Der Trend „Achtsames Trinken“ nimmt kontinuierlich an Fahrt auf, er bedeutet: ein bewussterer Umgang mit Alkohol, eine immer höhere Nachfrage nach Getränken mit wenig (bis 0,5 %) und häufig gar kein Alkohol (0,0 %) als auch ein Bewusstsein über Menge und Qualität der Getränke. Isabella Steiner, Autorin und Gründerin des ersten alkoholfreien Spätis Deutschlands, erklärt: „Um Mindful Drinking in den Alltag zu integrieren, kann man sich folgende Fragen stellen: Was trinke ich? Wie viel trinke ich? Mit wem trinke ich? Wann trinke ich? Wieso trinke ich (Anlass)? Mit diesen 5 W-Fragen kommt man seinem eigenen Alkoholkonsum näher.“ Denn oft sage man, ich trinke gar nicht so viel. Doch genau betrachtet sei das ein Trugschluss. Zu achtsamen Trinken gehört „nicht nichts zu trinken, sondern achtsamer, bewusster, weniger und qualitativ wertvolleres“.
Achtsames Trinken: Genuss statt Wirkung
Die Konsumenten achten zunehmend darauf, welchen und wie viel Alkohol sie zu sich nehmen. Daraus hat sich die Bewegung des achtsamen Trinkens entwickelt. Produzenten sind immer mehr gefragt, dem Wunsch der Kunden nach gesünderen, natürlicheren Produkten nachzukommen.
Weniger, aber bewusster
Es sei wichtig, sein eigenes Trinkverhalten zu verstehen. Auf dieser Basis können bewusstere Entscheidungen getroffen und Gewohnheiten geändert werden. Die Bewegung startete 2014, dem Geburtsjahr des ersten alkoholfreien Gins, hervorgebracht vom britischen Unternehmen Seedlip. Es hat als erste Marke hochwertige alkoholfreie Alternativen angeboten – das war der erste Ausläufer des achtsamen Trinkens. 2019 dann haben Isabella Steiner und Katja Kauf das Thema nach Deutschland gebracht. Sie starteten mit einer reinen Content-Plattform, auf der sie sich vollends dem Thema achtsamen Trinken widmeten. Dabei war es ihnen von Anfang an wichtig, das Thema nicht aus der Sucht-Perspektive zu erzählen, was natürlich auch ein Teilaspekt sei, sondern das Alltags-Trinken in den Vordergrund zu stellen.
Im Oktober 2020 sind sie mit nüchtern.berlin, dem ersten alkoholfreien Späti in Berlin, und einem zugehörigen Onlineshop gestartet. Seitdem verzeichnen sie eine steigende Entwicklung, mittlerweile hat das Start-up ein Team von sechs Leuten und verschickt die Waren europaweit. „Wir wollen alkoholfrei cool und gesellschaftsfähig machen – weg von Rhabarberschorle, Mocktails und Wasser“, so Steiner. Sie sagt, mit ihrem Buch „Mindful Drinking. Nüchtern, happy, katerfrei – mit Genuss zum gesunden Maß“, das Ende September erschienen ist, haben sie dafür eine Grundlage geschaffen.
Nicolas Rampf, Managing Director DACH Bacardi, kommentiert: „Wir bei Bacardi unterstützen ‚Mindful Drinking‘ und fördern bereits seit einiger Zeit das Konzept des ‚Sip and Savor‘. Mit der Pandemie, die in diesem Jahr unser aller Alltag verändert hat, ist das Interesse an diesen Trends weiter gestiegen, und der Wunsch nach Cocktails mit wenig bis gar keinem Alkohol steigt. ‚Mindful Drinking‘ bedeutet aber nicht einen Verzicht auf Alkohol. Es geht vor allem darum, weniger Alkohol zu konsumieren und dafür bewusster. Wir freuen uns daher umso mehr, zu beobachten, dass immer mehr Zeit darauf verwendet wird, Cocktails mit qualitativ hochwertigen Spirituosen zuzubereiten, wie beispielsweise den Grey Goose Espresso Martini Cocktail oder den Old Fashioned mit Bacardi Ocho Rum.“ Auch Produkte mit wenig bis sehr geringem Alkoholanteil hat das Spirituosen-Unternehmen im Portfolio – wie die Aperitifs Martini Alkoholfrei Vibrante und Floreale.
