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Fleischbranche im Kreuzfeuer der Kritik

Die Fleischproduzenten in Deutschland sehen sich angesichts der Corona-Pandemie mit großen Herausforderungen in Sachen Hygiene konfrontiert – und stehen durch Corona-Fälle vermehrt im Visier von Politik, Medien und Verbrauchern.

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Von Mirko Jeschke | Fotos: Adobe Stock

Seit Beginn dieses Monats häufen sich bundesweit Meldungen über zahlreiche Corona-Infektionen in den Betrieben unterschiedlicher Fleischproduzenten. Die Fleischwirtschaft hat sich inzwischen zu Gesprächen mit der Bundesregierung bereit erklärt. Hier ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse:

Vion stoppt Produktion in Bad Bramstedt

Anfang Mai hat die Geschäftsführung der Vion Food Group – aus reinen Vorsichtsmaßnahmen und zum Schutz der Mitarbeiter – entschieden, die Produktion im Schlachthof Bad Bramstedt zu stoppen, nachdem sich etwa ein Drittel der über einen Subunternehmer beschäftigten Arbeitskräfte in Schlachtung und Zerlegung mit dem Coronavirus infiziert hatte. Die Belegschaft sollte daher zunächst in außerplanmäßige Betriebsferien gehen.

Laut Vion lebt die Mehrheit der infizierten Beschäftigten in einer zu Wohnungen umgebauten ehemaligen Bundeswehrkaserne in Kellinghusen (Kreis Steinburg), einige andere Mitarbeiter wohnen privat in den Kreisen Bad Segeberg, Plön, Hamburg und Kiel. Vion kooperiert seit Beginn der ersten Erkrankungen sehr eng mit den zuständigen Gesundheitsbehörden. Die Kreise haben zum Teil häusliche Quarantäne angeordnet. Die betroffenen Arbeiter – allesamt in Deutschland sozial- und krankenversichert – sind deutscher, albanischer und rumänischer Nationalität.

Westfleisch: Betrieb in Coesfeld vorläufig geschlossen

Beim Westfleisch-Konzern wurde kurz darauf – nachdem zunächst mehr als 100 Beschäftigte positiv auf das Coronavirus getestet worden waren, der Schlacht- und Zerlegebetrieb in der Kreisstadt Coesfeld geschlossen. Gegen die vorläufige Schließung bis 17. Mai wollte Westfleisch gerichtlich per Eilantrag vorgehen, was das Verwaltungsgericht Münster jedoch ablehnte. Die Zahl der nachgewiesenen Ansteckungen bei den über 1.000 getesteten (insgesamt rund 1.200) Mitarbeitern der Großfleischerei in Coesfeld lag Medienberichten zufolge zuletzt bei 260.

Der Kreis Coesfeld gehört durch die neuen Corona-Fälle bei Westfleisch zu den fünf Regionen in Deutschland, in denen die Obergrenze für Neuinfektionen – 50 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner – mit 96 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner nicht eingehalten werden konnte.

Müller-Fleisch: Anhaltende Probleme in Birkenfeld

Bei Müller-Fleisch in Birkenfeld bei Pforzheim haben sich derweil zuletzt ebenfalls mehr als zehn Prozent der 800 getesteten Mitarbeiter mit dem Coronavirus neu infiziert, nachdem zuvor bereits 300 infizierte Mitarbeiter in Quarantäne geschickt worden waren. Die Großschlachterei darf deshalb bis auf weiteres keine neuen Mitarbeiter beschäftigen und ist aufgefordert, bei der Unterbringung ihrer überwiegend osteuropäischer Leiharbeiter nachzubessern.

Tönnies baut eigenen Testcenter und legt Hygienekonzept vor

Wie der Fleischkonzern Tönnies Anfang dieser Woche mitteilte, hat er für seine Standorte ein umfangreiches Hygienekonzept zur weiteren Corona-Risiko-Minimierung vorgelegt. Kernelement ist die risikobasierte PCR-Probennahme in einem eigenen Testcenter.

