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Ungenutzte Werthaltigkeit

Wenn Apple seine Produkte verhökern würde, wäre der Verfall vorprogrammiert. Ganz zu schweigen vom Image. Ein Dilemma, mit dem sich auch die Obst- und Gemüsestrategen beschäftigen.

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Von Linda Schuppan

Frau Schneider, Sie sind Jurymitglied der ersten Stunde beim Deutschen Frucht Preis. Wie bewerten Sie die Entwicklung der Frische-Konzepte?
Schneider: Die Qualität der Bewerber ist kontinuierlich gestiegen. Besonders auffällig ist das in den letzten Jahren bei den Regie-Märkten. Neben der konsequenten Weiterentwicklung von Zentralkonzepten wurden auch mehr individuelle Freiheiten in den Märkten zugelassen.

Glauben Sie, dass der Regie-Zwang im Frische-Sektor allgemein eine Revolution erfährt?
Schneider
: Ich würde noch nicht von einer Revolution sprechen, aber wir sind auf einem guten Weg. 
Weist: Das kann ich nur bestätigen. Filialisierte Unternehmen integrieren mittlerweile weitaus mehr Ideen als noch vor einigen Jahren. Allerdings wird der Raum für wirkliche Kreativ-Leistungen immer kleiner. Heute sind Rezeptsäulen und I-pads nichts Besonderes mehr, sondern Standard. Dennoch merkt man, dass die Guten es immer wieder schaffen, Nischen zu finden, mit denen sie sich abheben können.
Reh: Mir fehlt bei vielen Märkten der Faktor Erlebnis. Die Ansätze sind gut, aber damit darf sich die gesamte Branche nicht zufrieden geben. 
Schulte: Ich sehe da auch jede Menge Handlungsbedarf.

Welchen?
Schulte: Große Systeme wie Edeka und Rewe sollten stärker versuchen, wichtige Grundprinzipien zu multiplizieren. Ich denke da an Basics wie Sauberkeit, Warenverfügbarkeit oder Sortimentsstruktur. Die Unterschiede auf den Flächen sind zum Teil eklatant. Da gibt es Verbesserungsbedarf!

Worauf achten Sie bei Ihren Store-Checks? 
Schulte
: Wie ich schon sagte: Es gibt gewisse Grundregeln, die eine Obst- und Gemüseabteilung erfüllen muss. Das ist die Pflicht. Die Kür besteht in individuellen Konzepten, die sich vom Wettbewerb abheben und natürlich im Faktor Mensch.

Herr Martin, wo setzen Sie als Vertreter für QS Ihre Schwerpunkte?
Martin:
 Ich beurteile die Abteilungen aus Kundensicht. Dabei achte ich auf Hygiene und schaue mir die Informationen auf den Produkten genauer an. Der Kunde will wissen, woher die Ware stammt und dass die Qualität stimmt. Diesem Anspruch müssen die Angebotsstrukturen gerecht werden. Das geschulte Personal in der Abteilung macht  dabei den Unterschied, schließlich kann ein Produkt nicht sprechen. Das müssen die Mitarbeiter übernehmen.
Schneider: Wenn ein Mitarbeiter einem Kunden verlässliche Informationen ehrlich und engagiert vermittelt, trägt das maßgeblich zur Kaufentscheidung bei. Diesen Vorteil haben leider noch nicht alle erkannt.

Viele Kaufleute fühlen sich bei der Ausbildung allein gelassen. Es gibt keine standardisierte Ausbildung für Obst und Gemüse. Herr Fuchs, als Schulleiter der Bundesfachschule des Lebensmittelhandels kennen Sie diese Problematik gut…
Fuchs: Das ist ein viel diskutiertes Thema, das mehr Fragen aufwirft als es Antworten gibt. Ich begrüße es, dass jetzt insgesamt mehr Bewegung in die Thematik kommt. Etwa durch Globus.

Woran scheitert eine allgemeinverbindliche Ausbildung für Obst- und Gemüse aus Ihrer Sicht? Könnte die food akademie nicht einspringen?
Fuchs:
 Das haben wir versucht. Allerdings ist es uns bislang noch nicht gelungen, eine Größenordnung zu erreichen, die für uns kostendeckend ist.

