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Rebellion im Regal

Heumilch mischt mit steigenden Umsätzen aktuell die Branche auf. Wo sie zu Käse wird, sind viele Zusatzstoffe verzichtbar – digitale Technik nicht. Besuch bei einem Pionier der Heumilchverarbeitung in den Hügeln zwischen Allgäu und Bregenzer Wald.

Von Martina Kausch | Fotos: Hans-Rudolf Schulz

Ein Mann fürs Sofa ist er nicht. Ob man mit Sepp Krönauer durch seine Sennerei im österreichischen Sulzberg geht oder mit ihm am Gesprächstisch sitzt – Fragen beantwortet der Käsemeister sofort, ein Griff zum Smartphone, und schon sind weitere Anliegen erledigt. „Man muss was machen, gerade in dieser Zeit“, sagt er. Was im Hinblick auf die aktuelle Pandemiesituation gemeint ist, steht aber für Krönauers Grundeinstellung. In 33 Jahren hat der Mann aus dem oberbayerischen Schönegg ein Käseunternehmen aufgebaut, das über 30 Sorten herstellt und beweist, wie geschäftlicher Erfolg mit Molkereiprodukten funktioniert.

Am Anfang die Idee …

Aber Krönauer hatte eine Idee. „Ich war 24, Käsemeister, hatte 20 Kühe und wollte was Neues machen“, fasst er seine beruflichen Anfänge schlagwortartig zusammen. Klar wird aber auch – selbst wenn man aus der Landwirtschaft stammt, liegt „was Neues machen“ nicht in jedermanns DNA. Der junge Mopro-Profi spürte, dass Ende der 80erJahre bei Käsekunden die Rückbesinnung auf Traditionen gefragt sein könnte, und er hatte das Wissen dafür.

„Ich wollte ein reines Naturprodukt machen. Käse ohne Nitrat, ohne Konservierungsstoffe.“ Als Schlüssel dazu experimentierte er mit Heumilch. „Heumilchkühe bekommen im Sommer frisches Gras und im Winter Heu. Als Kraftfutter Getreideschrot. Sonst nichts.“ Und dann?

„Wenn man Heumilch verarbeitet, kann man beim Käsen auf Lysozym verzichten, die Milch hat keine Blähstoffe, gegen die man später das Enzym verwenden muss“, erklärt der Käsemeister. Das sonst oft übliche Gärfutter aus dem Silo verändere die Milchqualität. „Hitzebeständige Clostridien entstehen bei der Silogärung und führen dazu, dass Käse aus dieser Milch fehlerhaft gärt“, erklärt er. Bei Heumilch gebe es diesen Vorgang eben nicht.

Seine Heumilchkäse produziert Krönauer auch in einer Sennerei in Sulzberg. Zu einem Ortstermin dorthin zu fahren gestaltet sich Anfang April 2021 als Abenteuer. Nicht etwa Corona-Grenzkontrollen machen hier die Anfahrt schwierig, schmal und am Vormittag im Nebel schneeverweht sind die Straßen, die sich durch den Bregenzer Wald schlängeln. In der Kurve am Ortsende des kleinen Ortes rund 20 Kilometer östlich von Bregenz steht seit 1893 eine Sennerei, und die ist mittlerweile Teil von Krönauers Erfolgsgeschichte. Eben weil sie eine Geschichte hat, die sich gut vermarkten lässt. Welcher Käse heißt schon Rebell und hat den Namen von rebellischen Milchbauern?

… dann eine schöne Geschichte

Krönauers Marke „Käserebellen“ hat ein schönes Narrativ. Der Unternehmer erzählt die Story gerne und in der Hochglanz-Jubiläumsfestschrift der Sennerei Sulzberg steht sie auch: „Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Bregenzer Käsegrafen mit wirtschaftlichem Geschick zu den Herrschern des Bregenzerwälder Milchmarktes, indem sie Unsummen mit Käselieferungen in die Lombardei, Venetien, die Niederlande sowie nach Ungarn und Wien verdienten und die Bauern mit Schuldscheinen und ihrer Marktmacht knebelten“, heißt es dort.

Also taten sich vier Bauern zusammen, um ihre Milch selber zu verarbeiten und zu vermarkten – ein rebellisches Ansinnen sozusagen. Der Käse der wachsenden Gruppe der Aufmüpfigen verkaufte sich von Anfang an gut, aber erst Ende des 20. Jahrhunderts, so die Historie, wurde die Marke „Käserebellen“ für Produkte aus der Sennerei Sulzberg eingeführt. Als sich die Gelegenheit bot, die vom Investitionsstau geplagte Sennerei zu übernehmen, griff Krönauer schließlich im Jahr 2001 zu.

