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„Im Gespräch bleiben“

Handeln bedeutet, miteinander ins Gespräch zu kommen. Doch was, wenn sich die Gespräche in den digitalen Raum verlagern? Peter Wippermann erklärt, welche Folgen dieser Wandel mit sich bringt.

Peter Wippermann
Trendforscher Peter Wippermann; Foto: Unternehmen
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Von Kim Eberhardt

Herr Wippermann, in wenigen Wochen wählen die Deutschen eine neue Regierung? Was wird wahlentscheidend sein? 
Wippermann: Sicherheit und Kontinuität werden die Wahl entscheiden. Seit 2008 leben wir mit Finanzkrisen und sind bisher scheinbar von ihnen verschont geblieben. Da keine der Parteien Hoffnung auf ein besseres Morgen macht, wird ein rasender Stillstand die Wähler überzeugen.

Viele Händler reden darüber, wie man Lebensmittel online verkaufen kann. Bleibt es beim Reden?
Wippermann: Es gibt auf Seiten der Händler eine große Skepsis und wenig Vertrauen in den Online-Vertrieb. In der gleichen Situation steckte der Buchhandel vor einigen Jahren. Die Folge war, dass der Dienstleister Amazon den Kunden das digitale Lesen beibrachte.

Was muss ein Lebensmittelunternehmen tun, um im Online-Verkauf erfolgreich zu sein? 
Wippermann: Es ist in etwa so, als wenn man ein Auto mit Flügeln ausstattet. Die Flügel stehen für den Online-Vertrieb. Man kann dann fliegen, ist aber immer noch kein Flugzeug. Aber man konkurriert mit reinen Flugzeugen. Hier den Weg zu finden, vielleicht Kooperationen einzugehen, das wird das Interessante sein. Darüber hinaus ist es wichtig, ein Gespür für die Wünsche der Konsumenten zu entwickeln.

Möchten die Kunden ihre Waren tatsächlich nur noch online kaufen?
Wippermann: Die meisten Kunden kaufen ihre Lebensmittel derzeit noch am liebsten im Supermarkt um die Ecke. Doch es findet ein Wandel statt. Die Frage ist, was sparen die Menschen, wenn sie im Internet einkaufen? Sie sparen Zeit. Dadurch, dass Zeit die Konstante ist, sind die Kunden weiter bereit, sich diese zurückzukaufen. Meiner Meinung nach werden Lebensmittel in Zukunft von unterwegs gekauft und zwar online und mobil mit dem internetfähigen Handy oder Tablet.

Wie werten Sie den Vorstoß der ostfriesischen Handelsgesellschaft Bünting auf mytime.de?
Wippermann: Das Problem bei Lebensmitteln ist die Frische und das Rückgaberecht. Das kann nur derjenige bewältigen, der in der Lage ist, relativ schnell die verderbliche Ware zum Endkunden zu bringen. Das ist eine logistische Herausforderung. In Deutschland ist man noch vorsichtig. Da wird der stationäre Handel derzeit mit dem Onlinehandel ergänzt. In England gibt es einen Supermarkt, der nur Onlinehandel betreibt.

Was raten Sie den Großflächenbetreibern? Ebenfalls online gehen oder das Nonfood-Geschäft anderen überlassen?
Wippermann: Ebenfalls online zu gehen ist nicht die Lösung. Im Internet sind diese Unternehmen dem direkten Preisvergleich ausgesetzt. Besser ist es, die Andersartigkeit herauszustellen. Das heißt, sich die Frage zu stellen, warum kommen die Kunden in mein Geschäft. Großflächen sollten umgebaut und neue Inszenierungen gewagt werden. Die Modewelt macht das vor. Das Label Abercrombie and Fitch beispielsweise. Hier steht nicht mehr das Produkt im Vordergrund sondern die Inszenierung einer Welt.

Brauchen Unternehmen Facebook?

