Artikel

„Der Handel taut langsam auf“

In Sachen Datentransparenz steckt der deutsche Handel noch in den Kinderschuhen, sagt Christoph Knoke. Mit neuen Analyseplattformen will das Marktforschungsunternehmen IRI ungenutztes Potenzial heben.

Christoph Knoke, marktforschung, IRI, Interview, Rundschau, Medialog
Im Sommer 2016 hat Christoph Knoke (47) die Geschäftsführung bei IRI Deutschland übernommen. Knoke kam nach Stationen bei Capgemini und Ernst & Young 2010 zu IRI. Foto: R. Rosendahl
zur Bilderstrecke, 3 Bilder
Von L. Schuppan

Herr Knoke, der Kuchen für Marktforscher wird nicht gerade größer. Wie stellen Sie IRI Deutschland darauf ein?
Knoke:
Indem wir unsere Analysen ganzheitlicher gestalten. Unser Potenzial liegt darin, unsere Daten- und Analytics-Kompetenz auf einer technologischen Plattform zu verbinden, mit dem Ziel, Vertrieb, Marketing, Logistik in Handel und Industrie besser beraten zu können. Das Programm heißt Liquid Data.

Was steckt dahinter?
Knoke:
Alles beruht, gerade aus Herstellersicht, auf den Daten, die wir aus dem Handelspanel ziehen. Das ist die Basis. Die reichern wir dann mit externen Daten an. Das können Shoppper-Insights sein, Kundenkarten- Informationen, aber auch Daten aus der Logistik und Wetterdaten. Daraus ergibt sich dann ein 360-Grad-Blick.

Ein Beispiel, wie das aussehen kann?
Knoke:
Nehmen wir an, ich überlege, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, und will wissen, wie sich eine bestimmte Geschmacksrichtung oder Verpackungsart entwickelt. Solche Fragen können wir künftig über IRI Liquid Data in Echtzeit analysieren, indem wir die Abverkaufsund Scannerdaten mit weiteren Informationen aus dem Handel und zu einzelnen Produktattributen verbinden.

Ergeben sich daraus auch konkrete Handlungsempfehlungen?
Knoke:
Das ist der Plan. Wir können dann eben auch eine Prognose geben, welchen Einfluss unterschiedliche Faktoren auf die Entwicklung eines Artikels haben – das kann ich runterbrechen bis auf die Fläche. So kann ich etwa eine Außendienstmannschaft zielgerichteter aussteuern.

Da sprießen gerade jede Menge Startups aus dem Boden, die die altgedienten Marktforscher mit Echtzeitanalysen ärgern. Braucht es die „Alten“ noch?
Knoke:
Die Frage ist doch eher: Haben die Neuen auch Zugriff auf die große Daten- Kugel wie wir? Und können solche Anbieter die intern und extern verfügbaren Daten sinnvoll verknüpfen?

Wo hat die alte Marktforscherwelt ihre Vorteile, wo die neue?
Knoke:
Also, wenn ich jetzt beispielsweise eine ganz schnelle Momentaufnahme und Einschätzung von Shoppern oder Konsumenten haben will, dann macht so ein Alternativangebot eines kleineren Players sicher Sinn. Wenn ich allerdings längerfristig plane und kontinuierliche Qualität für fundierte Analysen und Trends suche, brauche ich mehr als das.

Was macht Sie sicher, dass Liquid Data funktionieren wird?
Knoke:
In Deutschland läuft aktuell ein Pilot, in anderen Ländern arbeiten wir bereits damit – in den USA seit fast zehn Jahren. Wir wissen also, dass es funktioniert. Jetzt müssen wir das Programm nur noch ausrollen – und zwar noch in diesem Jahr.

Profitiert auch der Handel vom neuen IRI-Spektrum?
Knoke:
Wir bieten dem Handel eine individuelle analytische Plattform an, die auf der Liquid-Data- Technologie basiert – wir nennen das Holistic Retail Solution. Daraus ergeben sich für den Handel ganz neue Möglichkeiten für strategische, taktische bis hin zu operativen Themen wie Sicherung der Regalverfügbarkeit.

