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Biomarkt: Vorsicht Absturzgefahr

Bio bleibt Beiwerk: Viele Vollsortimenter misstrauen der unsteten Umsatzentwicklung der Kategorie und unternehmen keine besonderen Anstrengungen, um das Thema zu forcieren. Wir haben Experten zum Thema befragt.

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Von Klaus Manz

Interview mit Prof. Dr. Ulrich Hamm, Fachgebietsleiter Agrar- und Lebensmittelmarketing  an der Universität Kassel

Herr Hamm, warum verlieren die Supermärkte beim Bio-Umsatz?
Hamm: Die Konkurrenz um begrenzte Regalplätze führt dazu, dass das Bio-Sortiment oft nicht ausreichend breit aufgestellt ist. Damit wird der Supermarkt nicht als kompetenter Bio-Anbieter wahrgenommen. Die verbleibenden Bio-Artikel drehen sich zu langsam, der Ärger mit kleinen Chargen steigt ebenso rapide wie die Verlustabschreibungen. Das tut dem Händler fürchterlich weh, er verliert die Freude am Bio-Segment.

Wobei es auch Gegenbeispiele gibt...
Hamm: Natürlich. Zum Beispiel bieten Feneberg, Tegut, auch einige selbständige Kaufleute unter dem Dach der großen Ketten sehr kompetent aufgebaute Bio-Sortimente, die professionell geführt und in das unternehmerische Marketing eingebunden sind. In solchen Fällen sind Bio-Umsatzanteile um die 20 Prozent erzielbar.

Wie wird sich der Bio-Markt künftig entwickeln?
Hamm:
 Falls keine gravierenden externen Einflüsse, etwa eine Verschärfung der Wirtschaftskrise in der EU, zu verzeichnen sind, wird der Bio-Markt weiterhin deutlich stärker als der konventionelle Bereich wachsen. Gewinner dieser Entwicklung werden einerseits die Bio-Supermarktketten, andererseits die Verbrauchermärkte und Discounter sein. Konventionelle Supermärkte und kleinflächige Naturkosthändler werden kaum von den Zuwächsen profitieren.

Warum verläuft die Umsatzentwicklung im Bio-Markt so unstet?
Hamm:
 Das hat zu einem Gutteil mit Preiseffekten zu tun. Im Jahr 2008, auch in den Jahren 2011 und 2012 verzeichneten wir sehr hohe Lebensmittelpreise aufgrund von schlechten Ernten bei einigen Agrarprodukten. Betrachtet man den Absatz, also die reine Mengenentwicklung, verläuft die Wachstumskurve deutlich stetiger.

Der Bio-Markt wird zunehmend vom Import getragen?
Hamm:
 Ja, aus im Wesentlichen zwei Gründen. Einerseits wachsen die hiesigen Bio-Anbauflächen deutlich langsamer als die Binnenachfrage. Zum anderen wandelt sich das Verbraucherverhalten. Der moderne Bio-Kunde will seine Bio-Tomate zu jeder Jahreszeit genießen, entsprechend steigt der Umsatz mit importierten Out of Saison-Produkten.

Welchen Einfluss auf die Umsätze haben die so genannten Bio-Skandale? 
Hamm: Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen: Abgesehen vom Nitrofen-Skandal in 2002 hatten tatsächliche oder vermeintliche „Skandale“ kaum Auswirkungen auf den Umsatz. Der moderne Bio-Kunde steht den medial transportierten Themen deutlich gelassener gegenüber. Er hat großes Vertrauen in Bio und ist überzeugt, dass konventionell erzeugte Produkte schlechter sind als Bio-Ware.

Was kann den Bio-Markt noch weiter nach vorne bringen?
Hamm:
 Der Bio-Markt hat sich historisch aus kleinen Einheiten entwickelt und ist nach wie vor von kleinteiligen, bilateralen Strukturen auf der Verarbeitungs- und Lieferebene gekennzeichnet. Engere Kooperationen der Verbände entlang der gesamten Supply Chain könnten zu relevanten Kostenersparnissen und damit zu wettbewerbsfähigeren Endverbraucher-Preisen führen. 

