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Stevia: Vorstoß in neue Welten

Die Süßwarenbranche sucht nach vermarktbaren Zuckerersatzlösungen. Da kommt Stevia gerade recht. Wie Experten den alternativen Süßstoff bewerten und welche Grenzen es gibt. Zwei Interviews zum Thema mit Prof. Dr. Mechthild Busch-Stockfisch von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Dr. Udo Kienle von der Universität Hohenheim.

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Von Steffi Simone Müller

Interview mit Frau Prof. Dr. Mechthild Busch-Stockfisch zum Thema Stevia in Süßwaren

Stevia ist in aller Munde. Was ist Stevia und wie wird es gewonnen?
Busch-Stockfisch: Stevia rebaudiana ist eine Pflanze, die aus den Subtropen stammt. Die Pflanze, aus der Familie der Korbblütler, wird schon seit Jahrhunderten wegen ihrer starken Süßkraft verwendet. In Deutschland ist Stevia erst seit November vergangenen Jahres von der EU zugelassen. Stevia wird aus den Blättern der gleichnamigen Pflanzen gewonnen. 

Was sind die Vorteile von Stevia in Süßwaren?
Busch-Stockfisch: Stevia ist etwa 300-mal süßer als Zucker, ist frei von Kalorien, zahnfreundlich und auch geeignet für Diabetiker.

Das alles klingt sehr vielversprechend. Wo ist der Haken?
Busch-Stockfisch: Stevia hat einen bitteren, lakritzartigen Nachgeschmack, der nur schwer zu maskieren ist. Zudem hat Stevia nicht die gleichen technologischen Verarbeitungseigenschaften wie Zucker. Zucker gibt den Produkten Stand und auch Volumen, das funktioniert mit Stevia so nicht. Daher sind intelligente Lösungen gefordert, die mit einem zuckerhaltigen Produkt vergleichbar sind. Ein Weg dahin ist eine Kombination aus verschiedenen Zuckeraustauschstoffen mit Stevia, die allerdings vom Produkt abhängig sind und auch individuell ermittelt werden müssen. 

Können Süßwaren zu 100 Prozent mit Stevia gesüßt werden?
Busch-Stockfisch: Nein, das funktioniert nicht – egal ob Bonbon, Schokolade oder Gummibärchen. Wie ich bereits erwähnt, sind Kombinationen aus verschiedenen Zuckeraustauschstoffen von Nöten, um Produkte zu bekommen, die einem zuckerhaltigen Produkt gleich kommen. Die Kombination der verschiedenen Substanzen ist dann aber auch abhängig vom Produkt selbst. Außerdem hat die EU die tägliche Aufnahmemenge auf vier Milligramm pro Körpergewicht festgelegt.

Die Nachfrage nach Zucker ist größer als das Angebot. Wird Zucker in Zukunft durch Stevia ersetzt?
Busch-Stockfisch: Nein, das glaube ich nicht. Zucker wird es immer geben, dafür sind auch seine technologischen Verarbeitungseigenschaften einfach zu überragend. Ich glaube aber auch, dass es künftig viele Produkte geben wird, die zuckerfrei oder zuckerreduziert sind und den zuckerhaltigen Produkten nahekommen. 

Welche Chancen bietet Stevia der Süßwarenbranche?
Busch-Stockfisch: Wenn die Industrie sorgfältig an die Produktentwicklung herangeht, dann können als Ergebnis Produkt herauskommen, die einem zuckerhaltigen Produkt sehr nahe kommen. Voraussetzung sind eben hier die bereits angesprochenen intelligenten Lösungen. Allerdings können einige Produkte auch teurer werden, wenn eben künstliche Süßstoffe durch Stevia ersetzt werden. Wenn der Konsument bereit ist, hierfür einen höheren Preis zu bezahlen, wird Stevia im Süßwarenbereich erfolgreich sein.

Zur Kurzbiografie von Prof. Dr. Mechthild Busch-Stockfisch: Prof. Dr. Mechthild Busch-Stockfisch:  ist Diplom Ökotrophologin und Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg für Sensorik und Produktentwicklung, Zudem ist sie unter anderem Vorsitzende des Forschungsschwerpunktes Food Science sowie Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sensorik. Früher arbeitete sie als Abteilungsleiterin im Dept. Lebensmittelwissenschaft für die Nestle Gruppe Deutschland.

