Artikel

"Das Thema Preis neu denken" - Interview mit Prof. Dr. Martin Fassnacht

Der Streit zwischen Edeka und Nestlé zeigt: Konditionen und Preise sind die Aufregerthemen im LEH schlechthin. Wird die Preisgestaltung im Handel stiefmütterlich behandelt? Martin Fassnacht ist Handelsexperte und fordert hier einen genaueren Blick auf den Verbraucher. Denn der ist nicht überall gleich preissensibel.

zur Bilderstrecke, 7 Bilder
Von Martina Kausch | Fotos: Reinhard Rosendahl

Herr Fassnacht, die Auseinandersetzung zwischen Edeka und Nestlé hat monatelang gedauert. Streitpunkt war das Pricing. Ist das Thema überbewertet ?

Fassnacht: Zunächst einmal: Ich finde schlimm, dass die zwei Seiten so lange für eine Einigung brauchen. Ich frage mich: Welchen Stellenwert hat da der Verbraucher? Letzten Endes bedienen Hersteller und Händler den Verbraucher. Für ihn sehe ich keine Vorteile. Dass ein Konsument in der Streitphase bestimmte Produkte nicht mehr kaufen kann, ist wohl eher ein Nachteil. Das Thema ist nicht überbewertet, Pricing ist eher ein „schlafender Riese“.

Aber beide Themen hängen eng zusammen – Pricing und der Blick auf den Verbraucher. Brauchen wir hier einen konsequenteren Blick auf den Verbraucher?

Fassnacht: Meines Erachtens ja. Der Verbraucher hat mehr Macht als früher, machen wir uns nichts vor! Er ist informierter und fordernder. Deswegen muss man stärker vom Kunden her denken. Wir brauchen mehr Wertschöpfungspartnerschaft en. Bei diesem Modell überlegen Handel und Industrie gemeinsam, wie sie die Bedürfnisse des Konsumenten bedienen können. Dann ist auch Pricing planbar und man kann auf solche langwierigen Auseinandersetzungen zulasten des Konsumenten verzichten.

Beim Thema Pricing denkt man in erster Linie an Preisreduzierung ...

Fassnacht:... aber das geht oft am Thema vorbei. Die Preisgestaltung im Handel gestaltet sich meiner Ansicht nach noch zu sehr wettbewerbsorientiert. Man schaut, was der Wettbewerber macht, und folgt dem. Das kann manchmal sinnvoll sein, aber oft eben auch nicht. Auch hier gilt: den Blick auf den Verbraucher stärken. Man muss schauen: Wie ist die Zahlungsbereitschaft ? Bei welchen Produktkategorien sind die Verbraucher besonders preissensibel oder weniger preissensibel? Dort kann man den Preis erhöhen. Das geht nicht bei Fleisch und Molkereiprodukten, aber in vielen Fälle geht es. Generell muss man das Preismanagement professionalisieren, strategischer angehen.

Das ist der „schlafende Riese“?

Fassnacht: So wie eine Preiserhöhung den Gewinn am stärksten positiv beeinflusst, führt die Preissenkung zur größten Gewinneinbuße. Das muss man sehen, wenn man beobachtet, dass Preismanagement-Aktivitäten heute zu 50 Prozent Promotions, also Preissenkungen, sind. Dazu kommt: Preissenkungen sind operative Maßnahmen, keine Strategie. Man sollte anders vorgehen: Strategie, Analyse, Entscheidung und Umsetzung.

Machen Sie bitte konkrete Vorschläge!

Fassnacht: Zunächst muss man fragen: Wer hat im Unter-nehmen die Preisentscheidungskompetenz? Die Zentrale, der Key Account Manager, der Einkaufsmanager, der Abteilungsleiter im Supermarkt? Das heißt also: Kompetenzen abklären, dann Ressourcen aufbauen, in die Preismanagementfähigkeit investieren. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine Preisänderung die über zwanzigfache Wirkung einer prozentual gleichen Änderung des Werbebudgets beziehungsweise die achtfache Wirkung einer analogen Änderung des Außendienstbudgets haben kann. Das Thema ist komplex, aber wichtig. Zur Zeit werden Gewinne verschenkt.

Welchen Einfluss hat das Internet auf die Preisgestaltung?

Fassnacht: Die Preistransparenz ist größer geworden. Aber durch das Internet oder im Internet gibt es auch nichts kostenlos. Ich mache folgende mutige Vorhersage: Wir werden in fünf bis zehn Jahren höhere Preise im Internet haben als offline. Weil der wahrgenommene Nutzen für den Verbraucher höher ist, und das ist das Entscheidende. Convenience ist eines der ganz großen Themen im Handel, genauso wie Shopping Experience. Wenn der wahrgenommene Nutzen des gleichen Produktes höher ist, wird die Lieferung bepreist werden. Preisreduktion ist denkbar, wenn die Leute etwas abholen, denn logistisch ist die letzte Meile teuer. Amazon Prime kostete in Deutschland anfangs knapp 30 Euro, jetzt sind es knapp 70 Euro. In den USA wurden die Preise gerade erhöht – und das ist auch vollkommen richtig.

 

 

Artikel teilen

Gut informiert durch die Krise