Dabei würde sich die Investition auf lange Sicht in Form von stärkeren Umsätzen sicher tragen…
Pretzel:
 Ich denke, wir dürfen im Rahmen der Qualifizierung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht immer nur in Kosten denken, sondern viel mehr in Richtung Zukunftsinvestitionen. Das heißt, wir müssen die Angebotsformen in der Ausbildung der heutigen Zeit anpassen. Wir können nicht mehr erwarten, dass alle an einem Ort zusammen kommen, sondern müssen unsere Methodik unter Nutzung der neuen Technologien neu ausrichten. GS1 Germany denkt hier stark in Richtung E-Learning und wir werden unsere Weiterbildungskonzepte im Rahmen einer Online-Academy entsprechend darauf ausrichten.

Herr Brügger, Sie haben zusammen mit Globus die Zertifizierung  zur "Fachkraft Obst und Gemüse im Lebensmitteleinzelhandel" ins Leben gerufen. Mit welchem Ziel?
Brügger:
 Es geht uns darum, eine zertifizierte Zusatzausbildung für Obst und Gemüse anzubieten, um das Verkaufen von Frischeprodukten insgesamt zu stärken.

Warum läuft das Pilot-Projekt exklusiv mit Globus und nicht flächendeckend für alle Player?
Brügger:
 Weil unterschiedliche Vertriebsformen unterschiedliche Anforderungen an das Konzept haben. Globus hat als erstes Interesse gezeigt und war bereit, in die wichtige Ressource "Mensch" zu investieren.

Wir hören immer wieder, dass die Obst- und Gemüseabteilung das Aushängeschild eines Marktes ist. Dann müssten dort doch auch die besten Mitarbeiter zugegen sein…
Brügger: Unbestritten braucht die wichtigste Abteilung auch die besten Mitarbeiter.  
Göring: Und die sind oft Mangelware. Hier fehlen mir die Anreizsysteme für die Mitarbeiter. Wer steht schon gerne freiwillig um vier Uhr morgens auf.

Was muss aus Ihrer Sicht ein entsprechender Mitarbeiter noch mitbringen?
Weist:
 Ganz oben auf der Profil-Skizze steht für mich Kommunikations- und Beratungsfreude.
Brügger: …und er muss eine große Affinität zur Ware mitbringen.

An diesem Tisch sitzen alle Größen der Obst- und Gemüsebranche. Warum stehen Sie nicht gemeinsam dafür ein, die Ausbildungsgrundlage zu verbessern?
Weist: Das ist tatsächlich eines der großen Probleme unserer Branche. Es gibt Bäckerei- und Metzgereifachverkäufer, aber keine für Obst und Gemüse. Das geschieht immer noch in Eigenregie. Den Grund dafür sehe ich maßgeblich in den unterschiedlichen Ausrichtungen und Interessen aller Akteure. Das zu synchronisieren ist ein Kraftakt. 
Rensch: Die Mitarbeiterausbildung obliegt grundsätzlich dem Handel. Wir können hier nur unterstützend mitwirken. Was wir bei SanLucar auch intensiv tun. Wir haben unser Budget zur Ausbildung von Mitarbeitern in Form von Schulungsreisen und Inhouse-Schulungen sowie die Anzahl unserer eigenen Fachberater im Außendienst jedes Jahr aufgestockt

Wir vergeben beim Deutschen Frucht Preis in diesem Jahr gleich zwei Sonderpreise für die „Beste Mitarbeiterqualifikation“. Können Sie sich vorstellen, dass mehr Player jetzt nachziehen?
Schneider:
 Das können wir im Sinne der gesamten Kategorie nur hoffen und unseren Teil dazu beitragen. Das tun wir ja bereits mit entsprechenden Konzepten und Schulungsmaßnahmen.
Rensch: Ich sehe da noch viel Arbeit. Wir haben in Deutschland mehr als 16.000 Vollsortimenter. Beim Deutschen Frucht Preis betrachten wir nur einen Bruchteil davon. Da gibt es einige tolle Ausbildungskonzepte, aber auch viele, die es noch deutlich besser machen könnten.
Reh: Das Sortiment kann noch so toll sein: Wenn man in der Abteilung steht und es ist kein Mitarbeiter in Sicht, dann läuft etwas falsch. Das erlebe ich auf meinen Store-Check-Touren leider immer noch viel zu oft.

