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„Wer das verpasst, verliert“

Das würde es in Managementetagen wohl kaum geben: Edeka und Rewe an einem Tisch – ein offenes Gespräch, ohne Wettbewerbsgedanken. Im selbstständigen Handel machen Matthias Reuter und Achim Krich vor, wie das geht. Ein Gespräch über Menschenführung, Visionen und die Zukunft von Obst und Gemüse.

Matthias Reuter, Achim Krich, EDEKA, Rewe, Wettberwerb, Obst, Gemüse, Handelszentrale
Foto: Christoph Petras
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Von Linda Schuppan, Alexandra Stojic

Ein Edekaner, ein Reweaner. Zwei Visionäre bei Obst und Gemüse. Es geht also auch mal ohne Wettbewerbsgedanken ...
Reuter: Wir denken beide in Obst und Gemüse – nicht in Rot oder in Blau.
Krich: Wir haben uns beim Deutschen Frucht Preis kennengelernt und waren sofort auf einer Linie. Der Rest ist zweitrangig.

Schön, dass der Deutsche Frucht Preis zusammenbringt, was zusammengehört.
Reuter: (lacht) Ihr seid „schuld“, dass wir so Gas geben. Der Wettbewerb hat bewirkt, dass sich die Abteilungen insgesamt so unglaublich weiterentwickelt haben.
Krich: Wie da draußen Obst und Gemüse gelebt wird – das ist ein richtiger Hype.

 Auch die Handelszentralen nutzen den Preis mittlerweile als Imagewerbung.
Reuter: Das ist der Preis! Vermarktungstechnisch kommst du da nicht dran vorbei. Da reicht auch kein Handzettel.
Krich: Und wer erstmal in der Champions League angekommen ist, will da auch bleiben.

Wir werden oft gefragt, was eine Top- Abteilung ausmacht. Was sagen Sie?
Krich: Erst mal muss die Basisleistung top sein. Ich meine die Betreibungsqualität, Sauberkeit, Sortimentsvielfalt, den Ladenbau und natürlich geschultes Personal.
Reuter: Wir müssen verbraucherorientiert denken. Wir meinen immer, wir wissen alles.
Krich: Denk mal an den Durchschnitt da draußen. Da ist es doch so: Wenn ich als Kunde in einen Markt gehe und sage: „Das ist ordentlich und akkurat“, dann ist das viel wert.
Reuter: Wenn wir allerdings nicht das nötige Fachpersonal haben, wird das alles nichts.

An Fachpersonal mangelt es ja reichlich.
Reuter: Da wird lieber in Kundenwerbeprogramme investiert, aber an der Basis wird gespart. Dabei hat es absolute Priorität, die Mitarbeiter zu schulen und in sie zu investieren.
Krich: Dazu brauchen wir aber erst mal ein Berufsbild. Das gibt es ja heute gar nicht mehr.

Fühlen Sie sich da alleine gelassen?
Krich: Absolut. Junge Menschen müssen die Möglichkeit haben, den Obstfachverkäufer an ihre Ausbildung anzuschließen.
Reuter: Richtig. Leider kocht am Ende jeder sein eigenes Süppchen.

Wie handhaben Sie das Thema?
Krich: Wir haben ein eigenes Schulungskonzept – nicht nur bei O&G. Da lernt jeder und gibt sein Wissen dann als Trainer auf der Fläche an andere Azubis weiter.
Reuter: Wir investieren bei O&G auch selbst in die Ausbildung – zusammen mit der IHK. Das sind pro Mitarbeiter rund 8.000 Euro.

Ist denn O&G sexy genug als Berufsbild?
Reuter: Es liegt doch an uns – am Handel –, wie wir das nutzen.
Krich: Ich habe neulich eine Stellenanzeige einer Metzgerei gesehen. Die Überschrift lautete: „Bei uns arbeiten die geilsten Säue.“ Das ist lässig, modern und vielleicht ein Ansatz.
Reuter: Wir haben ja auch was zu bieten.

