Wenn Ewa R. an der Krefelder Medi-Apotheke vorbeikommt, kann sie sich ein Grinsen kaum verkneifen. „Die haben immer noch niemanden“, feixt sie mit Blick auf den Aushang: „Putzfrau gesucht“. Als sie ihn vor zehn Monaten das erste Mal sah, war sie noch hineinspaziert, hatte sich vorgestellt und sogar einem Probeputzen zugestimmt.
Doch es war der Apotheker, der den Test nicht bestand: „Ich sollte nur während der Geschäftszeiten putzen und verschwinden, sobald Kunden den Verkaufsraum betreten“, schüttelt sie den Kopf. Arbeitszeiten jenseits des Publikumsverkehrs, einen eigenen Schlüssel gar? Für den Chef undenkbar! „Normalerweise ist das ein guter Job“, findet die erfahrene Kraft, „aber eben auch Vertrauenssache, und unter diesen Bedingungen kann er lange suchen.“
Da ist der Apotheker keine Ausnahme. Ob Handwerk, Gastgewerbe oder der LEH – in zahlreichen Wirtschaftszweigen suchen Betriebe und Unternehmen händeringend nach geeigneten Mitarbeitenden. Bleibt der Sucherfolg aus, verkürzen Supermärkte beispielsweise ihre Öffnungszeiten, weil Kassen nicht besetzt oder Waren nicht eingeräumt werden können.
Und das liegt nicht allein am demografischen Wandel, der laut dem Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bis 2035 den Verlust von sieben Millionen Arbeitskräften bedeuten wird. Parallel zum demografischen findet derzeit ein gesellschaftlicher Wandel statt, und auf diesen sind Arbeitgeber wie der Apotheker schlicht nicht vorbereitet.
Arbeitnehmer bestimmen den Markt
Und nein: Es geht nicht darum, plötzlich jedwede Ansprüche von Vertretern der Generation Z zu erfüllen – Stichwort Work-Life-Balance. Vielmehr geht es Arbeitnehmerinnen wie Ewa darum, nicht mehr als bloße „Ressource“ betrachtet zu werden, die sich den vom Chef diktierten Strukturen anzupassen hat. Gefälligst! „Der Arbeitsmarkt ist längst ein Arbeitnehmermarkt“, wissen Experten wie Thorsten Piening, Mitbegründer des Personalbeschaffungs-Start-ups Persomatch. Und dieser erfordere nichts weniger als „ein Umdenken auf Geschäftsführerebene“.
Wo dies nicht (rechtzeitig) einsetze, gehe das nicht nur zulasten des Umsatzes: Wenn Leistungen aufgrund von Personalmangel nicht erbracht werden können, schlägt das auch auf die wirtschaftliche Basis durch. Das verheerende Bild, das Post und Bahn derzeit abgeben, der damit verbundene Vertrauens- und Image-verlust zeigen ziemlich eindrücklich, wohin ein „Weiter so!“ führen kann.
Wo also anfangen? Thorsten Piening ist überzeugt: „Anders als früher werden sich Arbeitgeber bei Arbeitnehmern regelrecht bewerben müssen.“ Doch das ist einfacher gesagt als getan. Denn geeignete Arbeitskräfte zu finden, ist nur der erste Schritt. Die eigentliche Kunst besteht darin, Ewa, Andreas und Kevin im Unternehmen zu halten, die propagierten Werte des attraktiven Arbeitgebers also auch zu leben.
Für Ersteres haben sich Start-ups wie Persomatch und Talk’n’Job erfolgreich in Stellung gebracht. Beide verbindet die Erkenntnis, dass sich die Stellensuche längst ins Digitale verlagert hat, zulasten der Zeitungsannonce, der Telefonnummer am Lieferwagen oder des Aushangs im Ladenfenster.
Bewerbung auf dem Bierdeckel? Geht!
Aber alles, insbesondere Annoncen, einfach eins zu eins digital zu adaptieren, ist nicht die Lösung. Es braucht eine niedrigschwellige Ansprache der Bewerber. „Schluss mit Old-School-Bewerbungen!“, ist denn auch das Motto des erst 2020 geründeten Start-ups Talk’n’Job.
Mit dem Ziel, die weitere Digitalisierung des Bewerbungsprozesses durch den Einsatz sinnvoller Technologien zeitgemäß voranzutreiben, haben sich die Gründer da-rauf konzentriert, den Erstkontakt herzustellen: zwischen Arbeitgebern und sogenannten Blue-Collar-Berufen wie Reinigungskräften, Konditoren, Produktionshelfern, Bäckereifachverkäuferinnen und Auszubildenden.
Dafür haben sie ein sprachgesteuertes Tool entwickelt, mit dem sich eine Bewerbung binnen zwei Minuten erledigen lässt. „Das Tool funktioniert über einen QR-Code, den Arbeitgebende auf Bierdeckel oder Plakate drucken oder online platzieren können“, erklärt Kommunikationschefin Karoline Bierlich. Diesen Code bräuchten Bewerber mit ihrem Smartphone lediglich zu scannen, und schon gehe es los. „Der Chat stellt dann abgesprochene Fragen, zum Beispiel: Hast du einen Führerschein? Bist du am Wochenende flexibel? Welche Kenntnisse von dir sollten wir kennen?“ Überdies könnten Interessenten auch noch ihre Vorlieben in einer Button-Auswahl hinterlassen: etwa ob sie gerne Teilzeit oder lieber Vollzeit arbeiten möchten.