 

Heute ist die 1893 gegründete Sennerei der größte Heumilch verarbeitende Betrieb in Vorarlberg. 20 Millionen Kilogramm Milch werden hier jährlich angeliefert, bakteriologisch untersucht, in den silbrig blitzenden Käsefertiger geleitet, erhitzt, bis auf die gewünschte Fettstufe entrahmt, mit Lab versetzt, gerührt, in Ruhe gelassen, als entstehende feste, „Gallerte“ genannte Masse mit der Käseharfe geschnitten, als Käsebruch wieder erwärmt, dann wird in den Formen die Molke herausgepresst.

Das gesamte Verfahren der Heumilchkäseherstellung läuft in dampfig-warmer Atmosphäre zwischen gefliestem Boden, Edelstahltanks und Spezialschlauchordnung ab. Dann das Tunken in der Salzlake, das Trocknen in den fahrbaren Käsegestellen, in denen die runden Laiber auf die Reife warten. So schön, so handwerklich.

Umso faszinierender ist der Kontrast, fährt man auf der Spur der weiteren Verarbeitung ins 90 Kilometer entfernte Steingaden auf deutscher Seite. Am Ende einer Stichstraße in einem kleinen Industriegebiet ein großes modernes Gebäude mit unspektakulärem Eingang. Der erste Eindruck: Breite Flure, hohe Hallen und in der Luft ein leicht säuerlicher Geruch.

 

Hinter der schweren, breiten Industrietür dann der zweite Eindruck – der Blick in ein Käsereifelager 2021. 24-Etagen-Regale voller Käselaibe, übereinander gestapelt bis an die Decke, sind allein schon imposant. Aber: Hier arbeitet ein selbstfahrendes Transportfahrzeug aus Edelstahl. Es kurvt rund um die Uhr durch die Hallen, bringt die Regale zu der Käsepflegemaschine und zu einem Transportband, von dem aus Roboterarme die Laibe drehen und zur Verpackung vorbereiten. Top-Technik für ein Naturprodukt.

Sepp Krönauers Vision von mehr Natur beim Käseherstellen wurde Anfang des Jahrtausends auch befördert durch professionelles Marketing. 2003 hatte sich in Vorarlberg eine Arbeitsgemeinschaft Milch gegründet, um die Zusammenarbeit der Milchproduzenten und der Käseproduktion zu fördern. Nach und nach folgten andere Bundesländer, 2004 entstand die gesamtösterreichische ARGE Heumilch, und nachdem in den alpenländischen Kulturräumen ähnliche landwirtschaftliche Traditionen herrschen, weitete sich die ARGE bald über die Grenzen Österreichs aus.

Steigender Umsatz 2020

Der Wunsch vieler Verbraucher nach regionalen Lebensmitteln aus Zutaten mit transparenter Herkunft kommt den Heumilchprodukten von Milch über Käse bis Joghurt seitdem entgegen. 15 milchverarbeitende Betriebe aus
Süddeutschland sind mittlerweile dabei, auch Schweizer Heumilchbauern und -verarbeiter assoziiert.

Die besondere Wirtschaftsweise der Heuwirtschaft wurde 2016 mit dem EU-Gütesiegel g.t.S. – garantiert traditionelle Spezialität – ausgezeichnet. Und nicht nur bei Sepp Krönauer ist die Idee eine Erfolgsgeschichte. „Der Umsatz von Heumilchprodukten im österreichischen Lebensmittelhandel stieg 2020 um neun Prozent auf rund 155 Millionen Euro“, bilanziert Christiane Mösl, Geschäftsführerin der ARGE Heumilch.

Sepp Krönauers Idee der Heumilchkäse-Rennaissance hat ihn zum Vorreiter eines Trends gemacht. Rund 30 Käserebell-Sorten gibt es mittlerweile, neue, auch passend zur Jahreszeit, werden entwickelt. Seine Zahlen erwähnt der 57-Jährige nebenbei gerne: Von rund 16 Millionen Euro im Jahr 2010 stieg der Umsatz auf aktuell 60 Millionen Euro. Und im Reifelager ist noch Platz.

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