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RUNDSCHAU Round Table TK: "Wir müssen neue Wege gehen"

Seit der Jahrtausendwende ist der Umsatz stetig gewachsen. Eigentlich lauft es rund in der Tiefkühlbranche. Doch der Platz in der Truhe ist nach wie vor umkämpft. Unsere Expertenrunde hat diskutiert, warum sich die Branche weiterentwickeln muss.

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Von Dominique Snjka, Mirko Jeschke | Fotos: Heiko Rhode

Der Markt hat im vergangenen Jahr zugelegt. Im Vergleich zu 2001 ist der Umsatz um 57 Prozent gewachsen. Es könnte kaum besser laufen, oder?

Matthias: Der Wunsch nach Convenience trägt sicherlich stark zum Wachstum bei. Gleichzeitig können immer weniger Menschen kochen.

Krüger: Wir haben heute viel mehr Single-Haushalte als früher, mit ganz anderen Konsumgewohnheiten. Matthias: Tiefkühlprodukte bieten da einfache und schnelle Lösungen. Die Branche ist mit ihrem Portfolio gut aufgestellt, das eröffnet weitere Wachstumschancen.

Convenience hat aber nicht durchweg einen guten Ruf …

Mischko: Da muss man differenzieren. Convenience steht für Schnelligkeit, aber es schwingt auch immer das schlechte Gewissen mit. Hier ist die Industrie gefragt, über Themen wie Frische, Nährstoffe und Haltbarkeit zu kommunizieren: TK-Produkte liefern Mehrwert!

Matthias: Bei Tiefkühlkost sehe ich dieses Problem eigentlich nicht. Die Produkte verfügen über unschlagbare Vorteile, die einfach besser herausgestellt werden müssten.

Neumann: Das alles ist beim Verbraucher noch nicht so durchgedrungen. In den letzten Jahrzehnten standen verschiedene Inhaltsstoffe in der Kritik, die heute gar nicht mehr in den Produkten enthalten sind.

Müsste man die verbesserte Qualität dann nicht stärker kommunizieren?

Gassert: Es ist unsere Aufgabe, gemeinsam mit dem Handel Mittel und Wege zu finden, die Qualitätswahrnehmung weiter zu verbessern. Das ist nicht immer leicht.

Warum ist das so?

Gassert: Weil unsere Produkte im Handel sehr stark preisgetrieben sind. Ein Blick aus Deutschland heraus zeigt, dass man Tiefkühlkost auch höherwertig positionieren kann.

Krüger: Schauen Sie sich Picard in Frankreich an. Extrem hohe Qualität. Natürlich zu einem höheren Preis – aber es läuft ziemlich gut.

Knappheide: Aber sind Premium-Konzepte wie Picard und Iceland in Großbritannien wirklich so erfolgreich? Wir haben mal gemeinsam mit einem vergleichbaren Unternehmen in Spanien Produkte für den dortigen Markt entwickelt. Da hat man nach einem Jahr gesagt, lass uns ganz schnell aufhören.

Tiemann: In England und Frankreich sind die Qualitätsansprüche ganz anders. Auch Discounter wie Aldi und Lidl machen sich in Frankreich nicht besonders gut.

In den letzten Jahrzehnten standen verschiedene Inhaltsstoffe in der Kritik, die heute gar nicht mehr in den Produkten enthalten sind. Torsten Neumann, Schne-frost

In Deutschland haben wir einfach ein ganz anderes Bild …

Knappheide: Deutschland hat 50 Jahre Discount- Erfahrung, ist also seit 50 Jahren preisgetrieben.

Neumann: Für mich stellt sich die Frage, warum der Handel nicht den Mut zum Preis hat. Vielleicht sorgt das nicht für riesige Abverkaufszahlen, aber die Spanne könnte hier der überzeugende Faktor sein.

Inwiefern?

Neumann: Warum positioniert er sich nicht mutiger und punktet mit seiner Sortimentskompetenz, statt mit diesem starken Fokus auf den Preis?

Es fehlt also der Mut...

Gassert: Den Mut sehe ich. Aber wie steht es um das Durchhaltevermögen? Bei anderen Warengruppen ist der Handel viel aufgeschlossener, sich anders aufzustellen und es zum Beispiel auch mit Nischen zu versuchen.

Warum ist die Hemmschwelle da so groß?

Gassert: Wenn wir neue Produkte entwickeln, stellen sich uns mehrere Barrieren entgegen. Zum einen in finanzieller Hinsicht, zum anderen stellt sich die Frage, ob sich die Innovation vermarkten lässt.

Warum ist es so schwierig, neue Produkte einzuführen?

