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Category Management: Effizienter, schneller, präziser mit KI?

Welche Chancen eröffnet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bereich des Category Managements? Die wichtigste Erkenntnis unserer Expertenrunde: Ohne KI geht es nicht mehr.

Von Gunnar Brune | Fotos: Adobe Stock/Chaotic Design Studio

Edeka Südwest, SAS, GS1 Germany und Ferrero arbeiten gemeinsam an einem Projekt, welches KI im Category Management testet. Was sind Ihre Ziele?
Dr. Julia Linder: Die GS1 Germany führt den Expertenkreis ECR Demand Side, in dem Vertreter aus Industrie und Handel arbeiten. Seit 2019 beschäftigt uns die Frage, wie die Künstliche Intelligenz das CM beeinflussen wird. Wird KI uns Arbeit abnehmen und wird sie uns vielleicht sogar ersetzen? Vorweg gesagt: Letzteres glauben wir nicht. Der Expertenkreis hat unterschiedliche Anwendungsfälle geprüft und bewertet und einen Anwendungsfall ausgewählt, für den ein Projektteam aus Händler, Hersteller und KI-Experten aufgebaut wurde. 

Wie wurde der Anwendungsfall ausgesucht?
Lukas Kaiser: Für die Antwort haben wir den 8-Schritte-Prozess des CM in seine Teile zerlegt. Begonnen haben wir mit den vermeintlich einfachen Dingen wie der Kategorie-Definition 
und der Bewertung auf Basis von Markt-
forschungsdaten. Dann haben wir festgestellt, dass uns die KI bei der Sortimentsgestaltung helfen kann, denn dort arbeiten wir mit Big Data. Die Herausforderung, die gewaltige Menge an Daten als Mensch verarbeiten zu können, hat mich persönlich besonders interessiert. Dabei ging es mir nicht nur um die Komplexität im CM, sondern um eine höhere Geschwindigkeit, Big Data zu verarbeiten. Dem Algorithmus einer KI ist es prinzipiell egal, ob wir von 100 oder 10.000 Artikeln sprechen. Der Mensch stößt hier schneller an seine Grenzen. 

Wie haben Sie sich als Gruppe gefunden? 
Lukas Kaiser: Das war ein Prozess. In den ersten Schritten waren noch ein anderes Handelsunternehmen und ein weiterer Hersteller beteiligt. Dann haben wir uns nach einem Solution-Partner für Künstliche Intelligenz im Bereich des CM umgesehen. Die Entscheidung fiel am Ende auf SAS. Der nächste Schritt 
war das Aufsetzen eines Test-Settings. In dieser Stufe hat sich das Team dann noch mal verkleinert. 

Wie müssen wir uns den Umfang Ihres Projekts vorstellen?
Oliver Strohmer: Die Projektdefinition war wichtig. Einerseits benötigten wir genü-gend Daten, um eine Bewertung vornehmen zu können. Andererseits haben wir mit allen Projektbeteiligten bald ausgeschlossen, kategorieübergreifend zu arbeiten. Wir hatten zunächst die kompletten Süßwaren ins Auge gefasst, haben uns aber dann auf die Schokoladenwaren fokussiert, weil diese Kategorie schon ausreichend Daten liefert. Nicht zuletzt ist es natürlich auch eine Warengruppe, die von dem Projektbeteiligten Ferrero gut beurteilt werden kann.

Im CM-Prozess haben wir uns auf den CM-Prozess-Schritt 6, die Kategorie-Taktiken, konzentriert. Hier arbeiten und jonglieren wir besonders intensiv mit Daten. Die Idee war deshalb, genau an dieser Stelle mit analytischen Verfahren und durch Automatisierung das CM zu unterstützen. Unsere Datenanforderungen mussten mit den verfügbaren Daten unter Berücksichtigung der Machbarkeit im Projekt abgeglichen werden. Dabei sollten die Datenmengen und deren Bereitstellung im Rahmen bleiben, um sie mit bestehenden Ressourcen verarbeiten zu können. Dieses Projekt lief für viele Beteiligte parallel zum Tagesgeschäft, es musste handhabbar bleiben. So sind wir am Ende auf die Schokoladenwaren gekommen. Ausgeschlossen wurden noch die Saisonsüßwaren mit ihrem sehr speziellen Verkaufsverlauf. 

 


"Ich glaube, dass es in zehn Jahren möglich sein wird, die Daten in die Maschine einzugeben und ein Ergebnis zu erhalten, an das ich einen Haken machen kann."

