Herr Professor Dr. Esch, warum misstrauen viele Publikumsmedien der Lebensmittelbranche so sehr?
Esch: Sie wissen, dass viele Markenprodukte und Vertriebsformen ausgereift und qualitativ austauschbar sind und dahinter oftmals Versprechen der Unternehmen stehen. Diese Grundlage nutzen sie und prüfen, ob die Qualitäts-Versprechen auch wirklich eingehalten werden. Dabei pauschalisieren sie gerne, weil die Thematik damit greifbarer wird. Dann geht es meist um Discounter gegen Supermärkte und Handelsmarken gegen Markenartikelprodukte.
Warum stehen solche Vergleiche so oft im Fokus der Medien?
Esch: Weil Essen und Trinken Menschen betrifft und jeder einzelne spürt, dass auch er den Mechanismen der Verführung erliegt. Und: Je kritischer Journalisten sind, desto weniger gestehen sie sich ein, dass sie selbst diesen Mechanismen der Verführung erliegen. Das spornt sie an.
Inwieweit beeinflussen negative Medienberichte das Kaufverhalten der Verbraucher?
Esch: Menschen sind Gewohnheitstiere. Sie nehmen Medienberichte wahr, lassen sich davon in ihrem Lauf allerdings nicht beeinflussen. Gefährlich wird es, wenn ein Medienbericht kommunikativ über die Wege der sozialen Medien multipliziert und damit zeitlich verlängert wird.
Wie können sich Handelsorganisationen vor Medienschelten absichern?
Esch: Sie sollten ihre Leistungsversprechen so klar und authentisch wie möglich formulieren und sicherstellen, dass diese Versprechen über alle kommunikativen Kontaktpunkte gelebt werden können und auch tatsächlich gelebt werden – allen voran in den Verkaufsflächen. Hier besteht kommunikativ Handlungsbedarf.
Sie haben in mehreren Studien das Kaufverhalten der Verbraucher analysiert. Welche Rolle spielen soziale Netzwerke bezogen auf die Einkaufsstätten- und Produktewahl?
Esch: Um es vorwegzunehmen: Lebensmittelhändler sollten die Rolle der sozialen Netzwerke nicht überschätzen. Es ist nämlich nach wie vor so, dass viele Verbraucher sich weitgehend bei der Einkaufsstätten-Wahl an gelernten Erfahrungen und im Produktkauf an den Angeboten der gedruckten wöchentlichen Handzettel orientieren. Auch der Fernseh- und Hörfunkspot hat nach wie vor einen hohen Einfluss bei Verbrauchern, die eher emotional getrieben sind und sich immer wieder aufs Neue inspirieren lassen wollen.
- Sie haben dazu auch Marketingverantwortliche befragt. Wo setzen sie an?
Esch: Marketingverantwortliche sind von ihrem Wesen her neugierig und folgen deshalb gerne neuen Themen und Trends. Die Gesetzmäßigkeiten einer Marke können sie allerdings damit nicht außer Kraft setzen. Marken geben den Takt vor – auch in sozialen Netzwerken. Red Bull zum Beispiel ist dort alles andere als basisdemokratisch. Die Marke behält sich auf Facebook vor, nur unternehmenseigene Fotos zu posten und lässt ihren Fans lediglich die Möglichkeit, diese Fotos zu kommentieren.
Welche Relevanz haben soziale Netzwerke für selbstständige Kaufleute hinsichtlich von Kaufentscheidungen?
Esch: Keine wesentlichen. Erhebungen belegen, dass viele Nutzer sozialer Netzwerken von Marken, Jäger und Sammler sind. Sie outen sich als Fans und grasen die sozialen Netzwerke gezielt nach Gewinnspielen ab. Dessen sollten sich Unternehmer bewusst sein.
Welche Relevanz haben Vergleichsportale im Internet für den Lebensmittelhandel?
Esch: Sie sind für Produkte mit einem hohen wirtschaftlichen Risiko wie etwa Fotoapparate oder Multimediaprodukte und für Urlaubsreisen relevant. Bei Lebensmitteln spielen Vergleichsportale keine Rolle. Die bestehenden Portale haben beileibe keine repräsentative Nutzeranzahl.
Brauchen selbstständige Kaufleute soziale Netzwerke und wenn ja, wie viele davon?
Esch: Kaufleute, die unter einer nationalen oder regionalen Marke firmieren, sollten sich an das Diktat der Marke halten. Sie tun gut daran, über die Arbeit am Point of Sale und über den persönlichen Kontakt mit den Kunden in die Marke einzuzahlen. Rückwärtige Aufgaben sollten Einzelhändler grundsätzlich ihren Handelszentralen und den dort dafür verantwortlichen Spezialisten überlassen.
