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„Ich mag Netto. Nur nicht bei uns.“

Er ist nicht der Einzige, der deutliche Worte findet. Edeka-Südwest-Chef Harald Rissel bringt das Problem vieler Regionen auf den Punkt: Netto bringt zwar Einkaufsvorteile, führt aber zu Kannibalisierungseffekten im Vollsortimentsgeschäft.

Harald Rissel
Harald Rissel, Direktor und Sprecher der Edeka Südwest; Foto: M. Dietze
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Von Klaus Mehler, Franziska Zieglmayer

Herr Rissel, das Gebiet der Edeka Südwest erstreckt sich von Trier bis hin zum Bodensee. Wie werden Sie diesen unterschiedlichen Kundenstrukturen gerecht?
Rissel: Indem wir stark auf Regionalität setzen. Für uns ist Regionalität ein absolutes „Muss“ für uns – auch gegenüber unseren Mitbewerbern. Die Konkurrenz versucht zwar aufzuholen, wir setzen aber bereits seit 20 Jahren konsequent auf das Thema. Entsprechend groß ist unser Vorsprung.

Mit „Unsere Heimat – echt & gut“ führen Sie eine starke regionale Eigenmarke …
Rissel: Das ist richtig. Die Marke „Unsere Heimat“ hat uns in Sachen Regionalität nochmals deutlich vorangebracht. 

Werden Sie die Regionalmarke ausbauen? Wie sehen Ihre Pläne aus?
Rissel: Wir haben uns zunächst stark auf Obst und Gemüse konzentriert, jetzt kommen die Molkereiprodukte dran. Uns fällt mit Sicherheit  noch mehr ein.

Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Teile Hessen und Bayerns – wie werden Sie in so einem großen Verbreitungsgebiet dem Thema Regionalität gerecht?
Rissel: Zunächst: Regionalität ist schwer einzugrenzen. Ausschlaggeben ist: Der Verbraucher muss ein Produkt als ein Stück Heimat akzeptieren. So gehören etwa für den Karlsruher Kunden Kartoffeln aus der Pfalz immer noch zur Heimat. Regionalität ist nicht immer fest einzugrenzen und daher eine permanente Herausforderung bei der Sortimentsgestaltung. 

Seit diesem Jahr kooperieren Sie mit Bauern auf der Insel Reichenau und bauen ihre Paprika quasi selbst an – reichen die Margen die sie mit Ihren bisherige Produzenten erzielen nicht aus?
Rissel: Das ist nicht der Grund. Durch den eigenen Anbau garantieren wir dem Verbraucher, dass er bei uns kontrolliert rückstandsfreie Paprika aus Deutschland, aus der Region, bekommt, das ist dann eben etwas teurer. Wenn das Produkt und die Vermarktung glaubhaft sind, dann ist der Verbraucher auch bereit, mehr zu bezahlen. Wir könnten sogar noch mehr von unserem Paprika verkaufen wenn wir mehr zur Verfügung hätten. 

Wenn Sie noch mehr Mengen verkaufen könnten, warum teilen Sie dann rund die Hälfte der Insel Reichenau-Ernte mit den beiden Edeka-Regionen Nord- und Südbayern?
Rissel: Die Entscheidung, einen Großteil der Erntemengen an Paprika an zwei andere Edeka-Regionen zu liefern, resultiert daraus, dass für uns anfangs noch nicht absehbar war, dass wir solche Erfolge mit unserer eigenen Paprika feiern würden. Heute wissen wir es besser. Der Absatz ist deutlich in die Höhe geschnellt und wir könnten zu diesem Zeitpunkt mehr verkaufen.

Pestizid- und rückstandsfreie Paprika versprechen andere auch. Das ist doch nicht neu, oder?
Rissel: Dann wären aber nicht jedes Jahr wieder die Zeitungen voll von Meldungen über belastetes Gemüse. Bei uns ist das sicher nicht der Fall.  

Sie haben bereits im Oktober 2011 Ihre Drogerieoffensive gestartet. Haben Sie geahnt, dass Schlecker pleitegeht?
 
Rissel: Na klar! (lacht) Nein, wir waren vor unserer Offensive einfach nicht gut in der Drogerie aufgestellt. Wir hatten natürlich das Glück, dass wir bereits im vergangenen Herbst mit dem neuen Konzept gestartet sind – die Schlecker-Pleite hat uns da in die Karten gespielt. Wenn so ein großer Marktanteil frei wird, spüren wir das natürlich. In einer kleinen Gemeinde, wo es vorher Edeka und Schlecker gab, wird heute die Zahnbürste bei Edeka gekauft. 

Was genau haben Sie verändert? 

Rissel: Wir hatten eindeutig Nachholbedarf. Wir haben die Sortimente überarbeitet, sowohl in der Tiefe als auch in der Breite und die Preise gesenkt. Insgesamt haben wir das Sortiment mehr an den Verbraucherwünschen ausgerichtet. 