Wippermann: Das Interessante ist, dass man mit Hilfe solcher Plattformen versucht, permanent im Gespräch zu bleiben, Feedbackschleifen bildet und nicht mehr darauf wartet, bis die Kunden zu einem kommen. Heute ist es wichtig, den Kunden online überall dort zu erreichen, wo er sich gerade befindet und ihn aktiv mit relevanten Informationen zu versorgen. Das ist eine neue Art von Arbeit. Es macht Sinn, eigene Mitarbeiter dafür zu haben, die sich nur um diese Onlinekommunikation kümmern.

Was kommt nach den sozialen Netzwerken?

Wippermann: Das ist schon längst am Horizont erkennbar. Bei Google Glass beispielsweise werden über eine Brille Informationen eingeblendet. Das Stichwort ist „augmentet reality“ – erweiterte Realität. Für den Handel bietet das einen klaren Mehrwert. Sobald sich ein potentieller Kunde, dem Handelsstützpunkt nähert, erhält er Informationen. Die Ortung des Kunden erfolgt mittels GPS-Daten. Barcoo ist solch ein Angebot, das bereits von etwa 10 Millionen Deutschen genutzt wird.

Welche Rolle spielt das Smartphone derzeit beim Lebensmitteleinkauf?
Wippermann: Im Moment werden über das Smartphone vor allem Preise verglichen werden. Das ärgert die meisten Händler. Einige erkennen, dass sie sich neu organisieren müssen. Die alte Formel: „Wir bieten etwas an, du kommst, nimmst es dir, bezahlst und gehst dann wieder“, hat ihre Gültigkeit verloren. Heute entscheidet der Kunde in Echtzeit, was er kaufen möchte. Dazu ist er technisch in der Lage. Die Frage, die es zu beantworten gilt lautet: Findet mich der Kunde? Und findet er mich und mein Angebot sympathisch? Dieses System ist so verschieden zu dem bisherigen Begriff des Handelns, dass es nicht einfach addiert werden kann. Es muss ein Umdenken erfolgen.

Inwiefern haben sich die Essgewohnheiten der Verbraucher geändert?
Wippermann: Die Zeit der Zubereitung wird heute eingespart. Vor allem junge Frauen sind nicht mehr spontan bereit für ihre Familien zu kochen. Bei der Haushaltsorganisation wird zunehmend auf Tiefkühlangebote, Fast Food, Restaurant-Angebote und Convenience-Ware zurückgegriffen. Aber auch im Bereich Fast Food findet ein Wandel statt. Vor allem im gehobenen städtischen Bereich ist das Bewusstsein am größten, dass Essen mehr ist, als nur satt  zu werden und mehr, als reiner Geschmack.

Wie und wo kaufen junge Menschen Lebensmittel?
Wippermann: Junge Menschen haben ein ähnliches Einkaufsverhalten wie ihre Eltern. Sie kaufen jedoch zeitorientierter ein. Das heißt, sie essen eher unterwegs, haben keine geregelten Pausen und lassen sich im Supermarkt weniger Zeit. Zudem suchen sie zum Essen Orte auf, an denen sie auf Gleichgesinnte treffen. Sie wollen neue soziale Kontakte knüpfen. Schüler gehen beispielsweise lieber in die Dönerbude, obwohl sie in der Schulkantine ein billigeres, gesünderes und vollwertigeres Essen bekommen könnten.

Was begeistert junge Leute heutzutage überhaupt noch?
Wippermann: Sinnstiftung. Das sieht man in der Modewelt. Nicht das einzelne Produkt steht im Vordergrund, sondern die Inszenierung. Einzutauchen in eine Welt, deren Rituale vorgelebt werden, begeistert junge Konsumenten. Die klassischen Institutionen scheinen diese Rituale nicht mehr glaubwürdig zu vermitteln.

Viele reden von Regionalität. Wird „Made in Germany“ wieder zum Thema?
Wippermann: Bei dem Thema Regionalität geht es letztlich um Vertrauen. Die Idee, dass man der Region in der man wohnt Vertrauen gegenüberbringt, ist selbstverständlich. Man geht davon aus, dass die Produkte, die im eigenen Umfeld hergestellt werden, besser sind, als diejenigen, die woanders hergestellt werden.