Generation Sober
In den vergangenen Jahren hat sich die Einstellung zum Alkohol stark verändert, dies gilt ganz besonders für die Millenials und die Generation Z, letztere wird bereits als „Generation Sober“ bezeichnet. Im Jahr 2020 sank laut der Marktanalysefirma International Wine & Spirit Research (IWSR) der Alkoholkonsum in zehn Schlüsselmärkten – darunter die USA, Deutschland und Japan – um fünf Prozent. Zugleich stieg der Absatz von alkoholarmen und alkoholfreien Getränken im gleichen Zeitraum um ein Prozent. Zwar übertreffe die Kategorie Alkohol bei weitem die mit alkoholarmen oder -freien Getränken, doch der Markt für alkoholarme und -freie Getränke wachse zwei bis drei Mal schneller als der für Alkohol. Doch auch die älteren Altersgruppen setzen sich zunehmend, durch das gestiegene Bewusstsein für Gesundheit, mit dem eigenen Trinkverhalten auseinander. Isabella Steiner beobachtet, dass vermehrt den Menschen ab 39 die Auswirkungen von Alkohol bewusst werden: Er ist gesundheitsschädigend, schlafstörend und lässt einen schneller altern. Manche wiederum mögen kein Alkohol, sind schwanger oder gegen Alkohol allergisch. Auch gibt es gesundheitliche Gründe, die es verbieten Alkohol zu trinken, bei Medikamenteneinnahme oder Krebspatienten. Diese Menschen kriegen durch alkoholfreie Getränke ein bisschen Lebensqualität zurück.
„Achtsames Essen war zuerst da: vegan, vegetarisch, sämtliche Diätformen. Ich sag gerne: alkoholfrei ist das neue Vegan. Weil es ein Trend ist, der zuerst belächelt wurde, und dann immer ernst zu nehmender wurde“, so Steiner. Außerdem sei Achtsames Trinken auch eine Gegenbewegung zum vielen Trinken während Corona und des Lockdowns. Steiner hatte viele Kunden, die ihrem Immunsystem nicht noch eine zusätzliche Komplexität zumuten, mit Kater oder Kopfschmerzen, und gerade deswegen nicht trinken möchten.
„Was ist gut für mich?“, ist die seit der Pandemie Leitfrage der verstärkten Selbstfürsorge, daraus folgt eine erhöhte Sensibilität für Gesundheit und das eigene Körperbewusstsein. Aktuell besteht für Getränkehersteller die Herausforderung, Genuss und Gesundheit miteinander in Einklang zu bringen. Gesund zu leben bedeutet nicht Verzicht auf guten Geschmack. Wer dies vermittelt, gewinnt die Aufmerksamkeit immer anspruchsvollerer Kundengruppen. Getränkehersteller sind für Verbraucher nicht mehr nur Produzenten, sondern sollen mit ihren Produkten einen ganzheitlichen Lebensstil fördern. Gerade der Zusammenhang zwischen mentalem und physischem Wohlergehen nimmt hierbei einen hohen Stellenwert ein.
Laut der IWSR ist die beliebteste Gelegenheit für den Konsum von alkoholfreien/alkoholarmen Produkten das Entspannen zu Hause (64 %). Zudem zeigt die Untersuchung auch, dass die Verbraucher durchweg den Geschmack als ausschlaggebend für den Konsum von alkoholfreien/alkoholarmen Getränken ansehen. Dies unterstreicht: Verbraucher sind im Allgemeinen bereit, für ein alkoholfreies/alkoholarmes Getränk einen ähnlichen Preis zu zahlen wie für ein vollwertiges Getränk.
In der Pandemie wurde der gestiegene Alkoholkonsum auch in den Medien intensiv besprochen. Menschen, die bereits wenig Alkohol konsumierten, behielten diesen Konsum entweder bei oder sie gingen dazu über, den Alkoholkonsum weiter zu reduzieren oder ganz aufzugeben. Dabei probierten sie mehr alkoholarme und alkoholfreie Getränke aus und gaben so den alkoholfreien Bars einen Schub. Das wachsende Interesse an Gesundheit und Wellness hat den Trend des „Sober Curious“ und speziell der Sober Bars sehr gefördert.
