Herr Brück, kann ein Mittelständler überhaupt mit dem Kartellrecht in Berührung kommen?
Brück: Das Kartellrecht untersagt wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, unabhängig von Ort, Form und Umfang. Auch wer sich als Mittelständler auf lokaler Ebene mit seinem Wettbewerber zum Beispiel über Endverbraucherpreise in einer bestimmten Warengruppe verständigt, handelt gesetzeswidrig und geht damit sehr ins Risiko.
Jenseits von Preisabsprachen: Was ist kartellrechtlich außerdem bedenklich?
Brück: Generell ist jeglicher Austausch wettbewerbsrechtlich relevanter Informationen nicht erlaubt. Das betrifft nicht nur Preisabsprachen, und zwar hinsichtlich aller preisbildenden Faktoren wie etwa Rabatte oder Boni. Vielmehr betrifft es auch Absprachen über Preiserhöhungstermine, Gebietsabsprachen, Absprachen über Lieferquoten und einiges mehr.
Halten Sie es für realistisch, dass Händler auf lokaler oder regionaler Ebene solche Absprachen treffen?
Brück: Das ist vermutlich die absolute Ausnahme. Der Wettbewerb im Food-Handel funktioniert und ist knallhart. Aufgrund der Filialdichte und aufgrund ihrer Mobilität haben die Verbraucher meist mehrere Alternativen bei der Wahl ihrer Einkaufsstätte. Somit würden entsprechende Absprachen schon gar nicht funktionieren.
Wenn doch: Wie hoch ist die Gefahr, dass ein Frühstücks-Deal zu den Behörden durchdringt?
Brück: Ich kann nur davor warnen, nach dem „Es wird schon nicht rauskommen“-Motto zu handeln. Das Bundeskartellamt hat auf seiner Website ein Forum für anonyme Hinweise eingerichtet. Außerdem gilt die Kronzeugenregelung. Damit besteht die Gefahr, dass ein Kronzeuge das Unternehmen besonders belastet, um sich selbst rein zu waschen. Die Behörden haben daher kaum noch Nachweisprobleme.
Wie heikel sind lockere Gespräche auf Tagungen, auf Messen, bei Verbandstreffen?
Brück: Ob schriftlich oder mündlich: Wenn es bei solchen Treffen zu Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen über kartellrechtlich relevante Themen kommt, stellt dies einen schwerwiegenden Verstoß dar, der mit einer erheblichen Geldbuße sanktioniert werden kann. Ich kann nur empfehlen: Verlassen Sie als Unternehmer eine Sitzung, in der konkret über Preise, Beziehungen zu den Lieferanten, Mengenbeschränkungen oder den Umgang mit Preissteigerungen gesprochen wird. Und geben Sie die Beendigung Ihrer Teilnahme zu Protokoll.
Sie adressieren jetzt aber insbesondere die Vertreter der Großbetriebe und Konzerne?
Brück: Ich adressiere damit im Prinzip jeden Unternehmer. Auch mutmaßliche Verstöße von Mittelständlern werden von den Behörden verfolgt. Aber klar: Der Fokus des Bundeskartellamts richtet sich weniger auf den mittelständischen Händler, sondern auf die Big Player in Handel und Industrie. Das zeigen die Kartellverfahren wegen Preisabsprachen, die in den letzten fünf Jahren vorwiegend gegen die Hersteller-Seite durchgeführt wurden, etwa in den Warengruppen Drogerie, Kaffee, Geschirrspülmittel, Süßwaren und anderen.
Mit welchen Ergebnissen?
Brück: Das Kartellamt hat gegen mehrere Betriebe Geldbußen in Millionenhöhe verhängt. Zuletzt wurde im August 2012 der Bonner Süßwaren-Hersteller Haribo mit einer Buße von 2,4 Millionen Euro bedacht, wegen des unzulässigen Austausches wettbewerbsrelevanter Informationen. Der Fall zeigt im Übrigen auch, dass die Kronzeugenregelung greift. Denn das Verfahren wurde aufgrund eines Kronzeugen-Antrags der Mars GmbH eingeleitet, und in Anwendung der Bonusregelung des Bundeskartellamts wurde gegen die Mars GmbH keine Geldbuße ausgesprochen.
