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Öl- und Getreidemühlen - eine Existenzfrage

Ohne Getreide und Ölsaaten gibt es im LEH weder Brot noch Müsli noch Salatöl, das ist die Binsenweisheit. Doch die verarbeitenden Mühlen kämpfen gegen die Folgen der Kriegs- und Energiekrise. Und dann dient Rapsöl auch noch als Kraftstoff: Tank oder Teller – ist das die Frage? Ein RUNDSCHAU-Schlaglicht auf eine lebenswichtige Branche.

Grammgenau wiegt die Mehrkopfwaage der Bohlsener Mühle für die darunterliegenden Gebinde ab. Foto: Lars Wendlandt
Von Martina Kausch | Fotos: Lars Wendlandt

Auf neue Herausforderungen reagieren – darin ist Mathias Kollmann bereits seit 2019 geübt. Als Corona die Lieferketten auch der Bohlsener Mühle durcheinanderbrachte, war die Reaktion des Geschäftsführers so einfach wie unkonventionell. „Wir mussten uns damit beschäftigen,
wie die Ware zum Kunden kommt. Wir haben die Verpackungseinheiten geändert und auf Abholung umgestellt.“

Und dann berichtet Kollmann, wie sich die Kunden das Mehl mit Schaufeln in Tüten gefüllt haben. „Was mich an Krisen begeistert, ist: Die Menschen werden innovativ“, sagt der 53-Jährige, der im müllerweißen Sommer-T-Shirt über seine Arbeit spricht. Allerdings merkt er auch an: „Ich mache meinen Job seit 30 Jahren, aber so etwas wie aktuell habe ich noch nie erlebt. Sie können nicht mittel- oder langfristig planen! Es ist extremst anstrengend.“ 

 


"Was mich an Krisen begeistert: Die Menschen werden innovativ. Aber es ist extremst anstrengend."

Mathias Kollmann, Geschäftsführer Bohlsener Mühle


Sieben Monate später, im Februar 2023 und nach einjährigem Ukrainekrieg, hat sich das Leben des Bio-Mühlen-Unternehmers nicht
entspannt, und auch konventionelle Mühlen kämpfen an allen Fronten gegen Probleme. Woher die Rohstoffe nehmen? Wie die Energiepreise stemmen? Auf welche Weise die Technik zu mehr Effizienz und weniger Kosten umrüsten? Welche Verpackungen haben
eine akzeptable Ökobilanz und werden vom Konsumenten gerne gekauft?

Energie aus der Mühle für das Dorf Mathias Kollmann ist das, was man ein Bio-Urgestein nennen kann. Er geht mit Landwirten in Berlin zum „Wir haben es satt“-Protest auf die Straße und arbeitet in Gremien und Verbänden für nachhaltige Landwirtschaft. Bis hin zum eigenen Kochbuch betreibt er Bewusstseinsbildung, Stichwort Klimakulinarik: „Was und wie wir essen verändert das Klima“, heißt es im Vorwort, CO₂-Fußabdruck und Klimawirksamkeit sind für jedes Rezept berechnet.

Und in Gerdau in der Lüneburger, dem Standort der Bohlsener Mühle, hat das Wirken des Geschäftsführers mit seinem Team Folgen für den Ort: Knapp 75 Haushalte werden über das Nahwärmenetz mit Wärme versorgt und haben so eine moderne und effiziente Heizanlage. Die gemeinsame Heizzentrale wird mit Dinkelspelzenpellets der Bohlsener Mühle betrieben. Dass die Mühle intensiv daran arbeitet, auch Lieferwege zu verkürzen, muss man fast nicht mehr erwähnen.

2020 wurden bereits 14.449 Tonnen und damit rund 46 Prozent der eingekauften Rohstoffe aus einem Umkreis von 200 Kilometern bezogen. Seit 2016 bauen drei Landwirte in Norddeutschland sogar Bioland-Quinoa für die Bohlsener Mühle an.

Regional und als Agrobusiness

Die Mühlenlandschaft in Deutschland ist vielfältig, auch was die Unternehmensgrößen betrifft. Im Jahr 1950 gab es noch fast 19.000 Getreidemühlen, 2020 waren es laut Verband Deutscher Mühlen 550, davon vermahlen 186 mehr als 1.000 Tonnen im Jahr. Ölmühlen werden gesondert erfasst. Eine Überlebensstrategie gegen das Mühlensterben war in den vergangenen Jahrzehnten Spezialisierung – eventuell in Richtung Bio – und Regionalisierung.

Kleine Betriebe haben sich eher die Regionalität und Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben, aber das Thema CO₂-Reduzierung ist auch bei den Großen angekommen. Die Straubinger Ölmühle beispielsweise gehört zur Archer Daniels Midland Company (ADM), die, gesteuert von Chicago aus, weltweit Getreide und Ölsaaten verarbeitet. ADM ist einer der fünf größten Agrarbusiness-Konzerne der Welt. Am Standort Straubing am Donauhafen hat sich das ADM-Werk auf die Gewinnung von Proteinen aus nicht gentechnisch veränderten Sojabohnen aus dem Donauraum spezialisiert. Im September 2021 gab ADM bekannt, für die USA-Mühlen als Erster der Branche den Status der Nettokohlenstoffneutralität erreicht zu haben.

Der Riesenplayer erreichte dieses Ergebnis – nach eigenen Angaben früher als geplant – durch eine Kombination aus Energieeffizienz, dem Kauf von Zertifikaten für erneuerbare Energien und der Bindung von Kohlendioxid in der kommerziellen Kohlenstoffabscheidungs- und -speicherungsanlage des Unternehmens. Auch in der Straubinger Mühle wird Rückgewinnung von Wärmeenergie und biologische Abluftreinigung betrieben. Biogene Rohstoffe, nachhaltige Produktion, kein Abfall: Ölmühlen können also zu Paradebeispielen für biobasierte Wirtschaft werden.

