Artikel

RUNDSCHAU Round Table BESTSELLER: "Die Großen müssen viel offener sein"

Durch sich verändernde Konsumentenbedürfnisse wird der Lebensmittelhandel komplexer. Unser BESTSELLER-Beirat hat diskutiert, inwiefern Start-ups eine Lösung für den Shopper-Wunsch nach mehr Innovation und Regionalität sein können.

Jörg Pretzel, GS1 Germany
Jörg Pretzel (GS1 Germany) beoachtet einen starken Anstieg bei der Zahl der Start-ups auf Herstellerseite.
zur Bilderstrecke, 11 Bilder
Von Mirko Jeschke | Fotos: Heiko Rhode

Beim BESTSELLER geht es vor allem um Mehrwert. Haben Sie angesichts der bisherigen Gewinner konkrete Handlungsempfehlungen in Ihren Firmen abgegeben?

Fickert: Wir haben durchaus seit den letzten beiden Veranstaltungen an der einen oder anderen Stelle im Sortiment Produkte aufgenommen, die wir bisher nicht hatten.

Pilkmann: Der Blick der Einkäufer für Trends und Innovationen wird geschärft. Wir möchten, dass Kunden Neues ausprobieren.

Herr Scheid, Sie diskutieren bereits zum zweiten Mal mit. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Scheid: Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Die Frage der Listung ist das eine. Wichtig ist doch aber die Aufmerksamkeit, die man einem Artikel gibt, und dass man ihn entsprechend herausstellt.

Herr Külpmann, was hat sich bei Ihnen in den vergangenen zwölf Monaten getan?

Külpmann: Nach dem letzten BESTSELLER habe ich erst mal kontrollieren lassen, wo die veganen Artikel stehen: neben der Fleischtheke oder separat. Generell kommt jedoch die Fülle an immer neuen Produkten nicht in jedem unserer Märkte gut an.

Wie meinen Sie das?

Külpmann: Wir sollen ja auch heimische Produkte verkaufen. Die sind gefragt im Osten. Wir bekommen allerdings viele Angebote von kleinen Produzenten, die die benötigten Mengen letztlich jedoch nicht liefern können. Ein neues Produkt muss am Ende aus der Masse hervorstechen.

Welche Rolle spielt hier die Größe der Fläche?

Herl: Wenn ich 4.000 Quadratmeter habe, interessieren mich 200 Ladenhüter erst mal nicht so sehr. Daher gilt: Je kleiner die Fläche, desto wichtiger ist das richtige Sortiment.

Stichwort Nische: Wie schwer haben es neue, innovative Produkte, einen festen Platz im Regal zu finden?

Heim: Ich denke, wir haben zwei Ligen für Artikel. In der einen sind die Big Player, die den Handel über enormen Werbedruck dazu zwingen, das Produkt zu führen. Auf der anderen Seite bleibt ein Sortiment übrig, über das der Kaufmann zu entscheiden hat.

Herl: Interessant ist doch zu beobachten, dass gerade die flexiblen Händler immer mehr auf regionale und lokale Produkte setzen.

Womit wir beim Thema Start-ups wären ...

Geiger: Ja, die Zeiten haben sich gewandelt. Bei diesen Unternehmen ist einfach eine größere Innovationskraft vorhanden. Damit muss man sich auseinandersetzen.

Was heißt das konkret?

Geiger: Man muss bei gewissen Artikeln auch eine längere Durststrecke überwinden, ihnen mehr Zeit geben – auch wenn das schwierig ist.

Pilkmann: Entscheidend ist doch der Wunsch der Kunden nach Differenzierung. Es wird nach Innovationen und Individualität gesucht. Dem sollten wir Rechnung tragen und Start-ups eine Chance geben.

Feldkamp: Ich glaube, es hat viel mit Authentizität zu tun. Es ist doch leichter, Produkte von Start-ups mit einer gewissen Identität zu inszenieren als das fünfte Produkt in der dritten Ausführung von einem der Großen. Das klingt nach vielen Vorteilen.

Je kleiner die Fläche, desto wichtiger ist das richtige Sortiment. Kurt Herl, Okle

Wo liegen noch die Probleme?

Fickert: Oftmals steckt der Fehler im Detail. Wir müssen gemeinsam ein Stück weit in die Professionalität gehen. Zudem erschwert uns die rechtliche Situation in Deutschland vieles.

Wieso das?

Fickert: Nehmen Sie die Craft-Bier-Szene. Bei unserer Pfandverordnung sind Einwegflaschen schon ein Problem. Denn ein einzelnes Einweggetränk im Sortiment verpflichtet dazu, alle Einweggetränke zurückzunehmen.

Herr Fassnacht, was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Lebensmittelbranche?

Fassnacht: Verbraucherwünsche werden individueller und damit die Märkte kleinteiliger. Wir müssen uns abgewöhnen, in großen Märkten zu denken. Digitalisierung wird dazu führen, dass es weniger Player mit direktem Zugang zum Verbraucher geben wird.