Was genau?
Reuter: Man ist bei O&G die erste Kontaktstation im Markt. Und wir reden heute ja von Umsatzanteilen von 15, 16, 17 Prozent. Man ist also für knapp 20 Prozent des gesamten Umsatzes verantwortlich.
Krich: Noch dazu ist es wichtig für den kompletten Verkauf, wenn vorne alles richtig läuft.

Viele scheuen höhere Personalkosten bei O&G. Was halten Sie dagegen?
Krich: Der Hebel muss der sein: die richtige Personaleinsatzplanung zum Bedarf zu haben. Wenn ich dann noch top geschultes Personal habe, kann ich mir den Mitarbeiter über einen besseren Ertrag auch wieder leisten.
Reuter: Convenience erweitern, Angebotspolitik zurückfahren – und schon steigt der Ertrag. Dann rechnen sich die 20 Stunden extra für Personal auch wieder.

Herr Reuter, Sie sind extrem umtriebig mit Projekten. Was haben Sie daraus gelernt?
Reuter: Dass wir eigentlich nie den Verbraucher gehört haben. Dabei ist der Verbraucher viel näher dran an der Ware als wir.

Und was will der Verbraucher heute?
Reuter: Convenience. Der will alles schnell. Alles im Direktverzehr.
Krich: Das birgt auch viel Wertschöpfung.
Reuter: Wenn heute einer einen Smoothie mit Beeren machen will, dann liegen da gleich zehn Euro auf dem Tisch.
Krich: Nimm 50 Kisten Ananas und verkaufe sie für 99 Cent. Da brauchst du eine Woche dafür. Oder stelle jemanden daneben, der sie schält. In drei Tagen ist alles weg.

Bei Convenience schauen alle ja immer neidvoll nach Holland. Sie auch?
Reuter: Da sind die Schränke vollgeballert mit Convenience. Man bekommt dort aber längst nicht die Auswahl an O&G wie bei uns.
Krich: Mich nervt das schon seit Jahren, zu hören, dass Holland und Benelux so weit vorne sind mit Convenience. Ist denn die einzelne Aubergine in Plastik Convenience? Das ist doch Quatsch.

Herr Krich, Sie setzen auf regionale Convenience. Wie kam das?
Krich: Wir haben überall Convenience-Produkte verglichen. Uns war klar: Das können wir besser.
Reuter: Man muss zur richtigen Zeit kommen. Ich habe einem Beerenanbieter vor drei Jahren mal gesagt: Entwirf eine Schale, wo Brombeeren, Himbeeren und Heidelbeeren drin sind. Da haben alle gelacht. Heute haben das alle.
Krich: Da werden aber auch Trends verheizt.

Meinen Sie damit den Discount?
Reuter: Das sind für uns die wahren Wettbewerber.
Krich: Denen müssen wir drei Schritte voraus sein.
Reuter: Sind wir ja meistens auch.
Krich: Das kann aber auch ein Fluch sein.

Aldi hat O&G umgestellt. Was sagen Sie dazu?
Reuter: Ich orientiere mich nicht an Aldi. Aldi schaut auf Lidl und kopiert das 14 Tage später.
Krich: Wenn man genau hinschaut, dann ist das alles Marketing, da fliegt ja immer noch Ware rum.

Der Handel hat die sozialen Medien für sich entdeckt. Auch ein Thema bei Ihnen?
Krich: Wir sind mit Facebook und Instagram gestartet. Es darf nur kein Marketing-Gelaber sein oder nebenher laufen.
Reuter: Wir haben dafür jemanden eingestellt.

Amazon Fresh ist da. Und nun?
Reuter: Abwarten und nicht in Panik verfallen.
Krich: Ich sage: Die Kaufleute haben es in der Hand.

Wie?
Krich: Indem jeder Kaufmann Online mit abdeckt. So gehen die Umsätze nicht verloren.

Rewe hat viel investiert bei Online. Edeka hält sich zurück. Vorteil für die Rewe?
Krich: Die Edeka beobachtet auch viel – und zieht vielleicht noch ein Ass aus dem Ärmel. Das dürfen wir nicht unterschätzen.
Reuter: Wenn Amazon die Frische hinkriegt, dann ist es auch egal, ob der eine mehr Vorteile hat als der andere. Dann haben beide dasselbe Problem.
Krich: Klar. Die ziehen das durch. Egal, wie viel Geld das am Ende kostet.