Gassert: Nehmen wir einmal Pasta: Aufgrund der Breite des Angebots kann ich relativ flexibel neue Dinge ausprobieren. Ich verliere dabei keinen Shopper.

Bei Tiefkühlkost ist das anders ...

Gassert: Ich habe höhere Energie- und Lagerkosten und der Platz ist heißer umkämpft .

Tiemann: Was es noch schwieriger macht: Weder Zweitplatzierungen noch Displays sind möglich. Es gibt keine Möglichkeit, Premium- Produkte am PoS zu zeigen.

Und der Händler kann die Abteilung auch nicht einfach erweitern ...

Gassert: Weil er nicht über die entsprechende Logistik oder Energie verfügt.

Mischko: Der Handel sieht Tiefkühlkost immer noch nicht als Profilierungskategorie. Nur ein Drittel der Shopper betritt die Abteilung überhaupt – weil sie keinen Spaß daran haben.

Was stört Sie am meisten?

Mischko: In anderen Kategorien sehen wir tolle Umbauten. Die Abteilungen werden stolz präsentiert. In der Tiefkühlabteilung passiert nichts. Da stehen dann nur diese grauen Särge.

Was fehlt Ihnen in der Abteilung?

Mischko: Wir haben das Motto „Frisch, gesund, besonders“. Darauf überprüfen wir bei der Produktion alle Artikel. Außerdem positionieren wir unsere Produkte mit ganz vielen Emotionen. Aber genau diese Emotionen finde ich derzeit in der Abteilung nicht wieder.

Geht der Handel dieses Problem zu zögerlich an?

Gassert: Man darf nicht vergessen: Nicht jeder Deutsche empfindet Freude beim Einkaufen. Viele sind schon am Eingang gestresst – und bis sie dann zur TK-Abteilung kommen ...

Welche Rolle spielen die Kosten?

Gassert: Schauen Sie sich doch mal die Weinabteilung an. Wie viel wird dort in die Deko investiert? Vergleicht man die Drehgeschwindigkeiten und Umsätze, müsste TK deutlich besser ausgestattet sein.

Was wünschen Sie sich also vom Handel?

Neumann: Etwas langfristig aufzubauen und nicht zu früh aufzuhören, wenn es beim ersten Mal nicht klappt. Zu beschließen: Ich möchte der Marke ein rundes Profil geben und eine komplette Sortimentsstruktur. Also ein bisschen mehr Mut.

Bei anderen Warengruppen ist der Handel viel aufgeschlossener, sich anders aufzustellen und es zum Beispiel auch mit Nischen zu versuchen. Michael Gassert, Nestlé Wagner

Die Tiefkühltruhe hat außerdem sehr viele Unterkategorien...

Neumann: Das erschwert es, saubere Kategorien zu schaffen. Was ist ein Snack, was ein Fertiggericht?

Gassert: Oft findet man unter dem Segment Snacks Produkte, bei denen der Händler nicht wusste, wo er sie einsortieren soll.

Tiemann: Man muss sich als Händler fragen, zu welchem Anlass der Kunde ein bestimmtes Produkt kauft .

Laut einer Truhen-Studie wünschen sich Shopper mehr Obst und regionale Produkte. Spiegelt das Sortiment überhaupt diese Shopper-Wünsche wieder?

Lewanzik: Würden die Absatzzahlen zurückgehen, müsste der Handel womöglich etwas verändern. So lange diese stimmen, besteht im Handel kein Grund zum Wandel.

Mischko: Dabei ist Tiefkühlkost bereits heute moderner als viele andere Kategorien. Denken Sie doch mal an vegane, laktosefreie, glutenfreie und Vollkorn-Produkte. Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit Alpro Soya. Davon profitieren letztlich beide Unternehmen. Wir müssen alte Strukturen aufbrechen und neue Wege gehen.

Wenn man Neuprodukte entwickelt hat und sie dem Kunden präsentiert, heißt es: Machen wir nicht, wir haben keinen Platz. Christoph Lewanzik, Prima Menü

Also mehr Mut zur Nische?

Beckmann: In der Truhe könnten zum Beispiel mehr junge, freche Ansätze – Innovationen – vorhanden sein. Derzeit überwiegt unser Exportgeschäft , wobei eines unserer Ziele auch die verstärkte Produktplatzierung im deutschen Markt ist. Die begrenzte Listungsanzahl stellt sich dabei aber als echte Herausforderung dar.

Und dann sind da ja auch noch die großen Hersteller mit mehreren Facings …

Beckmann: Stimmt. Wir sind noch nicht so breit aufgestellt wie die viele andere Unternehmen dieser Runde. Daher besteht für uns durchaus die Gefahr, dass wir in den Truhen verloren gehen.