Inwiefern neue Möglichkeiten?
Knoke:
Bislang war der Blick des Handels sehr eindimensional: Man schaut auf die Größe des Marktes, auf die Lage und auf die Kaufkraft. Wir bereichern dieses Bild jetzt mit Bondaten, Warenkorbanalysen, Shoppertypen-Analysen und so weiter. Daraus kann der Handel dann Store-Cluster bilden und am PoS neue Logiken schaffen, bis hin zur Total-Store-Optimierung.

Der deutsche Handel ist nicht gerade für seine Offenheit bekannt.
Knoke:
Das ist in der Tat eine ziemliche Herausforderung. In den USA und in UK ist das anders. Wir dürfen Private Label ja nur anonymisiert verwenden. Allerdings öffnet sich der Handel auch schon mehr. Es tut sich was, wenn auch langsam.

Wie sieht es mit dem Austausch zwischen Handel und Industrie aus, was Daten anbelangt. Wie läuft das?
Knoke:
Da taut der Handel immer mehr auf und gibt seine Daten weiter. Aber die Industrie muss mit diesen Daten ja auch was anfangen können. Es nutzt mir nichts, mit Daten zugeschmissen zu werden, aber dann nichts daraus ablesen zu können.

Wie gut macht die Industrie ihre Hausaufgaben beim Markengeschäft?
Knoke:
Die Voraussetzungen für die Marke könnten zurzeit nicht besser sein. Unsere Wirtschaft brummt, wir haben kaum Arbeitslose, unsere Inflation ist gering. Das begünstigt auch das Markenwachstum. Das Markengeschäft ist Wachstumstreiber, während im Gegenzug die Handelsmarke leicht an Boden verliert – zwischen einem halben und einem Prozent. Wir sehen aber auch, dass die Handelsmarke in Bereiche reingeht, die früher ausschließlich von Marken besetzt waren.

Ein Beispiel dafür?
Knoke:
Nehmen wir die Haarcolorationen. Immer schon ein Feld der Marke. Denn es braucht eben zehn verschiedene Farbtöne in einer Range, damit das Angebot auch Sinn macht. Das war der Handelsmarke bislang zu komplex. Doch jetzt sehen wir auch hier zunehmend Angebote von Private Label, was überrascht. Die Handelsmarke ändert also quasi ihre DNA.

Lässt sich daraus auch die These ableiten, dass die Sortimente insgesamt wieder ausgeweitet werden?
Knoke:
Das ist sogar eine Tatsache. Während die Sortimentsreduzierung in anderen Ländern stark greift, erleben wir hier eher einen Dynamisierungsschub, teilweise auch auf der Suche nach den richtigen Angeboten für die neuen Generationen. Ich würde das allerdings nicht überbewerten. Das kann sich schnell drehen.

Sie sind jetzt seit einem starken halben Jahr an der Spitze von IRI Deutschland. Was steht auf Ihrer ganz persönlichen IRI-Agenda?
Knoke:
Ich möchte das Thema Technologie ausrollen und möchte mehr mit den Handelsunternehmen zusammenarbeiten. Da steckt der deutsche Markt einfach noch in den Kinderschuhen und verschläft jede Menge Möglichkeiten. Wir müssen aber auch selbst noch einige Hausaufgaben machen – etwa in Sachen Markenbekanntheit. Da haben wir in der Vergangenheit wirklich zu wenig gemacht. Aber das ändert sich. Wir sind dran.

Christoph Knoke, marktforschung, IRI, Interview, Rundschau, Medialog
Im Sommer 2016 hat Christoph Knoke (47) die Geschäftsführung bei IRI Deutschland übernommen. Knoke kam nach Stationen bei Capgemini und Ernst & Young 2010 zu IRI. Foto: R. Rosendahl

Artikel teilen

Gut informiert durch die Krise