Sprechen Sie Kaufleuten damit die Kompetenz im Umgang mit sozialen Netzwerken ab?
Esch: Darum geht nicht. Kaufleute sollten vielmehr an den letztlich entscheidenden Kontaktpunkten mit den Verbrauchern ansetzen – in ihrem Markt und mit ihren Mitarbeitern. Sie sollten sich in ihrem Handeln und in ihrem Zeitmanagement nicht davon abbringen lassen – nur weil Medientrends interessant klingen.
Eine alte Erkenntnis besagt, dass zwei Drittel aller Kaufentscheidungen am Point of Sale getroffen werden. Gilt diese Regel heute und künftig noch?
Esch: Ja, sie spiegelt das typische Kaufverhalten wieder. Die Mehrheit der Verbraucher hat ihre gewohnheitsmäßigen täglichen oder wöchentlichen Produktkäufe und lässt sich darüber hinaus gerne am Point of Sale von besonders herausgestellten Produkten und Ideen inspirieren.
Was sind die entscheidenden Berührungspunkte der Verbraucher am Point of Sale?
Esch: Unseren Erkenntnissen zufolge gibt es zwei wesentliche Einflussfaktoren. Zum einen wollen sich Verbraucher in einem Markt gut zurechtfinden, weil dadurch das Einkaufen für sie einfacher und stressfreier wird. Zum anderen hängt ihre Verweildauer wesentlich vom Ambiente einer Einkaufsstätte ab. Dabei spielen Warenträger, Beleuchtung, Beschallung, Farben und markenprägende Elemente eine Rolle. Jeder Einzelhändler sollte mit seinen Kunden eine Reise durch den eigenen Markt dazu machen – von der Anfahrt über die Beschilderung vor und im Markt bis hin zur Kasse.
An welchen Stellen im Markt lassen sich Verbraucher in der Regel am einfachsten inspirieren?
Esch: Die Entscheidungskraft eines Kunden entlädt sich im Laufe seines Einkaufs wie eine Batterie. Folglich ist die Willenskraft eines Kunden am Ende eines Einkaufs in der Regel gering und die Möglichkeit, ihn zu beeinflussen entsprechend groß. Vor allem, wenn er dort mit Produkten konfrontiert wird, die ihm einen Belohnungscharakter vermitteln.
Was bewegt die Verbraucher darüber hinaus zurzeit besonders?
Esch: Generell streben sie nach mehr Informationen zu den Produkten, die sie kaufen wollen. Sie nutzen die verfügbare Information allerdings nicht. Die Auseinandersetzung damit ist für viele Menschen einfach zu zeitaufwändig. Letztlich begnügen sich die meisten Verbraucher dann mit der potenziellen Verfügbarkeit – und vertrauen ihren gelernten Marken und Einkaufsstätten.
Zunehmend mehr Hersteller versehen die Verpackungen ihrer Markenprodukte mit QR-Codes. Verbraucher sollen so schnell Zugriff auf Informationen zu dem Produkt haben. Ist das die Zukunft?
Esch: Das klingt im Ansatz gut. Allerdings führen viele bestehende OR-Codes auf Homepages, die nicht Smartphone-gerecht gestaltet sind und keinen schnell verfügbaren Mehrwert bringen. Zudem gibt es in vielen – vor allem größeren – Einkaufsstätten keinen Internet-Empfang. In England hat Tesco seine Märkte mit W-Lan-Verbindungsmöglichkeiten ausgestattet – als Mehrwert für die Kundschaft. In Deutschland sind wir noch nicht so weit.
Nutzen Verbraucher QR-Codes?
Esch: Jüngsten Erhebungen zufolge nutzen 18,6 Prozent der Smartphone-Besitzer QR-Codes. Das ist wenig und liegt auch an den fehlenden Mehrwerten, die zurzeit hinter vielen QR-Codes liegen.
Sind Handelsmarken eine ernst zu nehmende Konkurrenz für Markenartikelprodukte?
Esch: Ich finde den Ansatz „Mama, Papa, Rewe“ von Rewe Group-Chef Alain Caparros für richtig. Qualitäts-Handelsmarken sind deshalb wichtig, weil sie eine emotionale Bindung zu einer Vertriebsmarke auch außerhalb eines Supermarktes aufbauen. Diese Bindung sollte am besten von Kind auf stattfinden, also durch eine frühzeitige Sozialisation. Davon profitieren mittel- und langfristig dann wieder starke Markenartikel, die die Sortimentsleistung von Supermärkten heute und künftig wesentlich prägen.