Neumann: Das macht den kleineren Unternehmen wirklich Mühe. Wenn ich mir dagegen die Präsenz von Iglo, Wagner oder McCain in der Truhe anschaue: Bei dieser Präsenz bleibt der Shopper auch mal stehen.

Lewanzik: Der Einkäufer wünscht sich etwas Neues, Interessantes. Wenn man allerdings Neuprodukte entwickelt hat und dem Kunden präsentiert, heißt es: Machen wir nicht, wir haben keinen Platz.

Worin besteht dabei das Problem?

Lewanzik: Aufgabe der Industrie ist es ja, den Einkäufer zu überzeugen und vielleicht eine Testlistung vorzunehmen. Tiefkühlkost ist etwas langsamer. Ein Artikel braucht mindestens ein bis drei Monate, bis er überhaupt vom Endverbraucher wahrgenommen wird.

Krüger: Mich stören immer diese wilden Truhen, wo alles durcheinander und unaufgeräumt ist. Deswegen gehen viele Kunden da eben auch dran vorbei.

Klammert der Handel zu sehr an alten Sortimentsstrukturen?

Matthias: Ich würde jetzt nicht sagen, dass das vom Handel kommt. Tiefkühlkost ist ja ein Abbild des übrigen Foodhandels, mit Gemüse, Fleisch und Fisch. Es ist nicht die Aufgabe des Handels, innovativ zu sein, sondern Aufgabe der Hersteller.

Lewanzik: Tiefkühlkost hat es mit veganen Produkten versucht. In der Kühlabteilung ist dies allerdings etwas einfacher.

Wir müssen die Vorteile der Kategorie noch viel besser kommunizieren. Ob Fisch oder Gemüse - hier sind wir oft frischer als die so genannten frischen Varianten. Markus Mischko, Frosta

Stellen alle TK-Hersteller also am besten demnächst Chilled Food her?

Matthias: Es gab mal einen Hype. Aber die Wachstumszahlen, die prognostiziert wurden, haben sich so nicht gezeigt. Auch die Qualität ist meist nicht so hoch wie bei TK, dafür sind die Produkte deutlich teurer.

Knappheide: Genau das macht die Warengruppe attraktiv. Wir können ein vergleichbares Produkt zu einem deutlich geringeren Preisniveau bieten.

Tiefkühlkost bildet alle Foodsegmente ab. Das hat aber auch eine Kehrseite …

Knappheide: Tiefkühlkost bildet alles ab und darin liegt auch ein Problem. Denn hier nochmal zu unterteilen ist schwierig.

Matthias: Ich bin mir auch nicht sicher, ob man wirklich eine glutenfreie oder vegetarische Ecke in der Truhe braucht.

Neumann: Das sehe ich auch so. Ich denke aber, dass TK eigentlich sehr innovativ ist. Wir belegen ja bereits eine Vielzahl von Trends. Und wir setzen auch selbst Trends. Dabei stellt sich dann nur die Frage, wie man das geschickt herausstellt und dies in sinnvolle Kategorien bringt.

Was spricht denn gegen eine Aufteilung in die Kategorien Vegan, Veggie, Laktosefrei?

Matthias: Wo platziert man den Veggie-Burger? Bei Gemüse oder bei Burgern? Einfacher wäre es, nach Anlässen zu platzieren, als Lösungen für jede Nische zu finden.

Krüger: Wenn man den Veggie-Burger bei Burgern einsortiert, ist er ein Burger unter vielen. Da ist das nächste Problem.

Knappheide: Vor zehn Jahren hat man den Artikel einfach im Discount untergebracht, dann hat der der übrige Handel auch danach gefragt. Die haben ein überschaubares Sortiment, da fällt der neue Artikel auf.

Hält sich der Handel denn überhaupt an die Platzierungsempfehlungen?

Tiemann: Das hängt auch vom Außendienst des Herstellers ab. Ich würde sagen, den Empfehlungen wird zu weniger als 50 Prozent gefolgt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Mischko: Wir müssen die Vorteile der Kategorie viel besser kommunizieren. Ob Fisch oder Gemüse – hier sind wir oft frischer als die sogenannten frischen Varianten. Das müssen wir immer und überall unter die Leute bringen.

Neumann: Wir müssen mehr über das Gute sprechen. TK verwendet keine Konservierungsstoff e. TK-Produkte können außerdem Lebensmittelverschwendung reduzieren.

Mischko: Und wir müssen emotionaler werden – „let’s make frozen hot“. Nicht gegen andere agieren, sondern zeigen, was wir können.    

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