 


Interview mit Herrn Dr. Udo Kienle zum Thema Stevia in Süßwaren

Herr Dr. Kienle, dürfen für alle Süßwaren Steviolglycoside verwendet werden?
Dr. Udo Kienle: 
Nein, nicht für alle. In Süßwaren wie Schokolade, Zuckerwaren, Kaugummi und Speiseeis dürfen Steviolglycoside verwendet werden. Ausgenommen sind jedoch feine Backwaren.

Gibt es noch weitere Grenzen für den Einsatz von Steviolgylcosid?
Dr. Udo Kienle:
 Durchaus. Voraussetzung für den Einsatz sind kalorienreduzierte Produkte oder Produkte ohne weiteren Zuckerzusatz. Zudem wird es Produkte aus 100 Prozent Steviolglycoside auch nicht geben können. Hier schiebt die Gesetzgebung einen Riegel vor. Für die Verwendung von Steviolglycosiden hat die EU eine tägliche Aufnahmemenge  (ADI-Wert) von vier Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht festgelegt.

Was bedeutet dies konkret für die Süßwarenbranche?
Dr. Udo Kienle: 
Dadurch ist die Industrie in ihren Anwendungsmöglichkeiten begrenzt. Sie muss also weiterhin Produkte bringen, die mit Zucker beziehungsweise mit kalorienhaltigen Zuckeraustauschstoffen gesüßt sind. Aufgrund der Deckelung des ADI-Wertes fährt die Branche also mit angezogener Handbremse.

Ist dies ein Grund, warum das Angebot an Stevia-Süßwaren derzeit so überschaubar ist?
Dr. Udo Kienle: 
So wie es aussieht, halten sich die Marktführer bislang vornehm zurück. Es kommen bislang eher kleinere Unternehmen mit speziellen Nischenprodukten auf den Markt. Die Süßwarenbranche scheint erst mal abzuwarten. So richtig will keiner loslegen, dafür gibt es noch zu viele Ungereimtheiten hinsichtlich der Qualität – und auch des Preises. Die Produkte werden in der Herstellung teurer, wenn künstliche Zuckeraustauschstoffe durch Steviolglycoside ersetzt werden.

Bietet sich aber nicht gerade hier für die Süßwaren-Hersteller eine große Chance?
Dr. Udo Kienle: 
Künstlichen Zuckeraustauschstoffen wie Aspartam steht der Verbraucher ablehnend gegenüber. Diese Substanzen können durch Steviolglycoside ersetzt werden. Hinzu kommt, dass Stevia vom Verbraucher als natürlich wahrgenommen wird, auch wenn dieser Süßstoff Steviolglycosid (E960) selbst chemisch hergestellt wird. Es bleibt abzuwarten, ob der Verbraucher bereit ist, für diesen Mehrwert auch mehr Geld auszugeben.

Darf die Süßwarenbranche ihre mit Steviolglycosiden gesüßten Produkte als natürlich gesüßt deklarieren und dies als Verkaufsargument einsetzen?
Dr. Udo Kienle: 
Nein, auf keinen Fall. Aus den Blättern der Stevia-Pflanze werden sogenannte Steviolglycoside gewonnen. Die Herstellung erfolgt über ein chemisches Verfahren. Stevia hat zwar einen natürlichen Ursprung, der Süßstoff ist es aber durch den Verarbeitungsschritt eine chemisch hergestellte Substanz. Die EU hat daher Steviolglycoside auch als Zusatzstoff deklariert.

Welche Perspektiven räumen Sie dem alternativen Süßstoff in Süßwaren ein?
Dr. Udo Kienle:
 Ich denke, dass man mit Steviolglycosiden gute Produkte hinbekommt, die auch vergleichbar sind mit zuckerhaltigen Produkten. Wie es der Verbraucher diese Produkte annehmen wird, bleibt abzuwarten. Zu diesem Zeitpunkt eine Prognose zu stellen, ist äußerst schwierig.

Zur Kurzbiografie von Dr. Udo Kienle: Dr. Udo Kienle, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim, beschäftigt sich seit 1983 mit der Pflanze Stevia rebaudiana und ihren Süßstoffen. Seit 1987 untersucht er den praktischen Anbau in Europa, entwickelte mehrere Herstellungsverfahren und forscht zum praktischen Einsatz in Lebensmitteln. Stevia rebaudiana führte ihn in 27 Jahren um den halben Globus.

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