Pionier für alte Getreidesorten

Ein Beispiel für ein mittelständisches Unternehmen, das sich erfolgreich spezialisiert hat, ist die Schapfenmühle. 1452 erstmals urkundlich erwähnt, ist sie das älteste noch produzierende Unternehmen in Ulm und 2023 breit aufgestellt. Dinkel, Hafer und Emmer werden verarbeitet, sowohl in konventioneller als auch in Bio-Qualität.

„Heute ist Dinkel aus den Bäckereien und dem LEH nicht mehr wegzudenken, doch in den 2000er-Jahren waren wir Pioniere“, berichtet der geschäftsführende Gesellschafter Ralph Seibold. Mit der Dinkel-Mühlenmischung „Schapfen Schwabenkorn“, einem Dinkelvollkornbrot, gelang der Schapfenmühle der bundesweite Durchbruch. Heute stehen Produkte wie „Dinkel wie Reis“ als Innovation in den LEH-Regalen.

Dabei stammt der Dinkel von heimischen Vertragslandwirten, und auch bei Emmer waren die Ulmer Vorreiter: Im Herbst 2013 haben die ersten Landwirte gemeinsam mit der Schapfenmühle die alte Getreidesorte ausgesät. Mit dem Ergebnis der Ernte waren im Sommer 2014 alle so zufrieden, dass es inzwischen einen festen Kreis an Vertragslandwirten gibt, die Emmer für die Schapfenmühle anbauen. In der Schäl- und Mehlmühle wurde ein schonendes Verfahren entwickelt, mit dem der Emmer entspelzt und vermahlen wird – ein wichtiger Schritt, um die Pflanze wieder ins Bewusstsein zu heben.

Den hohen Siloturm nutzt das Unternehmen allerdings auch für andere Aktionen: Am 28. April 2022 war gegen 21 Uhr für zwei Stunden der Schriftzug „PEACE“ als Laserprojektion in den ukrainischen Farben Blau und Gelb zu sehen. Gemeinsam mit einem Laserkünstler wollte das Unternehmen ein Zeichen der Solidarität setzen.

Von Leichtglasflaschen und Biogas

Nach einem Jahr Ukrainekrieg ist bei den Herausforderungen kein Ende abzusehen, aber die Mühlen trotzen den Schwierigkeiten. Als Marcus Hartmann in der Region Augsburg begann, Speiseöle aus eigenem Anbau herzustellen, war er mit der ersten Ölmühle Bayerns 1950 Pionier auf dem Gebiet. Mittlerweile verarbeitet das Werk in Diedorf jährlich über 1.000 Tonnen Ölsaaten zu Ölen mit unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen von Basilikum bis Zitrone.

„Das Unternehmen ist von der Energiekriese voll getroffen“, sagt Marcus Hartmann, aber er hat reagiert: Die Öle werden künftig in Leichtglasflaschen abgefüllt. „Da Glas in der Herstellung viel Energie benötigt, konnte dabei die Teuerung auf nur 20 Prozent gedrückt werden, und da diese Flaschen um 50 Prozent leichter sind, kann das Unternehmen auch im Transport und Versand entsprechend Kosten sparen“, so der Geschäftsführer.

Außerdem ist die Ölmühle bereits seit drei Jahren Solar-Food-zertifiziert, die Energie für das Unternehmen kommt zum großen Teil aus Fotovoltaikanlagen von den Firmengebäuden, und die Wärme zum Heizen und Trocknen der Ölsaaten stammt von der benachbarten Biogasanlage. „Somit konnte Hartmann die Preise relativ stabil halten“, ist die Bilanz Anfang Februar dieses Jahres.

Raps für Teller oder Tank?

Die kritische Situation beim Thema Preis und Produktion bei Ölsaaten zeigte sich im vergangenen Kriegsbeginnsjahr, als die Rapspreise auf in bis dahin unvorstellbare Höhen stiegen. Musste man im Februar 2022 für eine Tonne Raps rund 610 Euro hinlegen, waren es im April über tausend Euro. Im Februar 2023 lag der Preis bei rund 550 Euro. Auch die im Frühjahr 2022 stark gestiegenen Getreidepreise haben sich im Februar 2023 auf etwas über Vorkriegsniveau eingependelt. Bei Konsumenten ist Rapsöl das bekannteste Speiseöl, wie durch eine Forsa-Umfrage analysiert wurde (s. Grafik l.).

Die Krux mit dem Biodiesel

Aber so bekannt und beliebt Rapsöl bei Konsumenten in der Küche ist – mittlerweile hat sich ein Problemfeld aufgetan. In Deutschland ist Raps, genauer gesagt Rapsöl-Methyl-Ester, der wichtigste Rohstoff für die Herstellung von Biodiesel. Damit stehen Speiseöl produzierende Mühlen in Konkurrenz zu den Kraftstoffproduzenten. Bio-Kraftstoffe stoßen im Schnitt 70 Prozent weniger Treibhausgase aus als fossiler Sprit. Passiert Klimaschutz zulasten von Lebensmittelanbau?

Doch lieber Diesel aus Frittierfett

Dank technischem Fortschritt wurde der nächste Schritt in Richtung Teller statt Tank bereits getan. In Hoya, einem Ort zwischen Bremen und Hannover, wird seit Februar 2023 Biodiesel verkauft, der zu hundert Prozent aus altem Frittierfett besteht. Die Fahrzeuge müssen nicht einmal umgerüstet werden. Allerdings: Dieser Biodiesel ist (aktuell) noch deutlich teurer als Diesel oder Super-Benzin.

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