Lukas Kaiser, Leiter Sortiments- und Werbedienstleistungen, Edeka Südwest


 

Welche Daten sind erhoben worden?
Dr. Julia Linder: Wir wollten ganzheitlich an das Projekt herangehen. Einerseits hatten wir die internen Artikel-Performance-Daten von ausgewählten Regiemärkten der Edeka Südwest, aber wir haben uns darüber hinaus gefragt, ob aktuell Artikel im Sortiment fehlen, die aufgrund ihrer Performance im Gesamtmarkt eigentlich enthalten sein müssten. Daher haben wir die externe Marktsicht als Datenbasis hinzugenommen, damit wir mit der KI auf die Sortimentsoptimierung schauen können. 
Oliver Strohmer: Wir haben Bondaten auf Tagesebene von mehr als zwei Jahren genutzt. Ferrero hat Handelspanel-Daten von IRI zugesteuert. So wurde der Datensatz im Prozess weiter „angereichert“, um die „Edeka-Brille“ abzunehmen und einen Blick auf den Gesamtmarkt zu haben.

Welche sind die wichtigsten Datenquellen?
Lukas Kaiser: Drei Datenquellen standen im Mittelpunkt. Eine Quelle waren die bereits angesprochenen Kassenabverkaufsdaten auf Bonebene. Die zweite Quelle waren die Stammdaten. Dazu zählen auch Daten zur Lager- und Streckenbeziehbarkeit und Regeln wie „Lager vor Strecke“ oder „Strecke vor Lager“. Diese Daten wurden drittens mit den IRI-Daten angereichert. Es gilt natürlich, nicht nur im eigenen Teich zu fischen, sondern mit den externen Daten aus den „Weltmeeren der Artikel“ noch weitere starke Artikel herauszuangeln. Das führt zu der Frage: Wie gut würden sich die Artikel, die ich nicht führe, in meinen Märkten verkaufen? Bisher würde dazu eine Top-Verkaufsliste erstellt und geprüft werden, warum Artikel nicht gelistet wurden. Sind sie vielleicht in einer anderen Grammatur vorrätig oder ist es eine exklusive Discount-Listung? Dies und mehr muss bisher manuell geprüft werden. 

Was gab es noch für Herausforderungen?
Lukas Kaiser: Wir sind im Lebensmittelhandel sehr schnelllebig. Artikel ändern sich ständig. Extrem schwierig waren für uns Artikel, die für die Endverbraucher die gleichen sind, aber eine neue GTIN haben, etwa durch eine neue Verpackung oder eine neue Grammatur. Dann ist die Datenhistorie nicht mehr stringent. 

Das Supermarktsortiment verändert sich so schnell?
Lukas Kaiser:
Es ist unglaublich, welche Veränderungen hier stattfinden. Bei Zahnpasta etwa gibt es Artikel, die im Jahr vier- bis fünfmal die GTIN wechseln. Diese auf zwei Jahre rückwirkend zu verfolgen ist nachträglich fast nicht möglich. Wir brauchen lieferantenseitig eine Nachfolgerregelung für Artikel. Wir schaffen das hausintern bei einzelnen Artikeln, aber eigentlich ist dies eine große Herausforderung für die ganze Branche.

Könnte KI den Stammbaum der verschiedenen Zahnpasten erstellen?
Oliver Strohmer:
 Wenn wir aus den Stammdaten wissen, welche Eigenschaften ein Artikel hat, dann können wir diese algorithmisch verarbeiten und ähnliche Artikel matchen. Dies nutzen wir zum Beispiel im New-
Product-Forecasting, weil neue Produkte keine historischen Daten haben, auf denen eine Prognose beruhen könnte. 

Wie ging es weiter mit der Entwicklung?
Oliver Strohmer:
 Das Projekt war natürlich ein iterativer Prozess. Man wird schrittweise besser und lässt neue Erkenntnisse einfließen. Obwohl das Shopperverhalten auf Artikel-/ Filialebene analysiert wird, versuchen wir, 
Gemeinsamkeiten für Artikel- oder Filialgruppen zu finden. Wir haben geprüft, welche Artikel von den Shoppern zusammen gekauft werden, welche Artikel von bestimmten Shoppertypen gekauft werden und welche sich substituieren. Damit haben wir „Units-of-need“ gebildet, also Bedarfseinheiten. 

Lukas Kaiser: Die Units-of-need waren für mich ein absolutes Highlight. Dabei waren sie ein frühes Ergebnis im Prozess. Die KI hatte in den Transkations-Kassendaten Korrelationen erkannt, und daraus konnten nachvollziehbare Erkenntnisse gewonnen werden. Mein Lieblingsbeispiel: Es gibt verschiedene Cluster für Preiseinstiegs-Schokolade, zum Beispiel unsere Eigenmarke und Alpia. Aus beiden Clustern fallen die weißen Schokoladen als jeweils eigene Unit-of-need heraus. Wenn ich bisher für einen kleinen Markt eine Sortimentsempfehlung entwickelt habe, habe ich für den Preiseinstieg nur unsere Eigenmarke mit ihren Schnelldrehern aufgenommen. Wahrscheinlich hätte ich auf die weiße Schokolade verzichtet. Das sehen wir jetzt anders. Mit der weißen Schokolade der Eigenmarke im Preiseinstieg spreche ich eine eigene Unit-of-need an und somit einen Shopper, dessen Bedürfnis ich sonst in meinem Markt nicht bedienen kann. 


