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Interview mit Hans-Christian Riekhof: Preisfragen im Fokus

Wie können Rabatte zielgerichteter und personalisierter eingesetzt werden? Eine Strategie wie „Drei Prozent für alle“ ist nicht der richtige Weg, sagt Pricing-Experte Hans-Christian Riekhof. Und auch zum Servicethema Instore-Navigation hat er Lösungen parat.

Pricing-Experte Hans-Christian Riekhof. Foto: Ole Blaubach
Von Martina Kausch | Fotos: Ole Blaubach

Herr Riekhof, Sie testen gerade in LEH-Märkten einiger Handelsunternehmen in Pilotprojekten Instore-Navigation mit Kundenkarten, die außerdem personalisierte Rabatte ermöglichen?
Der Grundgedanke von Instore-Navigation, wie sie bereits in Baumärkten angewendet wird, ist die Frage: Wie kann ich als Kunde beispielsweise im Baumarkt unter zehntausend Produkten die richtigen Sägeblätter zu meiner Pendelhubstichsäge finden, wenn es kein Personal gibt? Mit der Smartphone-App gibt der Kunde das Produkt ein und wird wie bei Google Maps in einer Turn-by-Turn-Navigation zum Produkt geleitet. 


"Handelsunternehmen haben aktuell sehr wenig Datenwissen über die Kunden im Store. Das erstaunt mich immer wieder."

Hans-Christian Riekhof


Was bringt’s?
Neben dem Service für den Kunden bietet Instore-Navigation für den Händler spannende und nützliche Einsichten ins Kaufverhalten. Handelsunternehmen haben aktuell sehr wenig Datenwissen über den Kunden im Store. Das erstaunt mich immer wieder. Mit einer digitalen Kundenkarte als App kann man vieles besser abbilden: die Laufwege der Kunden, welche Produkte suchen sie, haben sie sie gefunden? Wie lange bleiben sie in jeder Abteilung? Daraus lassen sich Interessenmuster ableiten: Welche Abteilung meiden Kunden, welche suchen sie? Erst dann kann der Händler Coupons zielgerichtet ausspielen. Aber das erfasst der Handel aktuell nicht.

Das bedeutet, verglichen mit anderen Branchen kennt der Händler im LEH seine Kunden noch lange nicht gut genug? 
Wenn ein Einzelhändler Kunden nicht auf individueller Datenebene kennt, hier kein Wissen besitzt, hat er einen Informationsnachteil. Ein digitales System, beispielsweise eine App, hilft, diesen Nachteil gegenüber dem Online-Handel auszugleichen. 

Gibt es dann umfangreichere Möglichkeiten, den Kunden individueller anzusprechen? Und was bringen sie dem Händler?
Hier kommt das Thema Rabatte ins Spiel. Ohne weitere Differenzierung jedem Kunden den gleichen Rabatt zu geben, macht ökonomisch keinen Sinn, weil die Zahlungsbereitschaft der Kunden unterschiedlich ist. Man muss die Strategien individueller fahren. Außerdem verträgt nicht jedes Sortiment den gleichen Rabatt. Drei Prozent für alle Kunden mit Karte, das kann also nicht die Lösung sein. Gerade in der aktuellen Situation des Kostendrucks nicht.

Durch die App-Erkenntnisse folgt die Individualisierung bei der Kundeninformation, also Werbung?
Durch Instore-Navigation kann man das tatsächliche Kaufverhalten mit den Wegen des Kunden im Markt auf der Basis von und über Bon-Analysen abgleichen. Passgenau kann dann E-Werbung, also personalisierte Werbung, digital auf das Smartphone ausgespielt werden. Wenn ein Kunde am Joghurtregal steht, ist er aufnahmefähig für Joghurtwerbung. Wer vor dem Schuhgeschäft steht, will nichts über Hamsterfutter hören. Locationbezug erzeugt Relevanz, und Werbung sollte relevant sein. 

Haben Sie ein konkretes Beispiel? Was leistet der Handel hier aktuell?
Ja, ich habe ein konkretes Beispiel, das mich persönlich betrifft: Ich bekomme am Sonntagabend über die App eines großen Handelsunternehmens die Information, dass der Joghurt am Montag fünf Cent billiger ist. Das Problem ist nur: Am Sonntagabend habe ich vieles im Sinn und sicher gar kein Interesse an einer derartigen Information. Solche Aktions-Infos muss man deutlich individueller und abgestimmter ausspielen. 

Eine wichtige organisatorische Frage ist auch: Wo ist das Thema individualisierte Werbung durch Digitalisierung in einem Handelsunternehmen sinnvollerweise 
angesiedelt?

