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"Online mal anders"

Sie ist Anfang 40, verheiratet, Schwedin, Mutter von zwei Kleinkindern und seit zwölf Jahren in Deutschland. Vor zwei Jahren hat Lisa Rentrop ein ungewöhnliches Food Online-Konzept aus Schweden in Deutschland eingeführt. Die Chefin des Essenlieferdienstes KommtEssen zu Logistik, Lieferzeiten, Kalkulation, Rewe und zur Zukunft von Food Online in Deutschland.

Lisa Rentrop
Lisa Rentrop
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Von Klaus Mehler

Frau Rentrop, Sie haben vor zwei Jahren einen Essenlieferdienst in Deutschland namens KommtEssen eingeführt. Was hat Sie dazu bewegt? 
Rentrop: Das Konzept kommt aus Schweden, wie ich auch. Vor fünf Jahren hat Kicki Theander die Idee gehabt, für Familien wöchentlich fünf, vier oder drei Abendmahlzeiten zu planen und die dafür notwendigen Waren zusammenzustellen und zu liefern. Sie hat nach Partnern gesucht und kooperiert seither mit der Cash & Carry-Sparte des schwedischen Handelsunternehmen Axfood – im Wareneinkauf und in der Kommissionierung. Waren, die Axfood nicht führt, kauft unsere schwedische Muttergesellschaft dazu. Die Waren werden in den Cash & Carry-Märkten frisch verpackt und von Kühllogistikern regional sonntags, montags und dienstags jeweils abends ausgeliefert. Für die Kühllogistiker ist dies im Übrigen ein interessantes Zusatzgeschäft. Tagsüber beliefern sie Kioske mit Frischwaren, abends zusätzlich Haushalte. Kicki Theander hat mich gefragt, ob ich das Konzept in Deutschland initiieren und etablieren will. Ich habe die Chance wahrgenommen und mit 50.000 Euro Startkapital das schwedische Konzept in Deutschland eingeführt. 

Womit verdienen Sie Geld?
Rentrop: Mit der Dienstleistung, Menüs mit den passenden Produkten und Rezepten zusammenzustellen und frisch auszuliefern. Wir haben in diesem Jahr erstmals schwarze Zahlen geschrieben. 

Viele Handelsorganisationen haben sich mehrfach mit Food Online probiert. Was machen Sie anders?
Rentrop: Wir haben keinerlei oder nur ganz geringe Inventurdifferenzen, weil wir tütengenau einkaufen. Wir haben keinen Fuhrpark, sondern bezahlen nur pro getätigte Lieferung. Und: Unsere Kunden zahlen bei Bestellung - per Kreditkarte oder monatlich per Vorauskasse – und nicht erst bei der Auslieferung. Wir verdienen mit unserem Modell jedenfalls Geld.

Wie viele Kunden haben Sie?
Rentrop: Genug, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Jeder Kunde, der bei uns bestellt, wird zum Abonnent. Welche Tüte und in welcher Frequenz er bestellt, bestimmt der Kunde selbst. Wer nicht mehr Abonnent sein will, muss aktiv kündigen. Wir sind aber keine Abo-Falle.

Zählen Unternehmen zu Ihren Kunden?
Rentrop: Zu unseren Abonnenten zählen nicht nur Haushalte, sondern auch kleinere Betriebe in den Städten wie etwa Arztpraxen. 

Was bieten Sie Ihren Abonnenten?
Rentrop: Drei, vier oder fünf Mahlzeiten – fertig und frisch zusammengestellt. Wir lassen ihnen unsere Tüten tagesfrisch bestückt am Montagabend zustellen – mit Menüplan, Rezepten und den dafür notwendigen frischen Produkten. 

Wie sieht Ihr typischer Kunde aus?
Rentrop: Unsere Kunden sind in der Regel berufstätig. Sie kaufen an Wochenenden gerne ein – auf Wochenmärkten und in guten Supermärkten. Und sie kochen auch gerne. Unter der Woche fehlt ihnen dazu häufig die Zeit, sich darum zu kümmern. Wir nehmen ihnen die Arbeit und Entscheidung ab. Wir setzen dabei voraus, dass unsere Abonnenten zuhause Grundartikel wie Gewürze, Butter  und Öle haben. Und: Wir liefern keine Tiefkühlwaren aus.

Können Ihre Abonnenten die Menüs selbst zusammenstellen?
Rentrop: Nein. Diese Leistung übernehmen wir. Wir haben feste, wöchentlich wechselnde Angebote. Unsere Wochen-Obsttüte kosten 16 Euro, unsere Menütüten 63 oder 87 Euro.  

Sie schränken Ihre Kunden bei der Zusammenstellung stark ein…
Rentrop: … wir schränken ein und befreien allerdings damit auch, weil wir sie faktisch entlasten.

Wie gehen Sie mit speziellen Wünschen von Kunden um?
Rentrop: Wir empfehlen ihnen, die Produkte, die sie nicht nutzen, weiter zu verschenken. Bei der Zusammenstellung unserer Menüs und der Produkte achten wir selbstverständlich darauf, dass möglichst viele Produkte laktose-, gluten- und aroma- und zusatzstofffrei sind. 

