THESE 1: TIERWOHL
Mit der Haltungskennzeichnung ist der Handel der Politik zuvorgekommen – das staatliche Tierwohllabel ist damit überflüssig
Thomas Maruschke: Fleisch ist für den Konsumenten auch immer eine Frage der Haltung. Grundsätzlich begrüßen wir die Initiative Tierwohl und unterstützen eine einheitliche Regelung. Einen Label-Dschungel lehnen wir dagegen ab. Unsere Nachbarländer sind da bereits weiter. Wichtig sind Transparenz und eine einfache Kommunikation, sodass der Verbraucher nicht überfordert wird.
Philipp Nahrmann: Auch wir präferieren jede Lösung, die möglichst viel Transparenz und Einheitlichkeit bringt. Wir sehen die Haltungskennzeichnung als gute Möglichkeit, wenn sie in Zukunft auf alle Produktgruppen ausgeweitet wird und Verbrauchern durchweg eine Orientierung gibt. Eine Vielzahl an Regelungen – teils freiwillig, teils vorgeschrieben – bietet am Ende keinen echten Mehrwert.
Lothar Bentlage: Im Moment entspricht ja in der vierstufigen Haltungskennzeichnung Stufe eins dem gesetzlichen Mindeststandard. Beim dreistufigen staatlichen Label ist dagegen vorgesehen, erst ab einem Mehrwert in die Stufe eins zu gehen. Es wäre also wünschenswert, dass der Verbraucher letztlich eine einheitliche Kennzeichnung hat.
Dieter Hartmann: Die entscheidende Frage ist doch, ob das Siegel eine Transparenz- oder eine Lenkungsfunktion haben soll. Das heutige Siegel aus der Privatwirtschaft hat nur eine Transparenzfunktion in der Hoffnung, der Konsument möge schon die richtige Entscheidung treffen. Aber das würde ich bezweifeln, denn sobald es an den Geldbeutel geht, schieben die Konsumenten ihre Bedenken in der Regel beiseite. Ich gehe deshalb davon aus, dass es auf Dauer ein staatliches Siegel geben wird, wenn nicht die Privatwirtschaft auch die Lenkungsfunktion berücksichtigt.
André Vielstädte: Wir haben vermutlich noch zwei, drei Jahre Zeit, diese Lenkungsfunktion aktiv selbst zu gestalten, ansonsten wird sie durch die Politik ausgeübt – unabhängig davon, welche Parteien dann regieren. Davon bin ich überzeugt. Deswegen arbeiten wir daran, vor allem Produkte im Bereich Schwein in großen Mengen in Stufe zwei zu bekommen. In einem klassischen Grillregal sehen Sie heute bereits viele Geflügelprodukte, die alle mit einem positiv leuchtenden Blau, also Stufe zwei, gekennzeichnet sind. Dagegen sind viele Produkte aus Schwein mit einer negativen roten Eins markiert. Das müssen wir ändern.
Max Stenten: Ich denke schon, dass die Kunden prinzipiell bereit sind, mehr Geld für Premiumprodukte auszugeben, aber das ist mit Aufklärungsarbeit verbunden. Wenn wir die nicht leisten, kommt beim Endverbraucher nichts an. Da kann man so viele Siegel auf die Verpackungen kleben, wie man will. Wir müssen mehr Informationen an den Kunden geben und noch aggressiver aufklären. Viele haben zu Hause einen hochwertigen Grill und legen dann das Billigfleisch vom Discounter darauf – es muss sich grundsätzlich etwas in den Köpfen ändern.
Maruschke: In kleineren Ländern wird die Fleischwende schon praktiziert. In Schweden kaufen aktuell 75 Prozent der Konsumenten Fleisch- und Wurstwaren in Bio-Qualität. Wir haben allerdings in der Landwirtschaft sehr viele mittelständische Betriebe, für die eine Umstellung in Stufe zwei, drei oder vier mit hohen Investitionen verbunden ist. Damit stellt sich die Frage, inwieweit das umsetzbar ist.
Vielstädte: Die Landwirte brauchen die Planungssicherheit, dass sie auch einen Stall über zehn, fünfzehn Jahre abschreiben können. Und die haben sie heute nicht. Es gibt eine lange Liste an Landwirten, die mit uns einen Offenfrontstall bauen möchten. Aber sie wollen eine Abnahmegarantie haben. Wenn wir ihnen die geben, dann investieren sie.
Bentlage: Es geht auch darum, Relevanz zu schaffen. Aber wie hoch sind denn die Marketingetats? Wir hatten bis 2009 die CMA (Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft), die uns hier unterstützt hat. Heute muss das jeder einzelne Akteur im Markt selbst machen.
Vielstädte: Genau das hat die Branche die vergangenen zehn Jahre verschlafen. Wir haben zwar viel auf landwirtschaftlicher und auf Produktseite gearbeitet und eine Menge in Innovationen gesteckt, aber wir haben bis auf Produktmarketing keine Kommunikation gesucht. Darunter leidet auch unser Image.
THESE 2: WERTSCHÖPFUNG
Wertschöpfung funktioniert in Zukunft im Wesentlichen über Premiumprodukte und Beratungskompetenz.
Maruschke: Der These stimme ich voll zu. Aber das ist ein langer Weg. Es geht vor allem um die Vermittlung von Genuss und Vertrauen, also um Aufklärung für den Verbraucher.
Stenten: Wir setzen seit Jahren auf Premiumprodukte, um uns abzuheben, auch wenn die mal 30 Prozent teurer sind...
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