„Dieser 14-Punkte-Plan ergänzt unserer Strategie der vergangenen Wochen und setzt klare Regeln und Verantwortlichkeiten“, sagt Dr. Gereon Schulze Althoff, Leiter des Pandemie-Krisenstabs. „Wir setzen damit unsere Strategie zur Risiko-Minimierung seit Beginn der Pandemie im Februar fort und schaffen verbindliche Vorgaben in den Bereichen Wohnen, Transport und Arbeit.“ Hierzu befindet sich der Konzern, der zuletzt die Schließung des Standorts Börger (zur Mühlen Gruppe) mit rund 160 Mitarbeitern wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit angekündigt hatte, in enger Abstimmung mit den Behörden.

VdF signalisiert Politik Gesprächsbereitschaft

Am Mittwoch teilte der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) mit, dass er zu Gesprächen mit der Bundesregierung bereit ist und äußerte sich in diesem Zusammenhang wie folgt: „Einzelne Politiker und Gewerkschafter bringen aktuell faktenfreie Vorwürfe in Umlauf, die sich pauschal gegen die gesamte Fleischwirtschaft richten. Wir möchten die tatsächliche Sachlage mit den zuständigen Bundesministern erörtern. Dazu haben wir Bundesministerin Klöckner sowie die Bundesminister Heil und Spahn zu einem Runden Tisch eingeladen und gebeten, der Fleischwirtschaft einen kurzfristigen Gesprächstermin zu nennen. Wenn konkrete Ansatzpunkte ausgemacht werden, sind wir offen für Verbesserungen und treten für eine bundeseinheitliche Umsetzung ein.“

Einen Tag zuvor hatte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner nach einer Telefonkonferenz mit Verbänden der Fleischwirtschaft folgendes Statement abgegeben: "Schwarze Schafe schaden dem Ansehen der gesamten Branche. Es gibt Regeln, die müssen unbedingt eingehalten, und die Einhaltung von den zuständigen Behörden kontrolliert werden. Ich erwarte von allen Beteiligten, dass sie sich ihrer Verantwortung gerade auch in der Krise bewusst sind. Denn um die Versorgung sicherzustellen, müssen wir den Betrieb unserer systemrelevanten Ernährungswirtschaft aufrechterhalten. Das darf aber nicht zu Lasten der Mitarbeiter gehen. Die Branche muss Konzepte entwickeln, wie der Betrieb unter den strengen Auflagen des Arbeitsschutzes und Gesundheitsschutzes weiter gehen kann – dieser hat weiterhin oberste Priorität. Denn Tierschutz und Versorgungssicherheit müssen gewährleistet bleiben. Dazu habe ich mich heute mit den Vertretern der Branche ausgetauscht."

BVDF erwartet herausforderndes Jahr

Bereits Anfang Mai hat der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie (BVDF) sein erstes Fazit zum zurückliegenden Jahr sowie eine Einschätzung für das laufende Jahr vorgenommen. „Die Unternehmen der deutschen Fleischwarenindustrie konnten 2019 ihre Produktion in einem schwierigen Marktumfeld gegenüber dem Vorjahr erneut leicht steigern“, erläutert Sarah Dhem, Präsidentin des BVDF. „Auch wenn wir mit den Entwicklungen insgesamt zufrieden sind, stehen wir nicht nur durch die Auswirkungen der Afrikanischen Schweinepest und dem Ausgang des Brexits, sondern vor allem auch aufgrund der Corona-Pandemie vor einem herausfordernden Jahr.“

Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurden im vergangenen Jahr insgesamt 1.558.607 Tonnen Wurstwaren hergestellt, gegenüber 1.551.045 Tonnen im Jahr zuvor. Damit habe die von mittelständischen Familienunternehmen geprägte Branche der 2019 leicht rückläufigen Tendenz des Fleischverzehrs getrotzt.

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