Also immer mehr Gegenwind bei O&G. Wo liegen die Hebel für Vollsortimenter?
Reuter: In Gastrokonzepten. Es wird bei O&G nicht mehr ohne Direktverzehr gehen.
Krich: Wer das nicht mitmacht, verliert.

Wie muss Gastro bei O&G aussehen?
Krich: Denken wir an Super-Smoothies, Sushi- Bars oder Müsli-Stationen. Die Top-Leute setzen schon darauf.
Reuter: Ich denke auch, dass die Frische- Cockpits wiederkommen werden.
Krich: Quasi die Schnippelküche reloaded.
Reuter: Auch Bio bleibt das Aushängeschild einer Top-Abteilung. Wir sind bei 200 Artikeln und wollen das jetzt regionaler aufstellen.

Was halten Sie eigentlich von Laser-Logos?
Krich: Als Fruchtkaufmann kann ich das Thema nicht wirklich greifen. Da gehen Stunden und Tage der Frische verloren.
Reuter: Geht mir ähnlich. Wir haben es diskutiert. Die Oberfläche der Frucht wird zerstört – das ist eine Angriffsfläche für Bakterien.
Krich: Für Bio könnte das ein Thema sein, weil die Ware so einfacher von konventioneller zu unterscheiden ist. Es ist ein Hype, aber warten wir es ab, was daraus wird.

Herr Krich, Sie arbeiten an einer nachhaltigeren Abteilung – in Sachen Verpackung. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Krich: Wir sind fast verpackungsfrei. Das ist die Zukunft . Angefangen haben wir damit vor etwa zwei Jahren. Da hatten wir mal testweise eine abbaubare Tüte in der Abteilung. Und dann häuften sich die Mails, warum Bio verpackt ist und alle Tüten aus Plastik sind.

Wie haben Sie das Projekt umgesetzt?
Krich: Wir haben jetzt zwei Arten von Tüten. Die eine ist aus Milchsäure mit einer Verrottungszeit von sechs Monaten. Für lose Bio-Ware haben wir eine zweite, andersfarbige Tüte aus nichtgenmanipulierter Maisstärke. Die ist zu 90 Prozent abbaubar. Alles besser als Plastik.

Wie groß ist der preisliche Unterschied?
Krich: Die Tüten sind 30 Prozent teurer und man muss große Mengen abnehmen. Wir sind schon ein ziemliches Risiko eingegangen.

Fehlt eigentlich nur noch, dass das national ausgerollt wird …
Krich: Wir haben das mit Risiko, Mut und Investitionsbereitschaft angestoßen. Ich hoffe doch sehr, dass die Zentralen nachziehen.
Reuter: Wenn der Druck da ist und der ist ja auf Kundenseite gegeben, dann geht es meist ganz schnell.

Sie sind absolute O&G-Visionäre. Welche Wünsche haben Sie an Ihre Mitspieler?
Reuter: Ich würde mir wünschen, dass die Industrie uns dabei unterstützt, unsere Mitarbeiter auszubilden. Ich würde mir auch mehr Austausch wünschen. Wir müssen doch gemeinsam über den Einkauf der Zukunft reden.
Krich: Die Ausbildung ist das A und O. Hier brauchen wir dringend praktikable Lösungen. Und noch ein Appell an die Chefs da draußen: Lasst eure Leute machen! Kreativität darf man nicht bremsen.
Reuter: Bei O&G brauchst du die Verrückten, die anders denken. Und die muss man halt einfach laufen lassen.

Matthias Reuter, Achim Krich, EDEKA, Rewe, Wettberwerb, Obst, Gemüse, Handelszentrale
Matthias Reuter Foto: Christoph Petras
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Achim Krich Foto: Christoph Petras
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Achim Krich Foto: Christoph Petras
Matthias Reuter, Achim Krich, EDEKA, Rewe, Wettberwerb, Obst, Gemüse, Handelszentrale
Matthias Reuter Foto: Christoph Petras
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Matthias Reuter Foto: Christoph Petras
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Achim Krich Foto: Christoph Petras
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Achim Krich Foto: Christoph Petras
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