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„Wir reden zu viel und tun zu wenig“

In den nächsten zwei Jahren setzt Alain Caparros der Rewe Group große Ziele: Nummer eins im Online-Handel werden, Nachhaltigkeit massentauglich machen und den Supermarkt neu erfinden.

Rewe-Chef Alain Caparros
"Sie haben wohl nicht das Manager-Magazin gelesen?! Angeblich bin ich ein Diktator", kokettiert Rewe-Chef Alain Caparros im Gespräch mit der Rundschau (Fotos: Andre Dahms)
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Von Linda Schuppan, Jens Kemle

Herr Caparros, Sie prognostizieren jedes Jahr aufs Neue schwere Zeiten. Wie kritisch blicken Sie auf 2014?
Caparros: Ich agiere lieber nach dem Vorsichtsprinzip, als mich überrollen zu lassen. 2014 wird kein einfaches Jahr. Der Mindestlohn muss finanziert werden, die Energiewende auch – diese Kostensteigerungen müssen wir verkraften. Wir haben hohe Investitionen zu bewältigen, unser Rohertrag gerät immer mehr unter Druck und die Umsätze wachsen nur moderat.

Das klingt ein bisschen nach der Quadratur des Kreises?
Caparros: Nun, wir sind kreativ genug, um Lösungen zu finden. 

Sie wollen Penny in den Griff kriegen, müssen ProMarkt verdauen, wollen Nachhaltigkeit massentauglich machen und den E-Commerce-Markt erobern. Wie schaffen Sie es, dass diese Themen die Rewe nicht zerreißen?
Caparros: (lacht) Sie haben wohl nicht das Manager-Magazin gelesen. Angeblich bin ich ein Diktator. Aber Spaß beiseite: Das Ganze ist eine gewaltige Kraftanstrengung für alle. Das schaffen wir nur mit Zusammenarbeit und Zusammenhalt. 

Sie leben ein schnelles Tempo vor. ?Wie nehmen Sie Ihre Mannschaft mit?

Caparros: In einer solch großen Gruppe wie der Rewe hat man es selbstverständlich auch mit passivem Widerstand zu tun. Da hilft nur Überzeugungsarbeit. Und: Wir müssen diejenigen stärken, die jeden Tag einen Teil des großen Rucksacks schleppen, den wir zu tragen haben. 

Wie binden Sie dabei die Kraft Ihrer selbstständigen Kaufleute mit ein?

Caparros: Ein Kaufmann hat etwas, was ein Manager nicht immer hat: eine unvergleichliche Nähe zum Kunden. Ein Kaufmann denkt nicht kurzfristig. Das kann er sich nicht leisten. Diese Denkweise müssen wir mehr ausschöpfen.

Will heißen: Ein Manager sollte mehr wie ein Kaufmann agieren?
Caparros: Meine Vision sieht so aus, dass wir in zehn Jahren keinen Unterschied mehr machen zwischen einem Kaufmann und einem Manager. In einem Markt kann man in einer Stunde mehr lernen als in acht Stunden in einer Vorstandsetage. 

Dann bräuchte also jeder Manager einen eigenen Markt und jeder Kaufmann Einblicke in die Vorstandsetage? 
Caparros: Das wäre die Konsequenz aus meiner Vision. Bis es soweit ist, brauchen wir mehr Austausch untereinander. Ziel ist es, die Kaufleute stärker in unsere Entscheidungsprozesse zu integrieren. Was wir brauchen ist eine Symbiose. Unsere Streuverluste sind einfach noch zu groß.

Ein Thema, bei dem Management und Unternehmertum gegensätzliche Überzeugungen haben dürften, ist das Thema E-Commerce. Hier wollen Sie bald richtig durchstarten. Wie überzeugen Sie Ihre Kaufleute von dieser Marschroute?
Caparros: Wenn wir Online verstehen, könnten wir die Nummer eins in Deutschland werden. Als Marktführer hat man Vorteile, die andere nicht haben. Das ist eine einfache Rechnung, die jedem einleuchten dürfte.

