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Alles, nur nicht langweilig

„Ausbilder sind Coaches mit Entertainer-Qualitäten“, sagt Professor Dr. Antje-Britta Mörstedt von der PFH Private Hochschule Göttingen. Und sie hat praktische Antworten auf die Fragen: Wie tickt Gen Z? Wie macht man aus ihr erfolgreiche Mitarbeiter, die lange im Unternehmen bleiben? Fest steht: Schlechte Arbeitsmoral wird ihr zu Unrecht vorgeworfen.

Von Karina Caspers | Fotos: Daniel Li

Die produktiven Babyboomer bereiten sich auf ihre Rente vor. Doch was kommt dann? Viele Prognosen befürchten Schlimmes: Die Z-ies rücken nach – die sind nicht nur wenige, sondern legen auch noch größten Wert auf ihre Freizeit. 40-Stunden-Wochen? Nicht mit ihnen. Die Folge: ein Rückgang der täglichen Arbeitszeit und damit ein erheblich abnehmendes Wachstumspotenzial in Deutschland. 

Viele Experten befürchten den War of Talents. Zudem findet ein wahres Bashing dieser Generation statt. Zu faul. Zu vorlaut. So die Vorwürfe – und die stören Prof. Dr. Antje-Britta Mörstedt. Sie setzt sich für einen Dialog zwischen den Generationen ein.

Ist die Work-Life-Balance bei der Gen Z völlig aus dem Gleichgewicht geraten? 
Das ist kein spezielles Thema der Generation Z. Schon in meiner Generation gab es null Bock. Ich habe keine Lust, ich studiere irgendwas, breche das Studium ab, das gab es schon immer. Die Generation X wollte als Erste Work-Life-Balance. Ihre Erkenntnis: Ich will leben und nicht nur arbeiten.

Es hat ein genereller Wechsel in der Gesellschaft stattgefunden, dass man eben nicht mehr so viel arbeiten möchte. Der Babyboomer, der war noch der Workaholic, der gesagt hat: „Ich arbeite, weil mein Chef mich braucht, ich bin immer da. Urlaub brauche ich sowieso nicht …“ Das macht man heute nicht mehr.

Warum wird das der Gen Z zugeschrieben?
Weil die es deutlich machen. Wir haben sie auf Augenhöhe erzogen, entsprechend laut äußern sie ihren Unmut. Zudem sind sie so wenige. Plötzlich haben wir den Fachkräftemangel und schauen genau hin und kommen zu dem Schluss, dass diese Generation nicht arbeiten will. Dabei gibt es unter ihnen genau so viele ehrgeizige oder faule Menschen wie in jeder anderen Generation. 

Wie geht man als Arbeitgeber damit um?
Der Arbeitgeber sollte erst einmal damit anfangen zu begründen, warum jemand länger arbeiten soll. Also nicht fragen, kannst du heute länger arbeiten, sondern sagen, ich brauche dich heute länger, weil … Und: Wenn alle immer länger arbeiten müssen, dann haben wir ein strukturelles Problem. Warum soll das ein Z lösen? 

Wir haben das früher so gemacht. Wenn mein Chef mich gefragt hat, kannst du länger bleiben, habe ich gesagt, natürlich. Für mich kam das gar nicht infrage, nein zu sagen. Wir sind anders erzogen worden. Der jetzigen Generation Z wurde eingebläut: „Lasst euch nichts gefallen. Wir haben Fachkräftemangel, ihr könnt heutzutage arbeiten, wo ihr wollt.“ Und tatsächlich ist es so, wenn ich etwa in der Pflege arbeite, dann muss ich mir nichts gefallen lassen. 

Wie kann denn die Arbeitsbereitschaft gesteigert werden? 
Ich kann andere Arbeitszeiten anbieten. Ein Beispiel: Auch als Bäcker muss ich heute nicht mehr nachts um ein Uhr aufstehen. Unternehmen können sich Alternativen überlegen, wie und wann sie das Brot backen. Heute werden oft im Shop die Brötchen gebacken, tagsüber. Und ich brauche kreative Ideen für Fachlaufbahnen. Es macht keinen Sinn mehr, Jobs für 125.000 Euro pro Jahr anzubieten, die eine 60-Stunden-Woche beinhalten und Reisetätigkeiten um die ganze Welt. Hier ist es besser, wenn sich zwei Angestellte diesen Job teilen. Auch in Krankenhäusern werden neue Arbeitszeitmodelle entwickelt, damit überhaupt noch jemand in diesem Bereich arbeitet.

Eine komplette Transformation der Arbeit.
Ja, die Arbeit wird sich ändern und das will der Babyboomer nicht. Wir Älteren haben uns in unserem Leben eingerichtet, und das ist auch gut so. Nun wird plötzlich verlangt, Leute auf Augenhöhe zu führen, ständig Feedback auf Augenhöhe zu geben, selbst für einfache Tätigkeiten. Ich bin die meiste Zeit damit beschäftigt, mein Team zu loben – und eigentlich habe ich dafür überhaupt keine Zeit. Aber der Grund dafür sind doch wir. Wir haben unsere Kinder gelobt und alles toll gefunden, was sie gemalt haben. Ich bin da keine Ausnahme.

