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Scharfe Geschäfte in der Gewürzwelt

Mit Bezeichnungen wie „Uschi grillt“ und „Wunderhuhn“ kämpfen Gewürzhersteller um die Gunst der Kunden und Platz im Regal. Die RUNDSCHAU war unterwegs bei Mühlen und Mixern.

Pfeffer – hier als bunter Mix in der Produktion bei Ankerkraut – ist ein Klassiker im Regal. Umsatz- und Gewinnbringer sind aber zunehmend Gewürzmischungen.
Von Martina Kausch | Fotos: Foto: Image47

Kurkumaduft in der Dieter-Fuchs-Straße

Blumig, süßlich und doch auch ein wenig – dunkel? Stopfig? Erdig? Wörter wollen gewählt sein, beschreibt man das, was hier an einem Mittwoch im Frühherbst mit leichtem Wind am Ortsrand von Dissen in die Nase steigt. Was ist es? Eindeutig Kurkumaduft prägt den Weg vorbei an ländlichem Bahnhofsgebäude und Schlachtindustrieanlagen. In Dissen in der Dieter-Fuchs-Straße sitzt in repräsentativer moderner Architektur die Verwaltung und – wie man wahrnimmt – auch eine der Mühlen von Deutschlands Marktführer im Gewürzsegment. Das hat in den vergangenen Jahren ein stetiges Wachstum erlebt, und die Prognosen für die kommenden Jahre stimmen optimistisch – solange Lieferketten mitmachen.

Täglich, sagt Elena Feige aus der Abteilung Kommunikation, komme ein deutscher Bürger mit Fuchs-Produkten in Berührung. Ob in Fleischmarinade oder Kartoffelchips: Dieter Fuchs’ Erben und ihre Marken würzen das Land und füllen die Regale. Zahlen bestätigen die Freude an neuen Geschmäckern. In einer exklusiv für die RUNDSCHAU durchgeführten YouGov-Befragung würzen über 50 Prozent aller Altersgruppen zwischen 18 und 54 Jahren mit Gewürzmischungen, 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen und noch 27 Prozent der über 55-Jährigen beantworten die Frage, ob bei ihnen zu Pandiemiezeiten das Interesse an Gewürzen gewachsen ist, mit ja oder eher ja.

Von Arganöl bis Dill

Ortswechsel ins beschauliche Oberbayern, ins 6.000-Einwohner-Dorf Fischbachau. Hier im Landkreis Miesbach in den Voralpenhügeln berichtet Erwin Winkler, seit 21 Jahren bei Herbaria, seit sechs Jahren Geschäftsführer, davon, wie ihn als Quereinsteiger das Gewürz-fieber gepackt hat und wie Herbaria ohne viel Tamtam das herstellt, was Verbraucher zunehmend schätzen: Regionale Produkte in Top-Qualität. „Wir wundern uns oft, wenn man uns fragt, wie man regionale Produzenten akquiriert, eine EMAS-Zertifizierung und eine Volldeklaration hinbekommt – im Bio-Bereich ist das Standard.“ Dann legt Rohstoffeinkäuferin Annette Haugg die Provenienz-Performance hin: Dill, Koriander und rote Zwiebeln kommen aus Bayern, Thymian und Majoran aus Schwebheim in Unterfranken von Familie Hennings, Wacholderbeeren aus einer bio-zertifizierten Region im Südwesten Bosniens, handgepresstes Arganöl von einem Projekt mit fair und nachhaltig arbeitenden Frauenkooperativen in Marokko… und sie berichtet von den großen Distanzen der Herbaria-Anbauer zu konventionellen Feldern, Stichwort Pestiziddrift. Und vom Jonglieren mit Lieferanten und Liefermengen zwischen Indien und der Ukraine. Das Heilkräuterunternehmen Salus ist die Herbaria-Schwester und leistet die akribische Laborarbeit.

Und dann die Optik: Beim Relaunch hat die Münchner Designerin Sophie Seitz den Weißblechdosen und Gewürzmühlen eine ganz unverwechselbare Optik gegeben Seitdem unterscheiden sie sich mit ihren farbsatten Parallelbändern aus oft kühlen Magenta- und Petroltönen und – für die Mischungen ‒ mutigen Namen von allen Wettbewerbern. „Oh du fröhliche“ prangt auf dem Glühweingewürz, und auch bei „Wunderhuhn“ und „Fisch ahoi“ weiß der Kunde vor dem Blick aufs Kleingedruckte zwar nicht unbedingt, welche Würze aus dem Döschen kommt, lässt sich aber offenbar gerne verführen. Denn so viel ist klar: Denkt man an Gewürze, denkt man an Tausendundeine Nacht, orientalische Basare, wo verkaufsfreudige Menschen Kardamomkapseln aus dem Jutesack schaufeln, mittelalterliche Klostergärten, in denen heilkundige Frauen aus Kräutermischungen Apothekerkompetenz entwickeln – und weniger an den Konzern-Kantinenkoch, der das Currysaucenpulver aus dem Plastikeimer anrührt. Wer mit Emotionen umzugehen weiß, punktet mit neuen Produkten und mit Geschichten um die neuen Produkte – das hat Herbaria und das haben Unternehmen begriffen, die den Markt aufmischen.

Produkte? Nein, Daten!