Sie haben bei Online viel verschlafen, sagen Sie selbst. Jetzt sprechen Sie davon, die Nummer eins zu werden. Sie scheinen die Extreme zu mögen?…
Caparros: Wir haben bei ProMarkt einmal den Zug verpasst. Das ist peinlich genug. Ein zweites Mal wäre fatal. Was wir brauchen ist ein sinnvolles Zusammenspiel zwischen stationärem Handel und Online-Modellen.

Viele sagen, eine Koexistenz von On- und Offline kann es nicht geben. Was sagen Sie dazu?
Caparros: So schlau möchte ich gerne sein. Für mich sind solche Aussagen der Beweis dafür, dass niemand weiß, wohin der Zug fährt und mit welcher Geschwindigkeit er unterwegs ist. Uns bleibt nur die Flucht nach vorne. Ich weiß nur eines: Wir müssen in diesem Zug im Abteil sitzen und die Reise mitmachen?…

Wie weit sind Sie schon?
Caparros:
 Wer der Beste auf dem Markt sein will, braucht auch die beste Mannschaft. Die stellen wir uns gerade zusammen – mit Spezialisten aus ganz Europa, die wissen, wovon sie reden.

Wird E-Commerce zur neuen strategischen Geschäftseinheit? 
Caparros: Wir werden unsere Organisationsstruktur mit Sicherheit anpassen müssen. Eine eigene Geschäftseinheit ist ein möglicher Denkansatz. Aber so weit sind wir noch nicht. Jetzt müssen wir einfach hartnäckig und mit vollem Einsatz am Thema dran bleiben.

Ohne Akzeptanz in den eigenen Reihen dürfte es schwer werden, mit E-Commerce erfolgreich zu sein.Sehen Sie das anders?
Caparros: Ich sehe das so: Wir pflanzen der Rewe Group ein neues Organ ein. Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir es nicht wieder abstoßen. Für die Behauptung unserer Marktposition ist dieses Geschäftsmodell nun mal überlebenswichtig. 

Was wird noch für die Vollsortimenter übrigbleiben, wenn immer mehr Konsum in den E-Commerce abwandert?
Caparros: Wenn Online eines Tages den Grundbedarf abdeckt, schmälert das natürlich langfristig die Sortimente in den Märkten. Andererseits behält der stationäre Handel den Vorteil des Impulsgeschäftes. Wir dürfen unsere Kunden nicht nur satt machen – wir müssen sie auch zum Genuss verführen. Ich bin davon überzeugt, dass wir den Supermarkt ganz neu erfinden müssen. 

In welche Richtung denken Sie dabei?
Caparros: Die Handelslandschaft ist langweilig und uniform geworden. Davon müssen wir uns verabschieden. Wir brauchen mehr soziale Begegnungsstätten, wo Kunden Gäste sind, keine Störenfriede.

Sie testen mit „Made by Rewe“ ein neues Gastrokonzept. Ist das schon ein Blick in die Zukunft des Supermarktes?
Caparros: Made by Rewe ist ein Labor, eine grobe Idee, wie es funktionieren könnte. Wir brauchen solche Testkulturen. Daraus ziehen wir wichtige Erkenntnisse.

Eine andere Testkultur ist „Penny Express“ – auch ein Versuchslabor?
Caparros: Das ist eine rein italienische Angelegenheit. Bei Penny Express testen wir ein Kleinformat mit Convenience-Ansätzen auf 300 bis 500 Quadratmetern, um unsere Expansion weiter fortsetzen zu können. Das funktioniert nur in urbanen Lagen. Dort sind passende Flächen Mangelware. Also müssen wir uns anpassen.

Ist Penny Express in Deutschland für Sie grundsätzlich ausgeschlossen?
Caparros: Ja, denn wir haben auf dem Inlandsmarkt schon genügend zu tun.