"Ich denke, es wird die „hybride Intelligenz“ sein, die Verbindung zwischen den Menschen und der künstlichen Intelligenz, die am Ende der Erfolgsfaktor ist."

Dr. Julia Linder, Manager, Shopper Experience, GS1 Germany


Durch diese Musteranalysen erhalten Sie klarere Hinweise, wie Sie Shopper gewinnen, halten oder verlieren?
Lukas Kaiser:
 Mit der Unit-of-need verstehe ich die Shopperperspektive. Ich sehe, wie die Reaktion am Regal ist. Ich kann nachvollziehen, wie Artikel substituiert werden, welche Artikel zusammen gekauft werden oder welche Shopper ohne Kauf das Geschäft verlassen, weil ihre Wunschartikel in keiner angebotenen Unit-of-need sind.

Sie könnten dies auch selbst herausfinden, aber mit KI geht es schneller?
Lukas Kaiser: Ja. Korrelationsanalysen gehören zu meinem Tagesgeschäft. Aber wenn ich nicht weiß, wonach ich suche, ist das ohne KI wie das Suchen einer Nadel im Heuhaufen.

Welches Resümee konnten Sie ziehen?
Lukas Kaiser: 
Ein Kernsortiment würde ich dem Algorithmus heute schon zutrauen, denn die wichtigsten 80 Prozent eines Sortiments werden schon sehr gut gefunden. Bei den letzten zehn bis 20 Prozent muss man aufpassen. 

Welche Methoden kamen zum Einsatz? 
Oliver Strohmer: 
Dazu möchte ich eines betonen: Wir sind nicht mit der Prämisse an dieses Projekt herangegangen, dass wir Machine-Learning-Algorithmen einsetzen müssen. SAS nutzt grundsätzlich die jeweils passende Analytik für das Problem. Auch in diesem Projekt war dies häufig eben nicht reines Machine Learning. Wir sagen deshalb, dass wir Advanced Analytics für die einzelnen Schritte einsetzen und für jede Frage die beste Methode auswählen. Der erste Schritt war, die passende und vergleichbare Testfilialen herauszufinden. Im zweiten Schritt wurden dann Kunden-Bedarfscluster gesucht, etwa Familien mit Kindern, Schüler. Darauf aufbauend haben wir den Kaufentscheidungsbaum und den Suchprozess der Shopper berücksichtigt. Dieser war dann die Basis für die Units-of-need. Also genau das Beispiel der weißen Schokolade, die ich führen muss, weil ich sonst Shopper verliere.

Dr. Julia Linder: Der Kaufentscheidungsbaum ist ein ganz zentrales Element des CM, weil in ihm definiert wird, nach welchen Kriterien die Kaufentscheidung des Shoppers in der Kategorie abläuft, und im Suchprozess, wie die Suche des Shoppers am Regal abläuft. Durch den Einsatz von KI können wir noch präziser in die Daten einsteigen und fragen, welche Bedürfniseinheiten es gibt, welche Substitutsprodukte im Sortiment sind oder nicht.
Oliver Strohmer: Einer der nächsten Schritte war die Bedarfsprognose für die Filialen. Hier flossen IRI-Daten, Filialeigenschaften und Produkteigenschaften mit ein.

Dazu kam die Bewertung, wie genau die Vorhersage sein kann, also die Prognosegenauigkeit. An dieser Stelle folgt die Optimierung. Hier kommen Sortimentsregeln und Einschränkungen eine ganz wichtige Rolle zu. Kein Regal ist unendlich groß. Einige Parameter wurden im Nachhinein zusätzlich aufgenommen, etwa der Lager- und Streckenbezug. Um das beste Sortiment herauszufinden, haben wir eine lineare Optimierung durchgeführt. Mit allen Beteiligten gab es außerdem einen Qualitätscheck und eine Bewertung des Umsatzpotenzials. Dann wurde das Sortiment noch mal anhand der Ist-Situation der Filialen geprüft. Erst danach wurden die Planogramme erstellt und die Umsetzung in den Regalen geprüft.

Klingt ganz einfach. 
Lukas Kaiser:
 Na ja, stellen Sie sich vor: Es gibt 2.244 Bedarfseinheiten für Schokolade gesamt.