Pretzel: In den letzten 18 Monaten konnten wir verstärkt beobachten, dass insbesondere neue Produkte der Start-up-Szene den Weg in die Regale des deutschen Lebensmitteleinzelhandels gefunden haben.

Fassnacht: Ich habe von der Handelsseite gesprochen. Aber generell werden die Großen künftig eher kleiner werden und deren Ziel wird irgendwann sein, Marktanteilsverluste zu begrenzen. Kommen wir noch einmal auf die Bedeutung von Start-ups zurück.

Wir müssen gemeinsam ein Stück weit in die Professionalität gehen. Klaus Fickert, Edeka Südwest

Frau Domke, wie sehen Sie das?

Domke: Es ist interessant zu sehen, wie sich der Markt aktuell durch Start-ups verändert. Sie sind innovativ, setzen Trends und decken viele verschiedene Nischen ab.

Hilgenberg: Ich bin mir nicht sicher, ob das Thema Start-up-Mentalität die Lösung für alle unsere Probleme ist. Es geht vielmehr darum, dass sich Kunden differenzieren wollen. Sie wollen neue Geschmacksrichtungen, Authentizität und Produktsicherheit.

Aber eben das bieten diese Firmen doch ...

Hilgenberg: Ja, aber das kann auch ein lokaler oder regionaler Lieferant. Die standen in der Vergangenheit häufig nicht im Fokus. Deshalb gab es auch zu wenig Austausch und Zusammenarbeit. Das hat sich inzwischen erfreulicherweise wieder geändert.

Knoke: Ich sehe das ähnlich. Natürlich finden Sie das, was Sie bei Start-ups suchen, auch bei anderen. Der Händler muss sich darüber im Klaren sein, wie viele Produkte er für welchen Kunden, für welche Anlässe anbieten möchte.

Fickert: Wir bieten Start-ups auf unserer nationalen Online-Plattform ja die Möglichkeit, ihre Waren vorzustellen und auf der Kaufmannsebene mit uns zusammenzuarbeiten.

Herr Hilgenberg, Ihrer Meinung nach bedarf es also nicht zwingend neuer, junger Unternehmen im Markt?

Hilgenberg: Nicht unbedingt. Nehmen Sie die Braubranche. Hier haben es alteingesessene kleine Brauereien aus dem Süden mit anderen Geschmacksprofilen und spannenden Marken geschafft, im Norden zu expandieren.

Scheid: Die Individualisierung wird weitergehen. Der Wunsch nach Produkten, die eine Geschichte erzählen, wird immer größer. Das ist es ja auch, was die Craft-Szene ausmacht. Lassen Sie uns zum Abschluss noch über das Thema Online sprechen. Welche Veränderungen beobachten Sie aktuell?

Pretzel: Es ist erstaunlich zu beobachten, dass immer mehr Händler, vor allem auch für das Eigenmarkengeschäft, die Kooperation mit Amazon suchen, um von der Konsumentenreichweite und der Expertise zu profitieren.

Fassnacht: Die Grenzen verschwimmen zunehmend. Hersteller werden zu Händlern und umgekehrt. Heute kooperiert jeder mit jedem. Das war vor zehn Jahren unvorstellbar.

Herl: Die Lösung für Online ist, dass man sich beteiligt, in welchem Umfang auch immer. Es geht um die Frage, wo bekomme ich meine lokale Ware her.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die großen Player mittel- und langfristig ihre marktbeherrschende Stellung verlieren?

Scheid: Ich glaube nicht, dass die großen Konzerne wegbrechen werden. Aber sie werden große Probleme bekommen, wenn sie sich den Trends nicht stellen.

Fassnacht: Dem deutschen Handel prognostiziere ich, dass die Umsatzrenditen kurzfristig sinken werden. Bei denjenigen Firmen, die langfristig überleben, werden sie dann aber auch wieder steigen.

Dr. Angela Pilkmann, Kurt Herl, Helmut Külpmann
Engagierte Diskussionsteilnehmer: Dr. Angela Pilkmann (Real), Kurt Herl (Okle) und Helmut Külpmann (Konsum Leipzig, v.l.).
Edda Feldkamp, Klaus Fickert
Klaus Fickert (Edeka Südwest), neben Edda Feldkamp (Anzeigenleiterin, Bild/ B.Z.), spricht über Herausforderungen beim Thema Start-ups.
Edda Feldkamp, Klaus Fickert
Klaus Fickert (Edeka Südwest), neben Edda Feldkamp (Anzeigenleiterin, Bild/ B.Z.), spricht über Herausforderungen beim Thema Start-ups.
Der RUNDSCHAU-Bestsellerbeirat
Der RUNDSCHAU-Bestsellerbeirat
Der RUNDSCHAU-Bestsellerbeirat
Der RUNDSCHAU-Bestsellerbeirat

Artikel teilen

Gut informiert durch die Krise