Muss man Drogeriewaren in einem entsprechenden Ambiente verkaufen, damit der Kunde zugreift?

Rissel: Wir müssen zunächst unterscheiden zwischen Zahncreme und Kosmetik. Wenn ich dekorative Kosmetik und Düfte verkaufen will, muss ich natürlich das entsprechende Umfeld schaffen, entsprechend haben wir auch an unserer Optik gearbeitet. 

Dirk Rossman sieht sich in Sachen Drogeriewaren dem Lebensmittelhandel um Lichtjahre voraus ...
Rissel: (lacht) Da liegt Herr Rossman falsch. Genauso sicher wie die Erde eine Kugel ist, genauso sicher liegen wir vorne. Herr Rossmann verfolgt uns nur.

Sie investieren neben Ihrem Kerngeschäft auch in einen eigenen Brunnen, Fleischwerke, Bäckereibetriebe … – brauchen Sie das ganze Spektrum?
Rissel: Nehmen Sie etwa den Mineral-Brunnen. Der  war beispielsweise eindeutig ein strategischer Kauf zur Sicherung von Wasser. Dasselbe gilt für „Schwarzwaldhof“ – wir im Schwarzwald sollten den Schwarzwälder Schinken auch selbst herstellen. Durch eigene Produktionsbetriebe etwa bei Brot und Fleisch sichern wir uns Rohstoffe und können Qualitäten liefern, die wir uns wünschen. 

Was bringt das alles den Kaufleuten?
Rissel: Zum einen können wir durch eigene Produktionsbetriebe unsere Kaufleute sicher und bedarfsgerecht mit Ware versorgen. Im Fleischbereich wird es zudem immer schwerer Fachmetzger zu bekommen. Wenn wir also unsere Bedienungstheken auf dem heutigen Niveau halten wollen, müssen wir als Großhandlung in Vorleistung gehen und die Produkte thekengerecht vorbereiten.  

Ihre selbstständigen Kaufleute sind ja schließlich auch die Erfolgsmacher in Ihrer Region …
Rissel: Das ist richtig. Wir liegen im Moment bei einem Umsatzplus von etwa 5,8 Prozent im Konzern. Das ist hauptsächlich den selbstständigen Kaufleuten zuzuschreiben. Insgesamt sind wir aber auf allen Vertriebsschienen gut unterwegs. 

Sind Sie eigentlich mit Marktkauf glücklich?
Rissel: Das sind wir. Derzeit haben wir vier privatisierte Marktkauf-Häuser Dazu kommen noch 23 Standorte in Regie. Insgesamt haben wir sechs Marktkauf-Häuser geschlossen, vier privatisiert, drei in E-Center umgestellt und elf renoviert. Dieses Jahr modernisieren wir nochmals vier Standorte. Die gründliche Überarbeitung des Konzeptes macht sich bezahlt. 
Und: In diesem Jahr haben wir zum ersten Mal mit Marktkauf schwarze Zahlen geschrieben. 

Welche Schritte stehen als nächstes an?
Rissel: Nächstes Jahr werden wir weitere Marktkauf-Häuser renovieren, einige auch privatisieren. Zudem sind wir immer auf der Suche nach passenden Flächen um neue Standorte zu eröffnen – sowohl in Regie als auch in selbstständiger Hand. 

Ist es schwieriger einen Marktkauf zu führen, als ein E-Center?
Rissel: Nein, das denke ich nicht. Ob Marktkauf oder E-Center, das Konzept muss stimmen.

Für welches Konzept steht Marktkauf, für welches E-Center?
Rissel: Neben der Größe – Marktkauf steht für Großfläche über 4000 Quadratmetern, E-Center für Großflächen unter 4000 Quadratmetern – ist der Nonfood-Anteil am Sortiment ausschlaggebend. E-Center sind lebensmittelbetonter, während Marktkauf von der Fläche her zu mindestens 50 Prozent aus Nonfood besteht. 

Wäre es nicht sinnvoller, Marktkauf und E-Center unter einem Namen zu führen?
Rissel: Nein. Das passt einfach nicht. Die Angebote sind völlig unterschiedlich. Viele E-Center führen kein Nonfood. Schon allein eine gemeinsame Werbung wäre da schwierig. 

Sie führen Aktiv-Märkte, Neukauf … wann kommt die einheitliche Firmierung?
Rissel: An unseren neuen Flächen steht inzwischen nur noch Edeka, verbunden mit dem Namen des selbstständigen Kaufmanns. Aktiv und Neukauf verschwinden langsam. Wir wollen allerdings keinen Big Bang.

Sie haben auch noch Standorte wie Treff3000… machen Sie da nicht Netto Konkurrenz? Es sind doch beides Discounter …
Rissel: Das schon, aber Netto ist – im Gegensatz zu Treff3000 - ein aktiver Discounter. Treff3000-Standorte sind nicht für Netto geeignet – sie sind flächenmäßig zu klein und haben eine zu schlechte Infrastruktur. 