Wahnsinn. Wie gehen Sie damit um?
Lukas Kaiser:
 Aus jeder Bedarfseinheit wird ein Artikel gewählt (lacht). Leider geht das natürlich nicht.
Oliver Strohmer: Wir würden ja tatsächlich gerne aus jeder Bedarfseinheit mindestens einen Artikel anbieten, aber mit Blick auf das Gesamtbild müssen wir Auswahlentscheidungen treffen. An dieser Stelle sind die weiteren Parameter für die richtige Optimierung des Sortiments wichtig.


"Wenn wir aus den Stammdaten wissen, welche Eigenschaften ein Artikel hat, dann können wir diese algorithmisch verarbeiten und ähnliche Artikel matchen. Dies nutzen wir zum Beispiel im New-Product-Forecasting."

Oliver Strohmer, Senior Industry Consultant, SAS Institute GmbH


 

Wir haben gesehen, dass der Einsatz von KI und Co. hilft, neue Erkenntnisse für das CM zu gewinnen. Wie geht es weiter?
Oliver Strohmer:
 Die Frage ist jetzt, inwieweit sich das Gelernte auf andere Kategorien übertragen lässt. Hier wird die Algorithmik unterschiedlich stark angepasst werden müssen. 
Lukas Kaiser: Den ganz großen Wurf, so mal eben mit einem Tool ein komplettes Sortiment optimieren zu können, das trauen wir uns noch nicht zu. Aufgrund der vielen Restriktionen, Bedingungen et cetera benötigen wir noch umfassende Entwicklung, bis wir über ein ausrollfähiges Konzept verfügen. Wir suchen ja nicht nur eine Lösung für Schokoladenwaren.

Die Erwartungshaltung der Händler ist, dass die KI in den meisten Warengruppen Unterstützung bieten kann. Ich glaube, dass es in zehn Jahren möglich sein wird, die Daten in die Maschine einzugeben und ein Ergebnis zu erhalten, an das ich einen Haken machen kann. Aber der Weg dahin ist noch weit. Es ist keine Aufgabe allein für den Händler oder allein für den Hersteller. Nicht zuletzt brauchen wir Daten, die alle am Prozess Beteiligten nutzen und weitergeben können. Also das, wofür GS1 Germany letztlich steht.

Also einen großen, konsistenten Datenraum für alle Teilnehmer des CM?
Dr. Julia Linder:
 Auf welche Daten wir im kartellrechtlich zulässigen Rahmen zugreifen können und welche Qualität sie haben, ist vielleicht der wichtigste Erfolgsfaktor für Advanced Analytics oder KI-Verfahren. Die Ergebnisse können nicht besser sein als die Daten, die wir der KI zum Verarbeiten geben. Das klang hier schon mehrfach an und das ist die erste Hausaufgabe, die in Projekten zur KI von allen Beteiligten erledigt werden muss.
Lukas Kaiser: Ideal wäre ein sicherer Datenraum und Datenrahmen, der über mehr als eine Branche geht und viele Faktoren beinhalten kann. In dem sich alle relevanten Informationen speichern und wiederfinden lassen.
Oliver Strohmer: Das ist auch uns wichtig. Wir, die SAS, verstehen uns als ein Unternehmen, das den Menschen Entscheidungsunterstützung gibt. Dazu muss die Maschine gut gesteuert werden, und dafür benötigen wir die richtigen Parameter in allen Warengruppen. 

Was bedeutet das in Summe für KI und das Category Management? 
Lukas Kaiser:
 Tatsächlich wollen wir im CM effizienter, schneller werden und unsere Qualität weiter steigern. Dazu muss Big Data begreifbar werden. Wir müssen relativ zeitnah eine Bedienoberfläche erhalten, um diese Datenmodelle einfach im Tagesgeschäft nutzen zu können. Die Systeme müssen außerdem mehr Warengruppen beherrschen. Langfristig muss die Ergebniskontrolle auf ein Minimum sinken. Nach dem aktuellen Stand würde ich keiner Maschine blind vertrauen wollen. Das bedeutet, dass der Faktor Mensch seine Relevanz behält, heute vielleicht zu 100 Prozent, morgen vielleicht zu fünf Prozent. Aber diese fünf Prozent können der entscheidende Faktor sein, dass man weiterhin die Nase vorn hat. 

Dr. Julia Linder: Ich denke, es wird die „hybride Intelligenz“ sein, die Verbindung zwischen 
den Menschen und der künstlichen Intelligenz, die am Ende der Erfolgsfaktor ist. Das Schöne an dem Projekt ist, dass alle Beteiligten dabei bleiben wollen, wir viele spannende Erkenntnisse gesammelt haben, weiter lernen und wissen wollen, wo die Reise in den nächsten Jahren hingeht.

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