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"Ziemlich verwässert"

Aldi hübscht seine Filialen auf. Diese gleichen immer mehr kleinen Edeka- oder Rewe-Märkten. Ist dieser Wandel sinnvoll? Der Markenexperte Roman Becker sagt nein. Stattdessen sollten die Händler ihre Stärken stärken, demnach müsste Aldi die Markenlistung aufgeben, genauso wie der LEH seine Eigenmarken streichen und nur auf Qualität setzen sollte.

forum! Mainz-Geschäftsführer Roman Becker
forum! Mainz-Geschäftsführer Roman Becker; Fotos: H. Rhode
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Von S. Krause, A. Stojic

Herr Becker, Aldi vollzieht gerade einen kontrovers diskutierten Imagewandel und gleicht seine Filialen dem LEH an. Sie sagen, diese neue Konzernstrategie ist ein Fehler. Warum?
Becker: Viele Kunden in Deutschland wollen wenig Geld und wenig Zeit in den Einkauf von Lebensmitteln investieren, weil ihnen das nicht so wichtig ist. Dieses Lebensgefühl wird von Discountern wie Aldi perfekt inszeniert. Das ist eine sehr gut ausgerichtete Verkaufsstrategie. Dennoch hat Aldi zunehmend an Marktanteilen verloren. Daraus resultierte ein fragwürdiger Aktionismus.

Was meinen Sie damit?
Becker: Aldi gleicht seine Flächen optisch fast schon an Rewe- oder Edeka-Filialen an, listet immer mehr Markenartikel ein und verwässert damit unnötig sein Erfolgskonzept. Damit verprellt der Discounter seine Kernklientel.

Also raten Sie Aldi von weiteren Schritten in Richtung Erlebnisshopping ab?
Becker:
Definitiv. Zwar steigt das Qualitätsbewusstsein und Verbraucher sind auch bereit, mehr Geld für Lebensmittel zu bezahlen. Aber eben nicht so viel, dass die Verantwortlichen bei Aldi mit ihrer Tiefpreisstrategie in Panik geraten müssten. Doch genau das tun sie und lassen sich von der Marktentwicklung in die falsche Richtung treiben.

Woher kommt dieses neue und lange vermisste Qualitätsbewusstsein in Deutschland?
Becker: Die Mittelschicht wird seit gut zehn Jahren jeden Tag von Kochsendungen im Fernsehen indoktriniert. Darauf haben sich viele Edeka- und Rewe-Händler gut eingestellt und nun will auch Aldi etwas vom Kuchen abhaben.

Geht das denn?
Becker: Auch hier ein klares Nein. Diese Klientel, über das wir gerade reden, deckt seinen Bedarf an frischen Lebensmitteln von jeher nicht im Discounter. Daher richten die Aldi-Entscheider ihre neue Strategie auf eine falsche Zielgruppe aus.

Generell würden Sie Aldi also eher die Strategie empfehlen: Weniger Erlebniskauf, mehr günstige Preise?
Becker: Ja. Aldi weist seine Kassierer zum Beispiel an, dass sie nicht zu freundlich sein sollen. Freundlichkeit kostet nämlich Zeit. Zeit, die die Kunden in der Schlange nicht für den Lebensmitteleinkauf aufwenden möchten. Damit setzt Aldi auch ein Signal für Menschen, denen ein Schwätzchen wichtig ist,  getreu nach dem Motto: ‚Willst du Freundlichkeit und Service, dann geh‘ gefälligst in den Vollsortimenter.‘ Und das kam bisher bei ihren Kunden sehr gut an. Denn die wollen schnell und günstig.

Bekommt im konventionellen Lebensmittelhandel denn den gewünschten?
Becker: Nein, aber die Sortimentstiefe. Denn das ist ja das Konzept der Entscheider dort. Statt über neue Konzepte nachzudenken, nehmen sie lieber die 17. Sorte Joghurt ins Sortiment auf. Hier wäre es ratsam, darüber nachzudenken, was im LEH wirklich Sinn macht.

Und das wäre?
Becker:
Sinnvoll wäre, wenn die LEH-Verantwortlichen einfach mal einen Blick zu dm wagen würden. Dort hat die Verkäuferin auch kein Problem damit, mich fünf Minuten vor Ladenschluss ausgiebig und freundlich zu beraten.

Kann der LEH von dm lernen?
Becker: Unbedingt! Aber da muss man beim obersten Management ansetzen. Eine service- und kundenorientierte Unternehmenskultur muss hier in die Organisation getragen werden und von dort aus zum Mitarbeiter auf der Fläche. Götz Werner und seine Leute sind da sehr authentisch. Wenn ich meinen Slogan „Wir lieben Lebensmittel“ dem Kunden glaubhaft vermitteln will, muss ich meine Mitarbeiter als leidenschaftliche Transmitter dieser Botschaft nutzen – hier sollte nicht das Produkt im Vordergrund stehen. Der Handel ist viel zu produktverliebt.