Weil sich die Geschichten der von Investoren finanzierten Start-ups ähneln, kann man sagen, das geht so: Junge Leute mit Beziehung zu fernen Ländern entdecken die Gewürze der Welt, entwickeln Mischungen, füllen sie in hippe Dosen, machen einige Jahre eine Menge logistischer und digitaler Arbeit, lernen aus Fehlern, stehen zwischendurch kurz vor dem Aufgeben und verkaufen dann – wenigstens Anteile. Aktuell im Gespräch ist Just Spices. Die Story: Drei Studenten kochen gerne und finden, dass man in den deutsche LEH-Regalen erstens wenig Gewürze, zweitens immer die gleichen und drittens die gleichen in so großen Dosen findet, dass man sie kaum zu bester Verarbeitungszeit aufbrauchen kann. Als die drei dann um die Welt touren und exotische Küchen mit vielen mindestens so exotischen Gewürzen kennenlernen, ist die Idee geboren, ein Geschäft mit den feinen Ingredienzen aufzuziehen. Der Legende nach mixte man zunächst in der elterlichen Küche. Wichtig: Gezeichnete Köpfe auf den pastellig-bunten Weißblechdosen – in dieser Optik stand noch nie in Deutschland eine Gewürzmischung in Supermarkt oder Küche. Das war 2014. Acht Jahre später und mit 170 Produkten im Sortiment kam im Januar 2022 die Meldung: Kraft Heinz aus Pittsburgh/Chicago bestätigt die Übernahme einer 85-prozentigen Beteiligung an Just Spices. „Wir wollen Just Spices zur globalen Marke führen“, sagt CEO und Mitgründer Florian Falk. Bei Kraft Heinz klingt das so: „Die datengesteuerten Produktinnovationen von Just Spices wurden erfolgreich auf die Bedürfnisse der Generationen Y und Z ausgerichtet.“ Sein fortschrittliches Analysewissen habe es Just Spices ermöglicht, durch rund 1,6 Millionen Follower frühe Verbrauchertrendsignale zu erstellen und zu identifizieren, Produktinnovationen zu fördern, die Kundenstimmung zu verstehen und die Verbraucherausrichtung zu optimieren. So weit der Konzern-Sprech. Das Attraktive daran ist also die Strategie dahinter, will heißen: Nicht allein die spannenden Produkte machen das Unternehmen für den amerikanischen Konzern attraktiv. Die Follower und ihre Daten sind wohl das noch gewichtigere Investitionsargument.

Eine ähnliche Story aus dem Norden der Republik ist die von Ankerkraut. Gründer Stefan Lemcke besuchte „diverse internationale Schulen in Afrika“, heißt es auf der Unternehmens-Homepage. Nach Jahren als Software Engineer gründete er 2013 Ankerkraut – wohlgemerkt mit Ehefrau und als Familienvater. Mit dem Know-how von Investor Frank Thelen fanden die charakteristischen Korkgläser den Weg in den LEH, 2020 verkaufte er 15 Prozent der Firmenanteile an einen Investor.

Beste Aussichten für – Rahmschnitzel

Bei Fuchs in Dissen betritt man den Produktionstrakt quasi vom Büroflur aus. Nach der Hygieneschranke öffnen sich die Rohstofflager, lärmen die Paprikamühlen, duftet der Oregano aus der frisch entnommenen Qualitätsprobe. Hier ist alles groß: Konsolidierter Umsatz 2020: 557 Millionen Euro, Umsatzwachstum: 6,7 Prozent, ein Rekord. Laut Statista ist der Pro-Kopf-Umsatz von Gewürzen und Kräutern pro Jahr von 13,20 Euro 2014 über 15,22 Euro 2018 auf 16,43 Euro 2020 gestiegen. Im Gesamtsegment Saucen und Gewürze wird für 2022 in Deutschland ein Umsatz von rund fünf Millionen Euro prognostiziert, bis 2026 ein jährliches Umsatzwachstum von 2,73 Prozent. Bei so viel Marktchancen etablieren sich auch kleinere und besonders kreative, im Offline-Vertrieb eher regional ausgerichtete Unternehmen. Spirit of Spice nennen Ute Bornholdt und Edgar Wolter ihre Gewürzmanufaktur in Willich. Seit 2005 werden hier erfolgreich Mischungen gemixt, das Arbeitsteam der Spice-Girls wächst, denn mittlerweile wird sogar exportiert. Eine Besonderheit sind sortenreine essbare Blüten, Rosenblüten, Lavendel-, Erika-, und Kornblumenblüten, meistens handverlesen. Renate Thesing alias Tante Tomate aus Westfalen hat nach einem Antipasti-Vertrieb über Wochenmärkte Gewürze ins Angebot genommen und wächst nach eigenen Angaben stabil – auch dank Namens- und Mischungsideen wie „Uschi grillt“ oder „Kölsche Mett“. Besonderes zieht: So weist Geschäftsführer Andreas Hartkorn gerne auf seine Gewürze im Keramiktöpfchen aus der Region hin und kündigt drei neue Mischungen für das laufende Jahr an, auch ein Aglio e Olio-Gewürz.

Bei aller Freude an internationaler Küche, Marktanalysen und Umfragen: Dass unglaublich Unspektakuläres punkten kann, hat Ankerkraut gerade erlebt. Die Online-Community war von einer neuen Kreation begeistert. Inhalt: Steinpilze, Zwiebel, Meersalz, schwarzer Pfeffer, Knoblauch, Rohrohrzucker, Karotte, Pfifferlinge, Champignons, Lauch, Pastinake und Morcheln. Name der Mischung: Rahmschnitzel.

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