Wo besteht der größte Handlungs-bedarf für Penny Deutschland?
Caparros: Wir müssen mit Penny mehr Kunden erreichen und mehr Umsatz machen, um 2016 den Break-even zu erreichen. 2013 war für Penny ein Jahr mit einer guten Umsatzsteigerung. Im laufenden Jahr werden wir alle Filialen auf das neue Flächenkonzept umstellen.

Aldi ist immer für Überraschungen gut. Seit kurzem mischen die Mühlheimer das Kaffeekapselgeschäft samt Maschine auf. Warum schafft das Penny nicht?
Caparros: Dieselbe Maschine wollten wir vor Jahren mit Penny etablieren, haben es aber nicht geschafft. Uns hat die nötige Implementierungskraft gefehlt. Aldi dekliniert seine Ziele konsequent durch. Das haben wir noch nicht ausgeschöpft. 

Beim Durchdeklinieren geht allerdings auch viel Individualität verloren?
Caparros: Nicht, wenn man es intelligent macht. Kaufland zum Beispiel gilt in Kundenumfragen als der netteste Player mit dem freundlichsten Personal. Das heißt aber nicht, dass Kaufland auch wirklich freundlich ist. Die Mitarbeiter sind vielmehr darauf trainiert, „Danke“ und „Guten Tag“ zu sagen. 

Die Discounter greifen sukzessive die Profilierungsfelder der Vollsortimenter an. ?Was, wenn der Discounter zum Vollversorger wird?
Caparros: Das ist ein Wettlauf mit der Zeit. Das Vollsortiment hat eben keine Kosten- und Preisführerschaft. Langfristig müssen wir uns immer wieder differenzieren, sonst verlieren Supermärkte ihre Daseinsberechtigung.

Frau Büchel, seit Jahren treiben Sie das Thema Nachhaltigkeit akribisch voran. Sind Sie zufrieden mit dem Erreichten?
Büchel: In unseren eigenen Reihen haben wir schon eine breite Akzeptanz. Die Herausforderung ist jetzt, die Kunden stärker mitzunehmen. Und: Das Thema muss auf den Flächen noch sichtbarer werden.

Wie wollen Sie das schaffen?
Büchel: Indem wir unsere Eigenmarken intelligenter in die gesamte Sortimentspolitik einbinden und dadurch das Pro-Planet-Label noch bekannter machen. Ein Schritt in diese Richtung ist die Kommunikation der jeweiligen Nachhaltigkeitsaspekte auf den Produkten.

Versteht das überhaupt jemand?
Büchel: Viel Platz, um zu erklären, warum ein Produkt nachhaltiger ist als ein anderes, haben wir auf den Verpackungen nicht. Wir können hier tatsächlich nur Stichworte liefern, die wir im Internet allerdings vertiefen. Wer Antworten, will findet sie bei uns auch.

Alles und nichts ist nachhaltig. Wie bringen Sie Ihr Verständnis den Kunden bei?
Büchel: Nun, absolute Nachhaltigkeit gibt es ohnehin nicht, da man in irgendeiner Form immer Ressourcen verbraucht. Deshalb sprechen wir ja auch nie von nachhaltigen Lebensmitteln, sondern betonen, dass wir nachhaltigere Angebote im konventionellen Sortiment machen.

Ärgert es Sie eigentlich, dass andere Sie munter kopieren?
Caparros: Warum sollte es? Das muss man erst einmal erreichen. Das Entscheidende ist, den Abstand zu halten. Das geht nur von innen heraus, über die Mitarbeiter. 
Büchel: Jeder, der bei der Rewe Group arbeitet, sollte ein Herz für Nachhaltigkeit mitbringen. Mitarbeiter sind und bleiben der beste Multiplikator.