Hat das auch was mit den Likes zu tun, die bei Facebook und Instagram inflationär verteilt werden?
Ja, das ist genauso. Ein Beispiel: Ich schreibe auf Social Media, ich gehe jetzt joggen. Dafür bekomme ich 1.000 Likes. Diese Likes, von Facebook erfunden, setzen Neurotransmitter frei. Du wirst gelobt, und ein anderer findet das toll. 

Ähnlich ist das bei der Erziehung der Gen Z: Mutti sagt, prima, du hast dein Zimmer aufgeräumt, du hast ein tolles Bild gemalt. Diese Celebration-Kids sind das Problem. Gehen Sie mal zu einer Grundschul-Einschulung. Da sind Oma, Opa, Tanten, Neffen, Nichten und der Hund dabei. Da muss das Kind doch denken: Hurra, ich habe die Einschulung geschafft! Das schafft doch jedes Kind, wenn es nicht ganz doof ist. Möchte ich essen gehen, wenn es Zeugnisse gibt, dann schauen mich die Gastronomen schon ganz hysterisch an und sagen: „Sie kriegen heute keinen Platz, es sind Zeugnis-Essen.

Wenn ein Kind das Seepferdchen schafft, wird gefeiert. Geburtstage sind kleine Hochzeiten, und dann wundern wir uns, dass das dabei rauskommt. Wir waren das! Und seit wir sie so erzogen haben, schimpfen wir auf sie. Das ist ungerecht dieser Generation gegenüber.

Kann man das Rad zurückdrehen?
Nein. Ich habe vier Kinder großgezogen, da drehst du nichts mehr zurück. Und ich war genauso. Die Einschulungen waren Feste, die Abiturfeiern wurden drei Tage gefeiert. Standing Ovation.

Wird die Gen Z ihre Kinder ebenso erziehen?
Meine Kinder sagen schon, ich hätte strenger sein müssen. Das ist doch immer so. Ich wusste es auch besser als meine Mutter. Sie hat immer gesagt, ich müsse härter durchgreifen. Ihr habe ich gesagt: Ich werde meine Kinder weder schlagen noch ihnen Stubenarrest geben. Ich versuche, das mit ihnen zu besprechen. 

Wie fasst man diese Arbeitnehmer an? Wie schafft man ein gesundes Verhältnis zwischen machen lassen und Anweisungen geben?
Wir müssen strukturierter arbeiten, viele Anweisungen geben. Das Lebensgefühl dieser Generation ist laut einer Studie des Rheingold Instituts: Selbstverwirklichung und Verantwortungsübernahme bei gleichzeitiger Überforderung. Das ist ein völliger Widerspruch, aber trotzdem sind das die Needs. 

Auf der einen Seite muss man Vertrauen aufbauen. Sinnstiftende Tätigkeiten, Teamgeist, Fehlerkultur fördern, das nennen wir die transformale Führung. Und auf der anderen Seite klare Regeln und auch Konsequenzen ziehen, wenn sich jemand fehlverhält. Auch trotz Fachkräftemangel dürfen die uns nicht auf der Nase rumtanzen. Führung ist wichtig. Von daher sind Ausbilder heute Coaches mit Entertainer-Qualität.


"Früher war man Manager. Heute ist man Leader. Führen ist heute sehr anspruchsvoll und bedeutet, viel zu diskutieren. Immer wieder nachzujustieren." 

Prof. Dr. Antje-Britta Mörstedt


Dafür braucht es viel mehr Zeit. Mitarbeitergespräche binden viel Zeit, manchmal mehr als die eigentliche Arbeit …
Früher war man Manager. Heute ist man Leader. Management bedeutet Zahlen, Strukturen schaffen, das Wort kommt von steuern, eine Organisation steuern. Führung, Leadership bedeutet, Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was das Unternehmensziel ist. Führen ist heute sehr anspruchsvoll und bedeutet, viel zu diskutieren. Immer wieder nachjustieren, um eben diese Selbstsicherheit mit gleichzeitiger Überforderung auszugleichen. 

Wenn ich früher eine Vorlesung gehalten habe, habe ich Dinge erklärt. Fertig. Heute mache ich 45 Minuten Input, und dann schreibe ich – ich habe ein kleines Surface dabei – Merkzettel. Schöne bunte Merkzettel, darauf notiere ich genau, was zu tun ist. Erstens, zweitens, drittens … Ausbildung ist heute strukturierter und kleinteiliger. Man muss immer wieder reflektieren … Die Jungen wollen auf der einen Seite unabhängiger lernen, auf der anderen Seite mehr Coaching bekommen.

Was kann ich konkret im LEH tun? Was raten Sie einem Marktleiter im Umgang mit den Auszubildenden?
Viel mehr erklären, warum die Auszubildenden oder jungen Mitarbeiter etwas tun müssen. Warum müssen sie Regale einräumen? Warum müssen sie Regale saubermachen? Warum müssen sie die Tiefkühltruhe putzen? Nicht nur einfach sagen, was zu tun ist, sondern begründen. Und die Leute bei Laune halten.

