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„Der Kunde ist nicht blöd“

Damit nicht noch mehr Massen-Einheitsfood auf den Tisch kommt, will Renate Künast Hersteller und Handel zu mehr Transparenz drängen. Aber auch auf der anderen Seite sieht die Ex-Agrarministerin noch ein Bewusstseinsdefizit: beim Verbraucher.

Renate Künast
Renate Künast
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Von Jens Kemle, Alexandra Stojic

Frau Künast, Sie waren Landwirtschaftsministerin und gelten bis heute als eine der bekanntesten Verbraucherschützerinnen des Landes. Hat sich Ihre Vision vom „Bio für alle“ erfüllt?
Künast: Sagen wir es so: Wir kommen der Sache immer näher. Seit 2010 ist der Umsatz mit Bio-Produkten um mehr als 260 Prozent gestiegen. Die Angebote sind heute so breit, dass alles, was die Verbraucher suchen, auch vorhanden ist.

Eines Ihrer Ziele als Agrarministerin war, dass 20 Prozent der Anbaufläche in Deutschland biologisch bewirtschaftet wird. Zehn Jahre später liegt dieser Wert immer noch bei nur rund fünf Prozent.
Künast:
 Das liegt schlichtweg an den extrem hohen Boden- und Pachtpreisen…

…die seit 1991 um fast 90 Prozent gestiegen sind.
Künast: Richtig. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn Banken etwa gemeinnützige Fonds auflegen würden. Von dem Geld könnten sie Land kaufen und es zu günstigen Konditionen an Bauern verpachten. Trotz dieser Herausforderungen folgt übrigens auch Minister Christian Schmidt der Idee der 20 Prozent. Sagt er zumindest, mal sehen was daraus folgt.

Im letzten Jahr mussten rund 600 Biobauern aufgeben. Die Total-Revision der EU-Ökoverordnung könnte das noch weiter befeuern.
Künast:
 Ja, leider. In ihrer jetzigen Form wäre sie tatsächlich der Totschlag des Öko-Landbaus – das kann nicht sein. Wir schauen deshalb auch sehr genau hin, was da in Brüssel passiert und wie der Bundeslandwirtschaftsminister agiert.

Wie stehen Sie zu der Regelung der Rückstände von Düngemitteln in Bioprodukten?
Künast: Genau die sehe ich sehr kritisch. Denn danach sollen Bioprodukte gar keine Rückstände von Düngemitteln mehr enthalten dürfen. Wenn neben einem Biobauer ein konventioneller Landwirt seine Felder hat und das Düngemittel zu dem Biobauer abdriftet soll das sogar dann nicht einmal mehr zulässig sein, wenn dieser Rückstand weit unter den gesetzlichen Werten liegt. Die Kunden verlangen das angeblich.

Klingt fast so, als würden die Kunden gemeinhin immer strikter werden.
Künast: Der Kunde liebt strenge Regeln, aber er ist ja nicht blöd. Er erwartet nämlich, dass Bio-Produkte halten, was sie versprechen. Also: Im Produktionsprozess kein Einsatz von chemisch-synthetischer Düngung, keine Agro-Gentechnik und einen insgesamt nachhaltigen Umgang mit allen Ressourcen. Dieser Prozess ist der positive Kern der Öko-Produktion und muss es bleiben.

Wer auf jeden Fall nicht noch mehr Regeln liebt, sind Erzeuger und Händler. Die Einführung der Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) hat bereits für großen Unmut gesorgt. Ist das gerechtfertigt?
Künast: Nun, es ist ja nicht so, dass wir alle „Blind-Tests“ kaufen. Die Verbraucher haben ein Recht auf volle Information. In jedem normalen Geschäftsverhältnis würde der Geschäftspartner auch wissen wollen, was in den Produkten enthalten ist. Das sichert ihn ja auch selbst ab.

Liest das der Kunde überhaupt?
Künast: Das steht für mich dabei gar nicht zur Diskussion. Die entscheidende Frage ist doch, ob der Kunde das Recht hat, es zu wissen. Die Antwort ist JA, denn die Verbraucher haben im Wirtschaftsleben auch Rechte!

Wenn die Angaben nur wenige lesen, dann ist es doch eine Minderheiten-Politik.
Künast: Nein, es ist immer eine Politik für eine Mehrheit, denn es ist egal, ob ich es heute lese oder morgen oder erst in fünf Jahren. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben auch die Wenigsten bis zum Ende gelesen und trotzdem ist Information ihr gutes Recht, sie müssen öffentlich zugänglich sein und sind verbindlich. Übrigens gibt es immer mehr Kunden, die auf Bio und Fair Trade achten.

Einige Lebensmittelhändler müssen ihre Schnippelküchen schließen, weil der Deklarationsaufwand durch die LMIV jetzt zu groß ist. Ist das im Sinn einer gesunden Ernährung?
Künast: Da muss man jetzt mal schauen, wo es praktikable Wege gibt. Aber man kann nicht ganz auf Regeln verzichten. Transparenz ist ein Wettbewerbsvorteil, das muss sich der Lebensmittelhandel immer vor Augen halten.

