Veränderte Essgewohnheiten und demografische Effekte machen es der Fleischbranche schwer. Ein Grund zur Sorge?
Wild: Aus meiner Sicht muss umgedacht werden. Denn Tierwohl steht bei vielen ganz oben.
Bentlage: Es ist doch so: Irgendeine Sau wird immer durchs Dorf getrieben. Mit diesem Thema beschäftigen wir uns seit Jahren. Schubert: Die Menschen wollen sich bewusster ernähren. Allerdings hat der Preiskampf immer mehr zugenommen. Gerade im Preiseinstieg müssen zurzeit alle Federn lassen.
Stryck: Sicher gibt es genügend Gründe zur Sorge, aber mit dem Veggie-Sortiment und Produkten aus Tierwohlkonzepten bieten wir genügend Ansatzpunkte für die Zukunft.
Der Wurstverbrauch wird wohl nicht mehr wachsen. Ich sehe eher einen Verdrängungswettbewerb. Ingo Stryck Wiesenhof
Wie sieht die Zukunft aus?
Stryck: Der Wurstverbrauch stagniert leicht und wird wohl auch nicht mehr wachsen. Ich sehe für die Zukunft eher einen Verdrängungswettbewerb.
Reidelbach: Dem kann ich nur zustimmen. Wenn man die demografische Entwicklung ansieht, deutet alles darauf hin, dass das Volumen nicht stärker werden wird.
Und jetzt?
Reidelbach: Eigentlich müsste jeder erkennen, dass Wachstum mengenmäßig nicht möglich ist. Trotzdem wird auf Wachstum gesetzt.
Bentlage: Der Markt bietet viele Chancen – vor allem bei Fleischalternativen oder Bio.
Wild: Der Ansatz muss doch sein, dass wir alle ein Stück Fleisch kaufen können, das nicht aus Massentierhaltung kommt.
Es bleibt also beim ewigen Spagat?
Wild: Einen Teil der Kunden stört es nicht, dass das Fleisch aus unschöner Haltung kommt. Hauptsache, es ist billig.
Stryck: Ich glaube allerdings nicht, dass man die Weltbevölkerung mit Bio satt bekommt.
Bentlage: Zumal noch der Preisaspekt hinzukommt. Bio kostet eben auch mehr.
Also nichts für den Massenmarkt.
Bentlage: Es ist fraglich, ob wir in der Warenverfügbarkeit von Bio diese Mengen erreichen können, die wir brauchen.
Stryck: Ich denke nicht, dass Bio das Allerheilmittel ist. Der gravierendste Aspekt für die Verbraucher ist die Tierhaltung.
Odenthal: Wir erkennen derzeit in vielen Warengruppen eine Entwicklung gemäß dem sogenannten Eieruhrprinzip.
Was bedeutet das?
Odenthal: Der große Anteil an Niedrigpreiskäufern bleibt bestehen, aber der Anteil der qualitätsbewussten Käufer, die vermehrt zu hochpreisigen Produkten greifen, nimmt zu. Wobei der Preis nicht automatisch als Qualitätsmerkmal herangezogen werden darf.
Dazu müssten die Hersteller aber auch transparenter sein. Wie sieht das bei Ihnen aus? Kann man bei Ihnen spontan klingeln und die Ställe besuchen?
Stryck: Wir haben sogar überlegt, ob wir in allen Ställen Kameras installieren. Wir haben nichts zu verbergen, sind transparent.
Wild: Der Verbraucher will sich das doch gar nicht mehr ansehen. Jeder kennt die Bilder, die durch die Presse gehen.
Reidelbach: Genau. Und leider ist in unserer Gesellschaft für das Negative mehr Platz als für das Positive.
Ziegler: Alles, wovon sie erzählen, hat uns dazu veranlasst, Grillido zu gründen.
Die meisten Start-ups beschäftigen sich mit Apps – Sie mit Fleisch. Wieso gründen Sie in einem so schwierigen Markt?
Ziegler: Mein Kumpel und ich stammen aus Metzgerfamilien und haben uns überlegt, dass proteinreiche Wurst auf dem Markt fehlt.
Haben Sie die in Ihrer Garage hergestellt?
Ziegler: Nein, wir haben anfangs mit einem kleinen Metzger zusammengearbeitet, jetzt kooperieren wir mit einer Genossenschaft. Wir können uns die Bauern noch aussuchen.
Mal in die Runde gefragt: Sind kleine Start-ups für die Etablierten Bereicherung oder Konkurrenz?
Stryck: Ganz im Gegenteil. Wir finden das sehr spannend. Ich glaube allerdings nicht, dass es in die Masse gehen wird. Aber vielleicht wird ein Trend angestoßen.
Bentlage: Das ist mutig. Die Branche braucht Mut und Neues. Und wir schauen ganz genau hin, was die machen.
Was machen Sie besser als die „Großen“?
Ziegler: Wir versuchen, als die jungen Wilden der Fleischbranche das Image aufzupolieren. Wir würden uns allerdings niemals anmaßen, zu sagen, dass wir etwas besser machen als die etablierten Unternehmen. Wir kommunizieren einfach nur anders.