Sie wollen mit Nachhaltigkeit raus aus der Nische. Warum taucht das Thema dann nicht stärker in der Werbung auf?
Büchel: Ich finde schon, dass wir viel Werbung dafür machen. Allerdings kommunizieren wir nichts, was nicht wirklich Substanz hat und nicht glaubwürdig ist, sonst wird man über kurz oder lang als „Greenwasher“ entlarvt.

Rewe setzt einerseits auf Kunden mit Anspruch, kommuniziert andererseits Dumpingpreise. Wie passt das zu mehr Nachhaltigkeit?
Caparros: Wir brauchen beides: den Anspruch und günstige Preise. Unsere Preiswahrnehmung muss besser werden, daran arbeiten wir. Vielen Menschen ist 1,20 Euro für ein Stück Butter zu teuer, für eine Tasse Cappuccino geben sie dann aber 3,50 Euro aus. Ich lerne daraus: Dann müssen wir eben Cappuccino verkaufen. 

Bei wie viel Preisaufschlag für mehr Nachhaltigkeit steigen die Kunden aus?
Büchel:
 Das kann man nicht über einen Kamm scheren. Aber es gibt Tendenzen. Bei Obst und Gemüse werden im Bio-Bereich schon mal 15 bis 20 Prozent mehr akzeptiert. Schwierig ist es bei Fleisch. Da hört das Verständnis vielfach auf.
Caparros: Zum einen kann das Produkt nicht nachhaltig genug sein – alles soll noch sozialer und noch ökologischer sein, darf aber nicht mehr kosten. Durch dieses Spannungsfeld müssen wir durch, Nerven bewahren und geduldig sein.

Preisen Sie die Mehrkosten bei Pro- Planet-Produkten dann überhaupt ein?
Caparros: Natürlich. Wir sind ja kein Wohlfahrtsverein. 
Herr Caparros, Sie beklagen sich immer wieder darüber, dass die Medien Sie unfair behandeln. Inwiefern?
Caparros: Ich beklage mich nicht über die Medien insgesamt. Sondern über einzelne unfaire Berichterstattungen. Leider ist es oft so: Wenn einer etwas Gutes tut, liest oder hört man kaum davon. Wehe aber, es passieren Fehler, dann sitzt man auf der Anklagebank. Das ist unfair?…

Viele gehen mit ihren Rechtsabteilungen gegen vermeintliche Verunglimpfungen vor. Was tun Sie?
Caparros: Wir liefern lieber Fakten. 
Büchel: Jeder kann uns an unseren Aktionen messen. Wir agieren völlig transparent. Durch unseren Nachhaltigkeitsbericht machen wir uns messbar. 
Was macht Sie eigentlich immer wieder so sicher, dass sich das Investment in Nachhaltigkeit auszahlt?
Caparros: Die Frage ist doch vielmehr: Was kostet es uns, wenn wir es nicht tun? Wir können nicht einfach so weitermachen, ohne an morgen zu denken. Für mich ist das Thema Nachhaltigkeit die Marktlücke der Zukunft – und ein schlau-es Investment noch dazu.

Herr Caparros, Sie haben viele Themen und Veränderungen angestoßen. 2016 soll Schluss sein. Was wird dann aus den vielen schönen Visionen?
Caparros: Nach mir werden bessere Leute kommen. Das ist mein Credo. Die Luft wird immer dünner. Da können nur die Besten überleben.

Rewe-Chef Alain Caparros
Rewe-Chef Alain Caparros
Rewe-Chef Alain Caparros
Daniela Büchel, die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Rewe Group
"Wir sprechen nie von nachhaltigen Lebensmitteln, sondern betonen, dass wir nachhaltigere Angebote im konventionellen Sortiment machen", so Daniela Büchel, die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Rewe Group
Daniela Büchel, die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Rewe Group
"Wir sprechen nie von nachhaltigen Lebensmitteln, sondern betonen, dass wir nachhaltigere Angebote im konventionellen Sortiment machen", so Daniela Büchel, die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Rewe Group
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