderen Handelsunternehmen gegensteuern? 

Man muss die Mehrwert-Handelsmarken stärker emotionalisieren und sie so stärker in Richtung nationale Marken positionieren. Für ein in der Verbraucherwahrnehmung „günstigeres“ Preisimage muss man gezielt einzelne nationale Marken auf Promotion setzen, um die Konsumenten in die Märkte zu holen. Auch die Eigenmarken würde ich kommunikativ und sortimentspolitisch stärker in den Vordergrund stellen, um sich als Markt preisgünstig zu positionieren.

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