Wo kaufen Sie die Lebensmittel für Ihre Tüten ein?
Rentrop: Jede Woche stellen wir die Menüpläne und die dazu passenden Rezepte neu zusammen. Dabei nutzen wir das Know-how unserer schwedischen Muttergesellschaft. Auf dieser Basis nehmen wir jeweils am Sonntag der Vorwoche die Bestellungen unserer Abonnenten auf und ordern dann exakt die Waren, die wir benötigen. Wir arbeiten hierbei mit regionalen Bio-Großhändlern, regionalen Schlachthöfen, den Großmarkthallen in den Städten - und in Köln mit dem selbstständigen Rewe-Kaufmann Lutz Richrath zusammen. Frischfisch beziehen wir direkt von der „Deutsche See“, Hackfleisch von regionalen Fleischereibetrieben. Diese Waren werden jeweils dort am Montag früh vakuumverschweißt und bei null bis vier Grad gekühlt gepackt, kurz gelagert und ausgeliefert. Wenn wir dennoch zu viele Waren bestellt haben, geben wir diese am Montagabend an die Tafeln weiter. 

Wo steht Ihr Auslieferlager? 
Rentrop: Wir agieren dezentral. Wir planen saisonal, kaufen und packen regional – und liefern von derzeit fünf gekühlten Packstationen in München, Frankfurt, Köln, Berlin und Hamburg unsere Tüten in 30 Städte jeweils am Montagabend aus. In die weiße Tüte packen wir die Kolonialwaren, in die rote Tüte die kühlpflichtigen Produkte. 

Haben Sie einen eigenen Kühlfahrzeug-Fuhrpark?
Rentrop: Nein. Wir kaufen die Dienstleistung „kühl Liefern“ und haben keinen eigenen Fuhrpark..

Wie gehen Sie mit den unterschiedlich gekühlten Waren um?
Rentrop: Wir lassen alle Produkte bei aktiver Kälte von null bis vier Grad ausliefern. Es gibt dabei auch Lebensmittelprodukte, die nicht so stark gekühlt werden müssen. Da unsere Lieferwege und Lieferzeiten kurz sind, schadet dies der Ware nicht.

Was tun Sie, wenn die Kühlfahrzeuge vor geschlossenen Haustüren stehen?
Rentrop:Dann geben die Fahrer die Tüten bei den Nachbarn ab oder stellen sie laut Lieferhinweis ab.. Unsere Kunden können dies bei der Bestellung angeben. Wir haben nur selten Probleme damit.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Abonnenten ausschließlich frische qualitativ einwandfreie Waren erhalten? 

Rentrop: Wir garantieren unseren Abonnenten Frische und Qualität. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, dann springt unsere Garantie gegenüber den Kunden ein. Nicht zufriedenstellende Ware wird erstattet. Gutschriften werden mit der nächsten Bestellung verrechnet. Unser Kundenservice ist per E-Mail und per Hotline erreichbar. 

Wie akquirieren Sie neue Kunden?

Rentrop: Wir probieren unterschiedliche Vermarktungskanäle. Wenn wir genügend Anfragen von Interessenten aus einer Stadt haben, suchen wir uns einen Partner in der Region und starten mit der Belieferung. Wir leben auch von Empfehlungen. Und: Jeder Neukunde erhält die erste Tüte für 39 Euro beziehungsweise 49 Euro. 

Können Sie sich eine flächendeckende Kooperation mit einer Handelsorganisation vorstellen?
Rentrop: Wenn diese Kooperation regional und lokal greift, ist dies denkbar. Wir können uns allerdings auch gut vorstellen, mit selbstständigen Kaufleuten in der Region zusammenzuarbeiten. Voraussetzung ist, dass der Kaufmann Produkte aus der Region führt und über eine gekühlte Lagerfläche verfügt, in denen wir oder der Kaufmann die Waren jeweils montags packen. Wenn der Kaufmann kleine Kühlfahrzeuge mit aktiver Kälte besitzt, ist dies mit Sicherheit vorteilhaft. Wir bilden die Mitarbeiter vor Ort für das Verpacken der Waren aus. 

Wie bereiten Sie sich auf die von der Europäischen Union geplante Lebensmittelkennzeichnungsverordnung vor?
Rentrop: In dem wir die Hersteller und Lieferanten in die Pflicht nehmen. Wir setzen voraus, dass sie uns und damit auch unseren Abonnenten alle Angaben zu den Produkten bereitstellen. In Schweden ist dies schon längst der Fall.

Wie bewerten Sie die Food-Online-Aktivitäten von Amazon in Deutschland? 
Rentrop: Vom Ansatz sind sie gut, von der Umsetzung nicht verbrauchergerecht. Welcher Verbraucher will wirklich Lebensmittel einmal bestellen und dann diese von mehreren Lieferanten einzeln und an unterschiedlichen Tagen erhalten?

Wie viele Marktteilnehmer verträgt der deutsche Markt? 

Rentrop: Es gibt zurzeit vier weitere Anbieter, welche alle Risikokapital im Rücken haben. . So viele Teilnehmer verträgt der deutsche Markt ggf. nicht, ich erwarte eine Marktbereinigung. Wir setzen auf organisches Wachstum – in Kooperation mit regional verankerten selbstständigen Kaufleuten und Kühllogistikern. Wir investieren nur so viel Geld wie wir einnehmen. Deshalb werden wir vermutlich nicht Marktführer werden, in unserer Position allerdings erfolgreich sein. Wir sind schließlich das Original.

Wann wird sich Food Online in Deutschland durchsetzen?
Rentrop: In Schweden nutzen schon 0,5 Prozent aller Haushalte Lebensmittel-Lieferdienste. Das ist auch in Deutschland langfristig machbar. Wir müssen einfach Geduld haben und auf die heranwachsende App-Generation warten. An der Logistik wird es jedenfalls nicht scheitern.

Lisa Rentrop

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