Warum ist das momentan so ein großes Thema mit dem Vertrauen?
Wippermann: Wenn Sie in den Supermarkt gehen und Cannelloni kaufen und anschließend erfahren, dass Sie Pferdefleisch gegessen haben, dann fühlen Sie sich übervorteilt. Wir sind an einem Punkt, an dem die Konsumenten nicht mehr mitspielen.

Müssen unsere Lebensmittel sicherer werden?
Wippermann: Unsere Lebensmittel sind heute sicherer also noch vor zehn Jahren. Wir haben viel bessere Überprüfungsmöglichkeiten und Organisationssicherheiten. Aber je mehr Daten wir haben, umso mehr wissen wir, was wir essen und umso größer ist unsere Sehnsucht nach Vertrauen. Angaben über die chemische Zusammensetzung eines Produktes sind wichtig zu haben – aber nur als Symbol des Vertrauens.

Wollen die Verbraucher heute alles über ihr Produkte wissen, so wie Verbraucherschützer und Medien das suggerieren?
Wippermann: Die Verbraucher wollen überhaupt nichts wissen. Sie wollen nur die Garantie haben, dass ihre Erwartungen erfüllt werden. Das Gesundheitsbewusstsein hat zugenommen. Aus diesem Grund sind die Menschen übersensibel, wenn sie Informationen bekommen, die sie nicht verstehen. An diesem Punkt ist die Lebensmittelbranche gefordert, mit Hilfe von  Zusammenschlüssen, Initiativen zu bilden und kommunikativ zu reagieren.

Was halten Sie von To-go-Konzepten? Werden sich solche Konzepte im deutschen Handel durchsetzen können?
Wippermann: Die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen haben aus uns Food-Nomaden gemacht. Wir gehen in Oasen, kaufen unsere Produkte und essen sie unterwegs. Die Idee, die hinter solchen Konzepten steht ist den asiatischen Garküchen nachempfunden. Der Verbraucher geht in einen Imbiss, von dem er weiß, dass er dort gute und frische Waren bekommt. Das hat natürlich alles seinen Preis. Die Kunden bezahlen mit ihrer freien Zeit und werden so zu freien Mitarbeitern der Unternehmen. Wir kaufen die Infrastruktur, wir kaufen die Prozesskosten und zahlen mit Zeit. Die Menschen laufen herum, essen und telefonieren gleichzeitig, weil sie kaum Zeit für soziale Kontakte haben. Gemeinsame Zeit ist individualisiert worden.

Die Bierbranche steckt mitten in der Krise. Ein hausgemachtes Problem?

Wippermann: Auch hier erwarten die Konsumenten, dass Bier ein Art Lebensgefühl mit sich bringt. Eigenwilliges, saisonales Bier wird heute lieber konsumiert als die Traditionsmarken. Astra war eine der ersten Marken, die das verstanden und frei gewordene Arbeiterkulturen für die kreative Klasse umgewandelt hat. Wichtig ist, das Thema Community wieder neu zu zelebrieren. Das ist den klassischen Bierbrauern aus den Augenwinkeln gerutscht.

Was sind die Lieblingsfarben der Deutschen?
Wippermann: In diesem Jahr soll durchgängig Optimismus suggeriert werden. Pastell-Töne und helle Farben stehen im Vordergrund. Die Modewelt präsentiert sich in einer leichten Farbigkeit, welche die Auswirkungen der Finanzkrise abfedern soll.  

Edeka ist blau-gelb, Rewe rot, Lidl blau-gelb-rot: Entsprechen die Farben der Handelsketten noch dem Zeitgeist?

Wippermann: Bei den Farben geht es in erster Linie um die schnelle Wiedererkennbarkeit einer Marke. Aber es geht auch um die Inhalte. Unternehmen sollten sich fragen: Wie geht ich mit meinen Angeboten um? Wie sieht die Situation meiner Lieferanten aus? Was tue ich für die Umwelt? Wie behandele ich meine Mitarbeiter? Der soziale Faktor ist entscheidend. Heute ist nichts mehr sicher, das macht die Eurokrise deutlich. Die Menschen organisieren sich in Bekanntenkreisen und suchen soziale Nähe. Danach suchen sie auch Ihre Marken aus.

Peter Wippermann

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