Meiner Ansicht nach muss Instore-Navigation vom Business getrieben sein. Siedelt man das Thema bei der IT an, sind die Informatiker oft auf der Suche nach der technisch perfekten Lösung, und das bedeutet oft einen zu großen Aufwand. Ein Vertriebschef dagegen hat oft nur seine Flächen im Auge. Ich wünsche mir einen Pricing-Vorstand, der weiß, dass man Geld für Angebote passgenauer einsetzen und Rabatte anders aussteuern kann, wenn man individualisiert.

Sie haben einen beruflichen Hintergrund im Versandhandel. Welche Erkenntnisse sind auf den LEH übertragbar?
Die Grunderkenntnis auch aus meiner Arbeit als Marketingdirektor in der Otto Group, also im Otto-Versand, ist: Was ist der beste Prädiktor für das zukünftige Kaufverhalten? Das ist der Warenkorb, den Kunden in der Vergangenheit gekauft haben. Das haben wir bei Otto immer gewusst und konnten diese Daten als Benchmark mit demografischen Daten vergleichen. Mit demografischer Segmentierung kommt man niemals so weit wie mit der Analyse des vergangenen Kaufverhaltens.

Wie läuft es bei individualisierter Werbung mit dem Datenschutz?
Der Kunde muss transparent entscheiden, welche Werbung er möchte – es geht nur mit sogenanntem Permission Based Marketing. Wie verhindert man, dass Kunden abschalten? Man trackt die Reaktionen der Kunden und führt Begrenzungen ein. Befragungen an unserem Institut haben ergeben: Fünf bis sechs Botschaften beim Einkaufen in einem Store scheinen kein Problem zu sein.


"Ich bin kein Fan des Amazon-Geschäftsmodells, aber man kann von Amazon den Mut zum Experimentieren lernen."

Hans-Christian Riekhof


Kurz zurück zum Thema Instore-Navigation: Verbringen die Kunden nicht weniger Zeit im Markt, wenn sie so schnell finden, was sie suchen?
Das haben wir in einer Case Study untersucht. Die Erkenntnis war: Kunden bleiben sogar länger im Store, wenn sie entspannt sind, weil sie alles finden, als wenn sie genervt und orientierungslos herumlaufen müssen. Mit Instore-Navigation verbringen Kunden mehr Zeit im Store, sie kaufen auch mehr. Man kann zudem Laufwege und Laufverhalten beeinflussen, wenn man Kunden auf dem Smartphone für sie passende Produktvorschläge macht. 

Was muss den LEH der Zukunft prägen – Ihrer Ansicht nach?
Noch einmal: Was nützen mir Hamsterfutter-Angebote, wenn ich keinen Hamster habe? Man muss sich im Handel auch klarmachen, dass es vom Cross-Selling über Instore-Navigation in Verbindung mit digitalen Kanälen keinen Weg zurück gibt. Ich persönlich bin kein Fan des Geschäftsmodells von Amazon, aber man kann von Amazon auf jeden Fall den Mut zum Experimentieren lernen.


ZUR PERSON

Hans-Christian Riekhof

Nach BWL- und Sozialpsychologie-Studium sowie Doktorarbeit war Hans-Christian Riekhof in der Otto Group in Hamburg unter anderem als Leiter Strategieentwicklung und Direktor Marketing tätig. Er war Professor für allgemeine BWL mit dem Schwerpunkt Internationales Marketing an der PFH Göttingen.

Seit mehr als 20 Jahren forscht Riekhof zum Thema Pricing und analysiert, wo Unternehmen Pricing-Prozesse verbessern können. Zu seiner Arbeit gehört der monatlich erscheinenden Pricing-Newsletter „Riekhof on Pricing“. Riekhof ist geschäftsführender Partner der UNICconsult Strategieentwicklung und berät Unternehmen vornehmlich im Bereich Preisstrategie.


 

 

Produkte im Markt finden?
Hier hilft Alexa

Verschiedene Instore-Navigationssysteme sind in der Entwicklung (siehe Interview), bei Rewe-Kaufmann Husein Dugonjic in Unterschleissheim bei München hilft Amazons Sprachassistent Alexa bei der Orientierung. Man kann im Vorbeigehen beispielsweise fragen: Alexa, wo finde ich Kaffee? Alexa erklärt zunächst per Sprachausgabe, in welchem Gang die gewünschte Ware liegt, und zeigt auf dem Monitor den im Marktplan eingezeichneten Laufweg dorthin. Entwickelt wurde das Angebot von der Online Software AG, Heidelberg. 

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