Was meinen Sie damit?
Becker: Aus Kundensicht gibt es die gleichen Produkte oder Produkte, die denselben Nutzen erfüllen, in Hülle und Fülle auch bei anderen Anbietern. Darüber können Unternehmen Kunden nicht emotional binden. Ich würde dem Handel raten, seine Mitarbeiter mehr zu motivieren.

Wie genau könnte das aussehen?
Becker: Der Arbeitgeber muss Rahmenbedingungen schaffen, die es dem Mitarbeiter ermöglichen, seine intrinsische Motivation weiter auszubauen. Dazu gehören neben authentischer Führung auch finanzielle Anreize. Nur ein motivierter Mitarbeiter will auch guten Kundenservice bieten.

Gibt es dieses Potenzial?
Becker:
Es gibt ein Potenzial im Markt, das kein Lebensmitteleinzelhändler so richtig abschöpft. Wenn ich mir billige Produkte in den Markt stelle, muss ich das irgendwie auch refinanzieren. Da könnte das neue Real-Konzept vielleicht auch funktionieren.

Wäre hier also eventuell das Real-Konzept eine Lösung? Real hat in Krefeld kürzlich eine neue Markthallte eröffnet – Die hat mit dem Real, den wir kennen, nicht mehr viel zu tun. Ist das der letzte verzweifelte Versuch oder ein Modell, das die gesamte Branche in die richtige Richtung bringen könnte?
Becker: Die Idee, Erlebniswelten zu schaffen ist grundsätzlich gut - aber nicht im Gewand von Real. Das wird ihm der Kunde nicht abkaufen. Wenn das ein Händler oder eine Handelsorganisation mit einer glaubwürdigen Marke macht und dazu noch motivierte Mitarbeiter auf die Fläche stellt, wird das funktionieren. Wem das am ehesten gelingen könnte, ist die Edeka. Die größte Innovation, die aber alle Handelsgesellschaften hervorbringen könnten, ist, den Mitarbeiter in den Vordergrund zu stellen. Da hat der Handel Nachholbedarf. Hier müsste mehr investiert werden.

Investment ist ein gutes Stichwort: Erstmals in Aldi’s Geschichte hat der Discounter vor Weihnachten seine erste TV-Werbung geschaltet. Ein kluger Schachzug?
Becker: Absolut.

Warum?
Becker: Weil die Kampagne auf die Marke des Discounters einzahlt. Meiner Meinung nach ist die Werbung glaubwürdig und spricht eine neue Zielgruppe an – nämlich die jüngeren Käufer. Die hatte der Discounter bisher nicht im Fokus. Aber wie wir sehen, sind die Mülheimer immer für eine Überraschung gut.

Apropos Überraschung: Was würde es für die Handelslandschaft bedeuten, wenn sich Aldi Nord und Aldi Süd eines Tages wieder zusammenschließen würden?
Becker: Die Trennung von Nord und Süd ist ja künstlich erzwungen. Aus Kundenperspektive, ist die Wiedervereinigung bitter nötig. Schließlich will ich mich als Shopper in jeder Filiale gleichermaßen zurechtfinden. Egal, ob das in München oder Hamburg ist. Das ist auch wichtig, um die Marktmacht noch besser zu erhalten. Vor allem gegen Player, die heute noch keiner so richtig auf dem Schirm hat, die aber kommen werden.

Einer dieser Player ist Amazon. Der Online-Händler hat ja in Kanada einen ersten stationären Test-Store eröffnet.
Becker: Ja. Amazon hat eine sehr hohe Fan-Quote unter seinen Kunden. Und Online-Shopping hat eine enorme Marktmacht. Wenn Amazon mit einem stationären Lebensmittelhandel in Deutschland startet, dann kann sich der LEH warm anziehen.

Könnte denn der Online-Lebensmittelhandel für Aldi eine zusätzliche Alternative sein?
Becker:
Definitiv. Dort könnten sie ihre Stärken ausspielen – in der Logistik und der schlanken Sortimentsbreite mitsamt einer extremen Stärke beim Kundensupport. Aber auch die anderen Lebensmitteleinzelhändler haben die Chance, eine belastbare Kundenbeziehung aufzubauen und sich damit eine stabile Position im Markt zu sichern. Dafür müssen sie die zentralen Bedürfnisse ihrer Kunden kennen und mithilfe ihrer Mitarbeiter an allen Kontaktpunkten zum Kunden erfüllen.

 

Roman Becker
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forum! Mainz-Geschäftsführer Roman Becker; Fotos: T. Schindel
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forum! Mainz-Geschäftsführer Roman Becker; Fotos: T. Schindel

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