Mit diesem Konzept fährt der Discount bei Obst und Gemüse mehr als erfolgreich. Mal ehrlich: Am Ende zählt doch nur der Preis, nicht der Mitarbeiter…
Meierhöfer: Sie sprechen da einen heiklen Punkt an. Grundsätzlich ist der Verbraucher in Deutschland es nicht mehr gewöhnt, für Qualität zu bezahlen. Er weiß nicht mehr, was ein Produkt kosten muss, damit die gesamte Wertschöpfungskette leben kann. Man sieht das doch bei Bio-Ware. Mittlerweile werden konventionelle Produkte und die entsprechende Bio-Alternative in derselben Preis-Range angeboten. Das ist alles andere als glaubwürdig.
Weist: Glaubwürdigkeit ist in der Tat ein großes Thema, das künftig direkten Einfluss auf den Preis haben wird.
Nach dem Motto: Je glaubwürdiger ein Produkt, desto höher sein Wert?
Weist: Ja. Es wird nicht mehr lange gutgehen, dass der Kunde zwar immer mehr Transparenz und Zusatzleistungen verlangt, dafür aber keine Preissteigerung in Kauf nimmt.

Wie lautet Ihr Ansatz?
Weist:
 Die Werthaltigkeit der Produkte muss wieder in den Vordergrund gestellt werden. Wir alle müssen den Kaufleuten da draußen Mut zusprechen, dem Verbraucher auch mal etwas für einen Euro mehr anzubieten und ihm erklären, dass hinter solchen Produkt auch mehr dahintersteckt.
Pretzel: Ich sehe da noch einen anderen Faktor. Der Anspruch der Kunden nach mehr Produkttransparenz ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. Ich Gerade z.B. im Frischebereich Obst und Gemüse müssen diese Kundenanforderungen mit verlässlichen Informationen, sog. „Trusted Data“, beantwortet werden. Das ist zunehmend ein entscheidendes Kaufkriterium geworden.

Die technischen Möglichkeiten nehmen zu. Will der Verbraucher via Smartphone tatsächlich jede Banane scannen?
Pretzel:
 Der Verbraucher will vor allem eines: Sicherheit. Die bekommt er nur durch vertrauenswürdige, transparente und jederzeit l verfügbare Informationen. Hier beobachte ich die Aktivitäten der Discounter mit großem Interesse. Gerade im Frischebereich werden bei abgepackter Ware eine Vielzahl der von Konsumenten geforderten Informationen wie z.B. Herkunft, Charge und MHD über die neuen Technologien geliefert. Solche glaubwürdigen Konzepte, die die Ansprüche der mobilen Verbraucher nach digitalen Informationen erfüllen, müssen sich zunehmend auch im gesamten LEH durchsetzen.
Rensch: Ich denke, dass dieser spezifische Bedarf seitens der Verbraucher derzeit noch überschaubar ist, jedoch zukünftig bedeutender wird. Leider sehe ich zeitgleich nicht die Bereitschaft, für diesen Mehrwert auch mehr zu bezahlen, was sehr schade ist, da das Bereitstellen und Pflegen der Informationen auch Kosten mit sich bringt.
Meierhöfer: Der Bedarf innerhalb unserer Branche zeigt sich an mehreren Stellen. Wir haben bei Obst und Gemüse etwa kein klassisches Category Management, da es schlichtweg zu kompliziert ist, alle Wünsche auf einen Nenner zu bringen.

Da müssten sich doch aber Basiskriterien für alle Beteiligten finden lassen…
Schulte: Genau das ist das Problem bei Obst und Gemüse. Je nach Produktgruppe greifen andere Anforderungen. Eine übergreifende Lösung ist da schwer vermittelbar. Ich sehe das Thema Category Management ohnehin mehr als Aufgabe des Handels, nicht des Lieferanten. 
Weist: Zumal der Handel heute sehr gute Analysemöglichkeiten hat, um seine Daten auszuwerten und zu wissen, womit das Geld eigentlich überhaupt verdient wird. 
Brügger: Bei Obst und Gemüse werden die Grenzen für ein professionelles Category Management deutlich. Das fängt beim Thema Scanning an, denn nicht jedes Produkt ist einwandfrei scanbar. Auch das Thema Datenverfügbarkeit ist in vielen Fällen immer noch ein Problem.