Und beim Sortiment?
Hamm:
 Bio allein genügt dem Kunden von heute und morgen nicht mehr. Die Stichworte lauten Tierschutz, Regionalität, Fairness und soziale Verantwortung bei Produktion und Vermarktung. Hier hat der Bio-Markt noch Probleme, hier steht er vor besonderen Herausforderungen.

 

Interview mit Dr. Alexander Gerber, Geschäftsführer beim Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft

Kann auch künftig von einem nachhaltigen Wachstum des Bio-Segments ausgegangen werden?
Gerber: Genaue Zahlen für das Jahr 2012 liegen uns erst zur BioFach vor, wir gehen jedoch von einer nach wie vor steigenden Nachfrage nach Bio-Produkten aus. Das ist ein langfristiger Trend, der sich noch verstärken wird. Denn der Druck darauf, dass Lebensmittel ökologisch erzeugt werden müssen, wird mit fortschreitendem Klimawandel, der Zerstörung von Böden und knapper werdenden endlichen Ressourcen zunehmen. 

Welches sind die Wachstumshemmer im Bio-Markt? 
Gerber:
 Der größte Wachstumshemmer ist, dass die Preise für Bio-Produkte die Kosten einer umwelt- und tiergerechten Produktion widerspiegeln, während konventionelle Produkte billiger sind, weil Tiere nicht artgerecht gehalten werden und die Kosten der von ihr verursachten Umweltbelastung von der Allgemeinheit getragen werden. Zudem ist durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) der Anbau von Maismonokulturen für Biogas-Anlagen besonders lukrativ. Für den umwelt- und tiergerechten Öko-Landbau ist es innerhalb dieser politischen Rahmenbedingungen kaum noch möglich, wettbewerbsfähig zu bleiben und die Öko-Flächen in Deutschland auszuweiten. Damit wird es immer schwieriger, der nach wie vor stetig wachsenden Nachfrage der Verbraucher nach regional erzeugten Bio-Lebensmitteln nachzukommen.

Warum profitieren Bio- und Naturkost-Fachhändler überdurchschnittlich, die Vollsortimenter unterdurchschnittlich vom Umsatzzuwachs?
Gerber:
 Die Hälfte des Bio-Umsatzes wird in Supermärkten und Discountern gemacht. Auch dort wächst Bio weiter. Aber es stimmt, dass in den letzten Jahren das Wachstum im Bio-Fachhandel überdurchschnittlich war. Das liegt daran, dass die Sortimente im konventionellen Handel inzwischen aufgebaut sind und um Regalmeter mit den konventionellen Waren konkurrieren. Hingegen haben wir nach wie vor keine flächendeckende Versorgung mit Bio-Vollsortimentern, so dass hier noch ein enormes Wachstumspotenzial besteht. Aber auch flächenbereinigt sind mit guter Beratung, Angebotsschwerpunkten, geschickter Sortimentsführung und Preisgestaltung in allen Segmenten weitere Steigerungen möglich.

Was können die Supermärkte aus Ihrer Sicht tun, um ihren Bio-Umsatz zu stärken? 
Gerber:
 Neben der Sortiments- und Qualitätspolitik des Mutterhauses sind das A und O Marktleiter, die etwas von Bio verstehen und denen Bio ein Anliegen ist. Deren Kunst besteht darin, Sortiment, Platzierung, Marketing und Kundeninformation optimal zu gestalten und aufeinander abzustimmen. Dann sind Umsatzanteile von 20 % mit Bio-Produkten im konventionellen Handel möglich.

Prof. Dr. Ulrich Hamm
Prof. Dr. Ulrich Hamm
Dr. Alexander Gerber
Dr. Alexander Gerber
Dr. Alexander Gerber
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