Aber auch der Handel ist im Visier – siehe die spektakuläre Aktion aus dem Januar 2010.
Brück: Ja, seinerzeit wurden mit einem Aufgebot von über 100 Polizeibeamten und Behörden-Mitarbeitern die Zentralen von 11 Handelsunternehmen in koordinierter Aktion durchsucht, um Anhaltspunkte und Nachweise für eine so genannte „Preispflege“ zu finden, also eine Abstimmung von Endverbraucherpreisen zwischen dem Einzelhandel und den Markenartiklern. Über das Ergebnis dieser Maßnahme ist bislang nichts bekannt. Sie hat jedoch zu einer erheblichen Verunsicherung im Handel und in der Lebensmittelindustrie beigetragen.
Sie war medienwirksam, aber für die betroffenen Betriebe nicht gerade Image-fördernd.
Brück: Ich möchte es so ausdrücken: Der Präsident des Bundeskartellamtes versteht es, die Arbeit des Amtes wirksam und überzeugend auch in den Medien darzustellen.
Stichwort Verunsicherung: Welche Formen der Kooperation zwischen Händler und Markenartikler sind überhaupt noch möglich?
Brück: Bleiben wir zunächst beim Thema Preis. Einvernehmliche Absprachen sind verboten, ebenso aber auch die Ausübung von Druck oder die Gewährung von Anreizen, um einen Händler zur Preispflege zu animieren – ihn also zu veranlassen, Fest- oder Mindestverkaufspreise zu akzeptieren oder „unverbindliche“ Preisempfehlungen umzusetzen.
Die UVP muss also, wie der Name schon sagt, völlig unverbindlich bleiben?
Brück: Der Hersteller darf eine Liste mit Empfehlungen für Wiederverkaufspreise überreichen sowie die Gründe für die Preisempfehlungen und seine dahinter stehende Strategie erläutern. Doch dann ist Feierabend: Allein die weitere Kontaktaufnahme zu diesem Thema kann bei den Behörden schon den Verdacht auslösen, dass das Marktverhalten abgestimmt wird oder werden soll.
Auch für den Händler ein Minenfeld?
Brück: Durchaus. Zum Beispiel liegen den Kartellbehörden Mails vor, in denen sich Händler bei Herstellern darüber beschweren, dass sich ihre Mitbewerber nicht an eine UVP halten und sie damit auch ihrerseits die vereinbarte „Preispflege“ als gegenstandslos betrachten. Solche Schreiben sind für die Behörden ein Festmahl. Ich kann jedem Händler nur empfehlen: Achten Sie insbesondere in der Kommunikation nach außen darauf, dass missverständliche Formulierungen unterbleiben.
Wie sieht es bei Kooperationen im Bereich Category Management aus?
Brück: Eine Zusammenarbeit von Hersteller und Händler zur Optimierung der Produktauswahl und der Regalplatzierung ist generell nicht zu beanstanden. Kartellrechtlich problematisch wird es, wenn die Vereinbarungen dazu führen (können), dass CM als Instrument zur Preisbindung missbraucht wird, dass CM als Marktzutrittsschranke etwa für B-Marken führt oder dass CM die Eigenmarken gegenüber den Herstellermarken besonders stärkt.
Nach der Durchsuchungsaktion der Behörde wurden viele CM-Aktivitäten auf Eis gelegt.
Brück: Ja, die Verunsicherung war und ist groß. CM-Verträge sind kartellrechtlich meist wasserdicht formuliert. Doch besteht im Laufe der Zusammenarbeit häufig die Gefahr, dass es zum Austausch von Informationen kommt, die nicht Gegenstand der CM-Vereinbarung sind und die wettbewerbsrelevante Auswirkungen auf Mitbewerber haben können.