Und wie?
Ziegler: Vieles machen wir über unsere Verpackung, aber auch online kann man die Zielgruppe sehr genau ansprechen.
Schubert: Vor dieser Herausforderung steht jede Marke. Wir sind da etwas traditioneller. Wir möchten vor allem über Qualität punkten.
Bentlage: Wir haben bei Veggie viel über TV gemacht. Aber wir haben mehr als zwei Jahre gebraucht, um eine Relevanz zu erreichen.
Frau Odenthal, ist das der richtige Weg?
Odenthal: Es gibt immer weniger klassische TV-Zuschauer. Das stellt viele Unternehmen natürlich vor ganz neue Herausforderungen.
Sie sagen, digitale Medien und soziale Netzwerke dürfen bei der Kommunikation nicht außer Acht gelassen werden.
Odenthal: Hier findet ein Dialog statt, an dem jeder teilnehmen kann. Sich jedoch aus Sorge vor dem Feedback aus diesen Medien herauszuhalten ist langfristig sicher nicht der richtige Weg.
Reicht das alles denn bei einer Warengruppe, die per se eher unsexy ist?
Bentlage: Naja, es mag ja sein, dass Fleisch nicht mehr den Stellenwert hat, den wir gerne sehen würden. Aber es gibt Produktebenen, die attraktiv sind, die Image haben. Die muss man nach vorne stellen.
Das hört sich theoretisch schön und gut an. Aber welche Produkte sind das denn überhaupt noch bei Fleisch und Wurst?
Stryck: Geflügelfleisch liegt im Trend, ist fettarm und schnell zuzubereiten, und wir sind immer noch die umsatzstärkste Warengruppe.
Wild: Fleisch und Wurst werden nach wie vor gern gegessen und etablierte Produkte wie die Rügenwalder Teewurst sind aus vielen Bedientheken nicht wegzudenken. Die Fleischbranche kann das Thema Veggie-Produkte durch Akzeptanz für sich entschärfen und die Produkte im Bediensektor mit anbieten.
Veggie ist in der Realität angekommen. Das sind nicht mehr die 30, 40 Prozent Wachstum wie am Anfang. Lothar Bentlage Rügenwalder Mühle
Herr Bentlage, der Umsatzbeitrag der vegetarischen Linie in Ihrem Haus ist im vergangenen Jahr auf 26 Prozent gestiegen. Wo geht die Reise noch hin?
Bentlage: Das Lob ist immer auf die Vergangenheit bezogen, denn Veggie ist erst mal ein kleines Segment, wenn man das mit den zwei bis drei Prozent Marktanteil an SB-Wurst sieht.
Klingt nach „viel Lärm um nichts“.
Bentlage: Aber es zeigt auch, dass man auf der Suche nach neuen Geschäftsideen viel erreichen kann, wenn man den Weg konsequent geht.
Geht der Erfolg weiter?
Bentlage: Wir sind sicherlich in der Realität angekommen. Das sind nicht mehr die 30 oder 40 Prozent Wachstum, wie wir sie am Anfang erlebt haben. In diesem Jahr hat sich das Ganze sehr beruhigt, aber das wird auch wieder weitergehen.
Was meint die Marktforschung? Ist der Veggie-Trend auf dem Höhepunkt seines Erfolgs angekommen?
Odenthal: Zuerst muss man sagen: Veggie-Produkte halten im Vergleich zu Wurst und Fleisch nach wie vor einen geringen Anteil. Dennoch handelt es sich hier nicht mehr um einen reinen Trend.
Sondern?
Odenthal: Das Segment hat sich eine Nische im Markt ergattert und wird sicher nicht aus den Regalen verschwinden. Dass die anfänglichen Wachstumsraten abflachen, ist nichts Ungewöhnliches.
Leute zahlen für einen Drink zwölf Euro, greifen aber zum billigen Hähnchen. Das müssen wir ändern. Michael Ziegler Grillido
Wie lautet ihr Wunsch an den Handel?
Bentlage: Eine gemeinsame Grundgesinnung ist zwischen Handel und Industrie wichtig. Ich würde mir noch mehr Miteinander wünschen.
Kraus: Ich würde mir wünschen, dass der Handel sein enormes Potenzial, seine Macht gemeinsam mit der Industrie am PoS nachhaltig umsetzt.
Schubert: Wir würden uns wünschen, dass neue Produkte und Innovationen mehr Zeit bekommen, sich zu etablieren.
Stryck: Wenn ich Chancen sehe, dann beim Tierwohl. Ich spüre im Moment, dass es auch im LEH die Bereitschaft gibt, sich damit positionieren zu wollen.
Ziegler: Wir wünschen uns, dass Start-ups, die handwerklich produzierte Premiumprodukte auf den Markt bringen, eine Chance bekommen. Wir brauchen ein neues Preisniveau für innovative und nachhaltige Lebensmittel. Leute zahlen für einen Gin Tonic zwölf Euro, greifen im Supermarkt aber zum billigen Hähnchen. Das müssen wir ändern!