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ForscherAuftritt Martin Fassnacht: Schnelligkeit unterstützen

Sinkende Kaufkraft, weniger Wachstum für Supermärkte, der Megatrend Convenience, E-Food und die daraus folgenden logistischen Herausforderungen bestimmen das kommende Jahr 2022. Und ein Virus, das bleibt.

Martin Fassnacht, Ökonom an der WHU Otto Beisheim School of Management.
Von Martina Kausch | Fotos: RUNDSCHAU

Welche Bilanz ziehen Sie für 2021 aus der Sicht des Handels?

2021 haben die Supermärkte ein besseres Geschäft gemacht und mehr verdient als die Discounter. Aber einigen Branchen in der Industrie geht es nicht gut, deswegen rechne ich mit steigender Arbeitslosigkeit und infolgedessen mit sinkender Kaufkraft. Das bedeutet, die Discounter werden profitieren und zulegen, denn sie sind per Konzept preisgünstig. Supermärkte werden so nicht weiterwachsen. Die Verbraucher werden preissensibler. 

Wie können die Handelsunternehmen gegensteuern? Mehr Produkte im 
Preiseinstiegsbereich bieten? 

Nein, das wurde ja schon gemacht. Das Thema Preiseinstiegsbereich würde ich nicht in den 
Mittelpunkt stellen. Der Megatrend ist Convenience, die Bequemlichkeit der Menschen. 
Also der Onlinehandel und das Geschäft mit Lieferdiensten, mit neuen Geschäftsmodellen. Die Leute kaufen auch im E-Food-Bereich mehr. Lidl macht digital einiges, hat Lidl Digital gegründet, Aldi hat eine E-Commerce Verwaltungs GmbH für Aldi Nord und Süd gegründet. 

Lidl und Aldi arbeiten nicht mit selbstständigen Händlern ...

Meines Erachtens ist die zentrale Aufgabe aller deutschen Händler das digitale Geschäft, nicht das stationäre. Das stationäre Geschäft ist ziemlich professionell, beim digitalen Geschäft hat Rewe durch seine zentralere Struktur einige Vorteile. Edeka ist eher dezentral aufgestellt. Das digitale Geschäft ist zentral, das heißt, immer ein Onlineshop für ein Land. Deswegen haben Unternehmen mit dezentralen Strukturen hier grundsätzlich Nachteile. 

Das heißt, die Selbstständigen müssen beim Thema digitales Geschäft aktiv werden oder sich mit den Zentralen abstimmen?

Ja, sie müssen bei den Zentralen stark auf dieses Thema pochen. Der Händler mit mehreren Geschäften muss eventuell das Thema selbst in die Hand nehmen. Wenn man sieben oder acht Filialen betreibt, ist das möglich. Online ist  auf dem Vormarsch, das ist auch im Lebensmittelbereich keine Frage. 

Hier spielt wohl die Logistik eine entscheidende Rolle? Wenn man mit dem Onlinegeschäft Geld verdienen will, kann man wohl keine Mitarbeiter zum Picken durch die Gänge schicken. 

Genau. Logistik ist ein wichtiges Thema. Ocado macht das in Großbritannien. Ursprünglich war Ocado ein reiner Onlineshop für Lebensmittel. Mittlerweile wird in Zusammenarbeit mit Unternehmen ein Großteil der Marktflächen nicht für den Verkauf, sondern für Click & Collect genutzt, und auf der restlichen Fläche werden Grundnahrungsmittel angeboten. Plattformen wie Ocado unterstützen beispielsweise Einzelhändler auch mit Last-Mile-Technologie, Flottenmanagement und Lieferplanung. Das wird hier in Deutschland auch kommen. 


Das klingt, als ob die Themen Digitalisierung und Logistik wichtiger wären als das Shopping-Erlebnis? 
Ja. Für den Lebensmittelhandel sehe ich das Thema ShoppingEnjoyment nicht. Spaß und Freude beim Einkaufen – das gilt für die Lebensmittelbranche weniger. Beim Lebensmittelkauf geht es um 
schnelle Prozesse. Deswegen werden wir in fünf bis zehn Jahren auch mehr automatisierte Stores sehen. Es geht auch hier wieder um Bequemlichkeit. Hier gibt es ja bereits einige Konzepte und 
Versuche, sowohl rein digitale Shops komplett ohne Mitarbeiter, aber auch für hybride Lösungen.


Ist Ihr Blick auf 2022 optimistisch oder pessimistisch?
Als konstruktiv denkender Mensch bin ich immer realistisch.

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