Nüchtern, aber neugierig
Der Trend des Sober Curious schwappt zunehmend aus den USA nach Europa. Hierbei sind Party-People auch ohne Alkohol gut gelaunt, sie feiern Sobriety-Partys und gehen in immer beliebtere Sober Bars mit rein alkoholfreien, aber ausgefallenen Drinks. In den amerikanischen Metropolen lassen sich immer mehr Großstädter in den Bann der Sober Curious Bewegung ziehen, in der sie „nüchtern, aber neugierig“ ein Leben in Nüchternheit mitsamt aufregenden Mocktail-Zutaten feiern, zum Beispiel in der New Yorker Bar „Getaway“. Sogar in Irland, ein Land bekannt für seinen Whiskey und Bier, gibt es mittlerweile die Virgin Mary Bar, in der nur alkoholfreie Getränke ausgeschenkt werden, mitsamt einem Onlineshop.
Zudem gibt es weltweit die Aktion des Dry January, der Anreize bietet, einen Monat lang abstinent zu leben. In vielen Ländern, wie Deutschland, Großbritannien, den USA oder Frankreich, versuchen jedes Jahr mehr Menschen die Herausforderung des alkoholfreien Monats.
Laut Umfragen, die das Unternehmen Bacardi bzw. dessen Marke Martini in Zusammenarbeit mit Civey durchgeführt hat, findet der trockene Monat immer mehr Anklang: Fast jeder Vierte (22 Prozent der Teilnehmer) zog in Betracht, den „Dry January“ 2022 umzusetzen – im Vorjahr waren es noch 18,5 Prozent.
Interessant ist: Laut der diesjährigen Martini-Studie wollten sich gerade die Bundesländer aus den nördlichen Regionen, wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, dieses Jahr mit je knapp 24 Prozent pro Bundesland im regionalen Vergleich am stärksten am „Dry January“ beteiligen. Sie sind es auch, die während der Corona-Pandemie den Alkoholkonsum reduzierten. Das Interesse an einer Teilnahme im Süden wie in Bayern oder in Baden-Württemberg ist deutlich geringer.
Weitere Nüchternheits-Challenges sind der Dry February, Sober Spring, Dry July und Sober October. Diese Bewegungen führen zu einer Explosion neuer alkoholfreier Produkte.
Thomas Lorenz, Verkaufsleiter bei Getränke Degenhart, hat seit September den alkoholfreien Gin NoMoorgin Alkoholfrei ins Sortiment aufgenommen, wie erwartet sei die Nachfrage sehr groß.
In den letzten Jahren lag der Fokus vor allem auf der Abwandlung von Spirituosen. Seitdem Seedlip den Markt eröffnete, hat der Markt dynamisch reagiert, mit einem mittlerweile umfassenden Angebot. So haben bereits bestehende Spirituosenhersteller alkoholfreie Alternativen entwickelt, wie beispielsweise Humboldt „Freigeist“ (von Humboldt Gin), dem Berliner Brandstifter „No Gin“ oder der wortspielerische „Social Virgin“ als alkoholfreier Kompagnon des Quarantini Social Dry Gin (hergestellt von der Destille Kaltenthaler). Andererseits kamen neu gegründete Firmen hinzu, die alkoholfreie Alternativen bieten. Das Berliner Start-up Laøri hat alkoholfreien Gin und Rum im Angebot, ebenfalls die junge Hamburger Marke Undone, sie haben zusätzlich noch einen Bitterlikör Alternative.
Aktuell ist der Wein an der Reihe, in der alkoholfreien Variante seinen Aufschwung zu erleben. Lorenz erklärt: „Anfang 2021 haben wir drei alkoholfreie Weine (weiß, rosé, rot) des Weines Free von Bree gelistet, bis Ende Juni hatten wir insgesamt um die 600 Flaschen verkauft. Das ist bemerkenswert, insbesondere dafür, dass wir den Wein davor noch nicht geführt hatten. Jeden Monat ist überproportionales Wachstum zu verzeichnen.“
Auch Schloss Wachenheim hat im August unter der Alkoholfrei-Marke Light seine ersten Produkte mit 0,0 % Alkohol gelauncht, vegan, kalorienreduziert und mit 0,0 % Alkohol. Denn vornehmlich gewinnen die alkoholfreien Alternativen zu Wein und Sekt mit einem Plus von 44,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr signifikant an Bedeutung (IRI, 2020).