Ein anderes Problem besteht darin, dass die Kennzeichnung von loser Ware schwerer zu bewerkstelligen ist…
Martin:
 Das ist richtig. Verpackte Ware mit Codes und Siegeln zu versehen, ist einfach. Aber auch bei loser Ware gibt es dafür bereits intelligente Konzepte.
Reh: Wir sollten aufpassen, Produkte künftig nur noch mit Siegeln zu versehen. Das versteht doch am Ende keiner mehr. Soweit ich weiß, kämpft auch QS mit seinem Bekanntheitsgrad.

Herr Martin, wie hoch liegt der tatsächlich?
Martin:
 Wir liegen mit dem QS-Prüfzeichen bei etwa 30 Prozent Bekanntheit beim Verbraucher. Aber wir müssen auch ganz klar die Erwartungen definieren. Wir bieten dem Kunden beim Einkauf mit unserem Prüfzeichen ein klares Signal für geprüfte Qualität. Bei der Vermittlung zusätzlicher Produkteigenschaften sind die Mitarbeiter am POS gefragt.   
Schulte: Ich sehe QS als eine Art Führerschein. Man braucht ihn, kann sich im Wettbewerb allerdings nicht damit profilieren. Das müssen andere Konzepte leisten. 
Reh: Hier lässt sich schön mit dem Thema Regionalität spielen. Ich denke da an Kooperationen mit nahliegenden Erzeugern und an Testimonials.
Weist: Das ist ein guter Ansatz. Leider sind solche Testimonial-Aktionen schwer beim Handel durchzusetzen. Wir haben das bereits mehrfach angestoßen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Woran liegt das?
Meierhöfer: Vielleicht in der Angst, damit nicht gegen den Discount und dessen brachialer Preisstrategie anzukommen.
Brügger: Ich denke, das ist nur die eine Seite der Medaille. Wir reden hier von Transparenz und tollen technischen Lösungen, vergessen dabei aber, dass es oft bereits an den Basics scheitert. Da werden Pomelos für ein Drittel des Preises als Grapefruit verkauft, weil das Personal sie nicht richtig erkennt und die Kasse sie nicht einlesen kann. So entstehen systematisch Defizite.
Pretzel: Die Herausforderung für Industrie und Handel lautet aus meiner Sicht, die Handlungshoheit zurückzugewinnen! Es kann nach sein, dass in Talkshows Industrie und Handel immer den Prügelknaben der Nation spielen. Es müssen valide Produktinformationen (sog. „Trusted Data“) bereitgestellt werden, denen der Verbraucher vertraut. Die technischen Möglichkeiten stehen zur Verfügung; die Qualität der gelieferten Daten muss allerdings deutlich verbessert werden.

Wie müssen diese Konzepte künftig aussehen?
Pretzel: 
Produkttransparenz ist nicht länger zu negieren. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Der Verbraucher fordert nicht alle 45 Allergene im Detail ein. Gezielte Informationen, die korrekt und verlässlich sind, reichen zunächst aus, um beim Konsumenten das Vertrauen wieder zu stärken. Wir müssen nur einfach mal damit anfangen und dem Thema die entsprechende Priorität geben.  
Brügger: Und: Wir müssen endlich Antworten für die Grundbedürfnisse der Kunden finden.

Welche Bedürfnisse sind das?
Brügger:
 Vertrauen in die Ware, verbunden mit einem guten Gefühl. Hier leisten Markenprodukte Pionierarbeit – auch bei Obst und Gemüse. Wenn ich mir aber die Handzettel anschaue, sehe ich keine Emotionen, nur Preisverhau. Wenn Tafel-trauben zur Hälfte reduziert sind, dann fragen sich heutzutage viele Kunden , warum die früher so teuer waren und wie belastet die sein müssen, dass der Preis um die Hälfte nachgibt.
Schulte: Der Verbraucher erwartet doch, dass ein Produkt anständig hergestellt ist, schmeckt und nicht überteuert ist. Das muss nicht zwingend über den Faktor Regionalität laufen, den ich im Übrigen teilweise für Augenwischerei halte.

Warum?
Schulte: Weil Regionalität nicht per se für Qualität steht! Die räumliche Nähe zur Erzeugung gibt ein subjektives Gefühl der Kontrollierbarkeit, was emotional eine Rolle spielen kann. Es bedarf insgesamt jedoch klarer Prüfkriterien und deren stringenter Anwendung und Kontrolle in der Erzeugung, ob regional oder international. Wenn der Handel es schafft dieses über Auszeichnungen am POS und das Personal zu kommunizieren, wird der Preis relativiert.

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