Wie stehen Sie grundsätzlich zu Netto?
Rissel: Ich mag Netto. Nur nicht bei uns. 

Damit stehen Sie nicht alleine da …
Rissel: Natürlich muss man das differenziert sehen. Sicher macht ein Discounter bei der Edeka Sinn. Als Marktführer kann man nicht einfach an 40 Prozent Marktanteil vorbeigehen. Vom Ergebnis her macht uns Netto mit Sicherheit dreimal so viel Spaß wie Penny der Rewe. Wir erzielen dadurch Einkaufsvorteile bei den Eigenmarken, das darf man nicht verkennen. 

Woher kommt dann die gewisse Antipathie?
Rissel: Ich bin ein Vollsortiments-Mensch. Gute Kaufleute brauchen Netto sicherlich nicht zu fürchten. Dennoch ist es ärgerlich, wenn etwas schwächere Standorte durch einen Netto-Standort Kaufkraft verlieren. Andererseits herrscht im Handel das Gesetz der Wildnis: Wenn Netto nicht kommt, kommt vielleicht ein anderer Discounter. Da ist es schon besser, in die eigene Konzerntasche zu wirtschaften.

Werden Sie von der Zentrale informiert, wenn ein Netto-Standort kommt?
Rissel: Nein. Wenn jede Region vorher Einfluss nehmen könnte, wäre das negativ für Netto. Wir können nicht immer nur Bestehendes bewahren und beschützen – auch nicht vor Netto. Die Zukunft kann man nicht aufhalten. 

Netto und Edeka nebeneinander, ergänzen sich die beiden Formate?
Rissel: Überall dort wo es mehrere Einzelhandelsmöglichkeiten gibt, ist aufgrund der erhöhten Frequenz eine gegenseitige Befruchtung vorhanden.

Seit 2011 testen Sie als eine Pilotregion das Warenwirtschaftssystem Lunar – ein kostspieliges Großprojekt der Edeka. Welche Vorteile bringt es?
Rissel: Zunächst einmal ist jede der sieben Edeka-Regionen in einem anderen Bereich Testobjekt. Die Mindener etwa bei der Logistik, wir arbeiten mit Lunar in der Einzelhandelswarenwirtschaft. Mit Lunar sind wir zunächst einmal datensicherer. Zudem beinhaltet Lunar auch ein automatisches Bestellsystem. Wenn das System insgesamt ausgereift ist, haben wir riesige Vorteile etwa bei der Lagerhaltung. Das bringt wirtschaftliche Vorteile. 

Sind diese Vorteile entscheidend im Wettbewerb?
Rissel: In Zukunft werden hohe Kosten auf den Einzelhandel zukommen, nehmen wir zum Beispiel die steigenden Energiekosten. Selbst wenn wir mit Lunar nur diese Steigerungen kompensieren könnten, hätte sich der Aufwand gelohnt.

In Mannheim und Heilbronn testen Sie seit Anfang des Jahres als erste Edeka-Region ein Drive-In-Konzept. Warum?
Rissel: Wir sehen uns in der Verpflichtung neue Konzepte für unsere Kaufleute zu testen – deshalb haben wir schließlich Regiemärkte. Insgesamt sehen wir die beiden Standorte als Übungsobjekte. Besonders in Sachen Logistik müssen wir noch nachjustieren und Erfahrungen sammeln. Weitere Drive-Standorte sind allerdings nicht geplant.

Ist der online-Verkauf von Food ein Thema für Sie?
Rissel: Grundsätzlich ja, aber in der Zustellung sind die Systeme bisher noch zu teuer. 

Dennoch betreiben Sie selbst Portale wie edeka24.de oder eworld.de …
Rissel: Dort verkaufen wir aber nur Spezialitäten. Nur bei Wertschöpfungsprodukten wie diesen macht das Sinn. Am besten laufen Spirituosen, Wein und Geschenke. 

Sie haben eine „Unsere Heimat“-App und eine Mineralwasser-App. Was haben ihre Kaufleute davon?
Rissel: Damit zeigen wir Kompetenz, was wiederum die Marke Edeka stärkt.

Was haben Sie sich für 2013 vorgenommen?
Rissel: Im vergangenen Jahr haben wir unser Fleischwerk gebaut und den Fischgroßhandel aufgenommen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Jetzt heißt es konsolidieren. In der Expansion lassen wir nicht nach und planen weiterhin 40 neue Standorte pro Jahr. 

Sie sind 61 Jahre alt. Denken Sie eigentlich schon an Ruhestand?
Rissel: Ich fühle mich gut, bin motiviert und zuversichtlich. Ein paar Jahre bleibe ich schon noch mit dabei.

Harald Rissel
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