In dem Späti nüchtern.berlin haben 80 Prozent der Produkte bis zu 0,5 % Alkohol. Steiner erklärt: „Bei alkoholfreiem Wein gibt es zwei Möglichkeiten: entweder ist es entalkoholisierter Wein – ihm wurde also Alkohol entzogen, dabei bleibt immer ein bisschen Restalkohol. Oder es ist Saft der Traube mit 0,00 %. Ein Unterschied, der bei Schwangeren wichtig ist.“
Weiterhin bestätigt Lorenz den Trend hin zu qualitativ hochwertigen Getränken: „Ganz eindeutig wird das in der Warengruppe Wasser, Mineralwasser. Hier orientiert sich der Konsument zunehmend Richtung Markenanbieter/-produkten, nicht No-Name-billig. Auch Glasgebinde gewinnt eindeutig bei uns. Bei Spirituosen ist dies ebenfalls der Fall: Der Kunde traut uns die Kompetenz zu, hochwertige Spirituosen verkaufen zu können. Hier haben wir das Sortiment sehr erweitert, mittlerweile sind mehr als die Hälfte unserer Outlets auf neustem Stand, diese optische Aufwertung vermittelt dem Kunden, dass wir die Kompetenz auch haben, diese Spirituosen verkaufen zu können.“
Auch zukünftig weniger Alkohol
Für das Jahr 2022 prognostiziert Rüdiger Behn,Geschäftsführer des Spirituosenherstellers Waldemar Behn, eine gesteigerte Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Spirituosen. „Generell beobachten wir, dass weniger, aber dafür hochwertigere Spirituosen getrunken werden, Verbraucherinnen und Verbrauchern auf Qualität statt Quantität setzen. Besondere Genussanlässe, wie Geburtstage, Hochzeiten oder Schulabschlüsse, werden durch Spirituosen begleitet und durch Marken emotional aufgeladen. Dadurch steigt auch die Bereitschaft, mal einen Euro mehr auszugeben. Sich in der Pandemie zu Hause was Besonderes zu gönnen, bestätigen auch Mitbewerber“, so Behn. Ein Trend, der sich seit einigen Jahren abzeichnet und auch im neuen Jahr nicht an Bedeutung verlieren wird, ist die wachsende Nachfrage nach lokalen Spirituosen, die Geschichten aus der Region erzählen können.
Den Markeninhabern komme bei der künftigen Entwicklung von alkoholfreien und alkoholreduzierten Produkten eine wichtige Rolle zu, da eine größere Bandbreite an Produkten und Preispunkten das Wachstum der Kategorie unterstützen und ihre Attraktivität erhöhen wird, so Mark Meek, CEO von IWSR.
Bezüglich alkoholfreien Weins zeigen Prognosen von Fact.MR, wie lohnend das Segment ist: Der weltweite Markt für alkoholfreien Wein werde bis zum Jahr 2027 einen Wert von 10 Milliarden Dollar haben.
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INTERVIEW mit Isabella Steiner, Gründerin nüchtern.berlin
Wie gestalten Sie das Sortiment in Ihrem Spätkauf?
80 Prozent unserer Produkte haben bis zu 0,5 Vol.-% Alkohol. Dass es alkoholfreien Gin, Rum, Whiskey und entsprechende Aperitifs gibt, ist den meisten Menschen gar nicht klar. Bei alkoholfreiem Wein gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist er entalkoholisiert – heißt, ihm wurde Alkohol entzogen, dabei bleibt immer ein bisschen Restalkohol. Oder es ist Saft der Traube mit 0,0 %. Ein Unterschied, der bei Schwangeren wichtig ist. Entalkoholisierte Weine schmecken nach Wein.
Was sind beliebte Produkte?
Die beliebtesten Produkte sind unter anderem der Eins-Zwei-Zero Riesling von Leitz, der Vincent Aperitif von Schladerer, der Thomson & Scott „Noughty“ Sparkling/Schaumwein, Kolonne Null Cuvée Rouge No. 2, der Siegfried Wonderleaf Gin, Italian Spritz von Lyre’s oder der Schaumwein von Strauch.
Das Startup gehört zu den „Kultur- und Kreativpiloten 2021/22“. Anfang Februar hat die Bundesregierung 32 der innovativsten Unternehmern dieses Landes als Kultur- und Kreativpiloten Deutschland ausgezeichnet.
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