Wissen denn die Verbraucher überhaupt, was die einzelnen Inhaltsstoffe bedeuten?
Künast: Naja, vielleicht nicht alle, aber es spricht ja auch nicht gegen die Angabe der Inhaltsstoffe. Fakt ist: Nie waren die Menschen so interessiert daran, zu erfahren, wo die Produkte herkommen. Nie hat es so eine starke Verbindung mit dem Umweltschutz gegeben wie heute. In Deutschland und den USA entsteht gerade eine richtige Food-Bewegung.

Einerseits finden Verbraucher Bio gut, aber wenn Sie am Regal stehen, greifen Sie doch wieder zum Billigprodukt. Der Handel verzweifelt allmählich an dieser Doppelzüngigkeit.
Künast: Solange wir für „geiz ist geil“ werben, wird sich daran auch nur langsam etwas ändern. Die Hersteller müssten stattdessen mehr für den ethischen Aspekt ihrer Produkte werben.

Schon jetzt gibt es aber viel zu viel Greenwashing.
Künast: Deshalb müssen die Preise die wahren Kosten abbilden. Es kann doch nicht sein, dass ein konventioneller Landwirt Boden, Luft und Wasser belastet und gleich viele Subventionen bekommt, wie ein Bio-Landwirt, der das nicht tut. Generell geht es mir einfach darum, dass derjenige, der besser als der Wettbewerb ist, auch das Recht hat, das öffentlich zu machen. Und der anderen mit der Werbung nichts Falsches vorspielt.

In welcher Rolle sehen Sie hier den Lebensmittelhandel?
Künast: Der Handel muss ein Interesse daran haben, zu sagen, was in den Produkten drin ist. Klar, das ist nicht immer so einfach, weil sich der Handel auseinanderbewegt. Die einen sind ganz billig, andere bieten eine sehr hohe Qualität. Aber sicherlich wird der Qualitätsmarkt wachsen und Politik muss z.B. Klimapolitik machen, auch beim Essen!

Viele sind ziemlich stolz auf diese Discount-Kultur. Welchen Standpunkt haben Sie? 
Künast: Wir haben immer noch viel zu tun – auch auf der Verbraucherseite. Viele Kunden stürzen sich auf vermeintlich billige Produkte und wundern sich dann, wo der Klimawandel herkommt oder warum die Löhne in Deutschland sinken. Diesen Widerspruch müssen wir klarer aufzeigen.

Sind unterschiedliche Preise nicht auch eine Form von Angebotsvielfalt?
Künast: Natürlich wollen wir nicht in einem Land leben, in dem die Riesen-Ketten und die Groß-Investoren uns Massen-Einheitsfood anbieten. Die Billigpreise sind doch leine Vielfalt, sondern eher rücksichtsloser Umgang mit den Lebensgrundlagen. Die Folgen zahlt dann der Steuerzahler.

Ist „Einheits-Food von Riesen-Ketten“ nicht schon längst Realität? Immerhin erwirtschaften vier Handelsunternehmen 85 Prozent des Umsatzes mit Lebensmitteln.
Künast: Das bereitet mir auch Sorge. Da sollte man die restlichen 15 Prozent mehr unterstützen. Und dazu Maßnahmen ergreifen, die über enge Handelsregeln hinausgehen. Wir müssen mehr Vielfalt erzwingen – bei der Anzahl der Händler, aber auch in den Regalen selbst.

Wollen die Verbraucher diese Vielfalt überhaupt? 
Künast: Das ist vielleicht keine Frage des Wollens. Wir sind Jahrzehnte lang auf Masse und Menge getrimmt worden. Aber so können wir nicht weiter wirtschaften. So werde sich neun Milliarden Menschen nicht ernähren können, weil der Chemieeinsatz den wir noch haben, umgerechnet auf alle zum Umwelt-Kollaps führen würde.

Das klingt nach einer schönen Vision, aber nach einem langen Entwicklungsprozess…
Künast: Das stimmt. Aber irgendwo müssen wir anfangen. Allein die Landwirte in Deutschland erhalten pro Jahr über 5 Mrd. Euro an Agrar-Direktzahlungen. Diese enormen Summen müssen auch dem Ziel der Nachhaltigkeit endlich gerecht werden. Also sind klare Kriterien für ökologisches Wirtschaften und Artenvielfalt nötig. 

Etwas Bewegung in den stationären Handel könnte vielleicht der Onlinehandel bringen. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Künast: Es wird Konzepte geben, die ähnlich wie Amazon funktionieren. Die sind ja schon in den Lebensmittelsektor eingestiegen. Wenn allerdings die Städte nicht vollkommen entleert werden sollen, werden wir auch weiterhin den klassischen Lebensmittelhandel brauchen. Da ist unsere ganze Kreativität gefordert. Gut, dass verschiedene auch schon in den Online-Sektor einsteigen. Guter Service des Ladens im Stadtteil ist für Kunden wichtig. Ich persönlich hoffe noch auf mehr Angebote für wirklich nachhaltige und ökologische Produkte. Das muss man nicht auch noch Amazon überlassen.

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