Wer im LEH tätig ist, kann schnell den Job wechseln, weil händeringend Leute gesucht werden. Angestellte vergleichen: Wie sind die Arbeitszeiten? Wie ist die Wertschätzung? Kein Unternehmen kann heute so tun, als gäbe es tausend Leute, die sich an die Kasse setzen wollen. So sollte man sich genau überlegen, ob man studentische Aushilfen zwölf Euro die Stunde bezahlt, wenn anderswo 12,40 Euro bezahlt werden. Die Frage des Mindestlohns für Aushilfen ist wichtig. 

Zudem müssen Fachlaufbahnen eingeführt werden. Junge Einzelhandelskaufmänner oder -kauffrauen denken: Was mache ich denn, wenn ich ausgelernt habe? Der Gedanke, 40 Jahre diesen Job machen zu sollen, schreckt ab. Also geht es darum, interessante Lebenswege zu schaffen. Das muss sich der Marktleiter überlegen. 


"Man sollte einen Blumenstrauß an Ausbildungsmöglichkeiten binden. Am Ende muss der Bachelor stehen, den wollen alle haben."

Prof. Dr. Antje-Britta Mörstedt


Was bedeutet „interessanter Lebensweg“? 
Ich würde raten, die Ausbildung abwechslungsreich zu gestalten. Ich würde schauen, ob jemand daran interessiert ist, sich selbstständig zu machen oder ob er lieber in seiner Nische bleibt. Wenn er lieber in seiner Nische bleibt, gilt es zu überlegen, wie kann ich ihn ans Unternehmen binden? Aus Personalentwicklung muss Persönlichkeitsbildung werden. Auch Hobbys können da miteinbezogen werden. Wenn man also sieht, der kocht gerne ein oder backt – dann kann ich entsprechende Kurse anbieten. Auch Sprachkurse funktionieren. 

Es geht darum, die Persönlichkeit weiterzuentwickeln, weil diese Generation großen Wert auf ihre Freizeit legt. Da muss ich schauen, wie kann ich ihnen helfen, diese Freizeit zu gestalten. 
Auch ein Auslandsaufenthalt in der Ausbildung ist interessant. Man sollte einen Blumenstrauß an Ausbildungsmöglichkeiten binden.

Ein weiterer Punkt: erst die Ausbildung, dann das Studium. Wir haben bei uns an der Fernuni festgestellt, der Altersspiegel derer, die ein Fernstudium machen, ist gesunken. Während früher der 35-Jährige ein Fernstudium absolviert hat, sind es heute die 25-Jährigen oder noch Jüngere. Der Marktleiter sollte sich überlegen, was kann er denn als Bindungselement nach der Ausbildung anbieten? Ich würde das nicht mehr parallel anbieten, weil man so die Mitarbeiter länger hält. Mit der Ausbildung habe ich sie drei Jahre, oder zwei, wenn sie Abitur haben. Dann noch mal zwei, drei Jahre Bachelor, so, dass die Mitarbeiter dann sechs, sieben Jahre im Unternehmen bleiben, bevor sie sich verabschieden. Ich habe heute keinen Mitarbeiter mehr als 20 Jahre. 

Was müssen die Programme auf jeden Fall enthalten, damit sie interessant sind?
Am Ende muss der Bachelor stehen, den wollen alle haben. Solche Lebenswege muss man stricken. Wir brauchen Bindungsprogramme. Wir führen langsam zum Bachelor, vielleicht zum Master hin. Wichtig sind auch Workation – Arbeit und Urlaub verbinden. Bildungsurlaub anbieten, mit Sprachreisen kombiniert. Das ist ganz wichtig! 


Das Lebensgefühl der Gen Z

„Viele der Jugendlichen bleiben zwischen Größenfantasien und Alpträumen sozialer Entmündigung einfach stecken“, so eine der Kernaussagen der Studie „Jugend im Standby – was braucht sie für den Schritt in eine Ausbildung?“ vom Rheingold Institut. 
Für das Recruiting bedeutet das unter anderem eine Ansprache über Social Media, eine unkomplizierte Kommunikation, etwa über WhatsApp – und die Arbeitgebermarke sollte positiv besetzt sein. Auch das Thema Mitarbeiter werben Mitarbeiter wird immer wichtiger. Und: Für 77 Prozent der Schüler ist der Rat der Eltern bei der Berufswahl hilfreich (Quelle: azubi.de). Zudem legt die Gen Z Wert auf wirkungsvolle Arbeit und eine Weiterentwicklung persönlicher Fähigkeiten. 


Prof. Dr. Antje-Britta Mörstedt 

studierte von 1987 bis 1992 Betriebswirtschaftslehre an der Georg-August-Universität in Göttingen. Seit 1995 lehrt sie an der PFH Private Hochschule Göttingen. Ihre Schwerpunkte sind Organisation und Blended Learning. Seit 2015 ist sie Vizepräsidentin der PFH für Fernstudium und Digitalisierung.

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