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Bio bleibt. Gerade jetzt!

Wird das Geld knapp, werfen Verbraucher die ökologische Gesinnung schnell über Bord. Wirklich? Experten geben ein differenzierteres Bild und sagen, wie Bio doch gewinnt.

Foto: Adobe Stock/LIGHTFIELD
Von Sibylle Menzel | Fotos: Adobe Stock/LIGHTFIELD, Max Thinius, Christian Schmidt, Fenell Photography

Es ist eine Zäsur in der Bio-Welt: Die Umsatzkurve für Bio-Produkte zeigte seit Jahren nahezu kontinuierlich nach oben, seit Inflation und Kostenexplosionen Handelswelt und Konsumklima beherrschen, zeigt sie nach unten – laut Deutschem Bauernverband (DBV) gingen die Bio-Umsätze von Januar bis Oktober 2022 um 4,1 Prozent zurück.


12,4 % mehr Umsatz erzielten Bio-Handelsmarken. Marken verloren um – 6,2 % im Vergleich zum Vorjahr.

Quelle: GfK; Jan. bis Nov. 2022


Dennoch erwartet der DBV auch 2022 einen Öko-Umsatz von 15 Milliarden Euro, was immer noch über dem Niveau von 2019 läge (rund 12 Mrd. Euro). Heißt: Das hohe Umsatzwachstum während Corona könnte in der Krise gehalten werden. Während allerdings Fachhandel oder Bio-Supermärkte mit Einbußen kämpfen, kaufen Verbraucher im LEH nach wie vor Bio, und zwar günstigere Bio-Eigenmarken.

Deren Umsatz legte nach Angaben der GfK-Marktforscher von Januar bis November 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 12,4 Prozent zu, Marken verloren dagegen 6,2 Prozent; insgesamt registriert GfK für diesen Zeitraum ein Plus von 2,9 Prozent. Bio ja, nur aus einem anderen Preissegment – die Marktforscher nennen es Trading-down-Effekt.

Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), zieht das Fazit: „Selbst wenn aktuell eher zu den günstigeren Handelsmarkenprodukten im Supermarkt und Discount gegriffen wird, Kunden kaufen immer noch Bio. Wir sind deshalb überzeugt: Bio bleibt. Gerade jetzt.“

Wie sieht es bezüglich Preisen genau aus? Peter Röhrig, geschäftsführender Vorstand Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), erklärt: „Die Preise für Bio-Produkte steigen weniger stark als im konventionellen Bereich. Das heißt, dass sich die Preise zwischen Bio und konventionellen Produkten angleichen.“ Demzufolge lag das Niveau der Verbraucherpreise für Bio-Frischeprodukte zwar im ersten Halbjahr 2022 höher als 2021 (+ 5,2 %) – aber deutlich unter der Entwicklung bei konventionellen Lebensmitteln (+ 8,0 %, Basis AMI-Analyse, GfK).

Grund: Kürzere Wege bei Lieferketten und keine Abhängigkeit von teurem, schwer verfügbarem Stickstoff-Mineraldünger beim Bio-Anbau sorgen für Stabilität. Von steigenden Kosten bei Treibstoff, Energie und Personal sind Bio-Betriebe hingegen wie konventionelle betroffen – die Situation ist und bleibt auch 2023 fordernd.


STATEMENT

Gemeinsam mit Futurologe Max Thinius blickt das Messeduo aus Biofach und Vivaness in die Zukunft der Branche. Anlässlich der aktuellen Entwicklungen in puncto Einkaufsverhalten und Markenloyalität werden die Chancen, die mit der Digitalisierung einhergehen, beleuchtet. Die RUNDSCHAU hat bei Max Thinius nachgefragt. Wie und warum er z. B. eine neue Bezugsebene zwischen Marken und Verbrauchern entstehen sieht, lesen Sie unter:

www.rundschau.de/die-zukunft-von-bio-marken


 

Schluss mit Preisknallern

Der verringerte Preisabstand zwischen Bio- und konventionellen Lebensmitteln könnte sich mittelfristig positiv auf den Bio-Umsatz auswirken, wenn er auch nach einer Normalisierung der Märkte auf einem geringeren Niveau verbleiben würde. Das prognostizieren die Experten, die zum Whitepaper „Bio – quo vadis?“ der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn beigetragen haben. Vorausgesetzt, Shopper registrieren die Angleichung. Kommunikation am PoS scheint erforderlich, aber muss tatsächlich nur der Preis in den Fokus rücken?

„Alle reden nur noch über den Preis“, sagt Stephan Cunäus. „Ich rede über alles, nur nicht darüber.“ Der Kaufmann hat für das E-Center Warnow-Park sämtliche Preisangebote in der Kommunikation eliminiert. Stattdessen setzt er auf Bio-Präsenz im 700 Quadratmeter großen Shop-in-Shop-System, auf zusätzliche Bio-Anker in allen Warengruppen, auf zwei Fachbeauftragte, die kontinuierlich Sortimentstiefe und -breite erweitern, auf Bio-Image-Storys und Beratungskompetenz. Kampf um die Kaufkraft? Kaum spürbar, so Cunäus.

Jörg Weiß ist Experte für Verkaufsförderung bei der Promotionagentur Sell & More mit langjähriger Bio-Expertise. Geht es um die Preisdiskussion, sieht er eine ganz andere Herausforderung: „Lebensmittelpreise haben bei deutschen Kunden einen zu niedrigen Stellenwert im Warenkorb. Das Bewusstsein muss sich ändern. Der Handel kann dabei unterstützen.“

Ein günstiges Angebot, so Weiß, erleichtere natürlich vielen Kunden den Einstieg ins Bio-Sortiment. Entscheidend sei aber die Vermittlung des Mehrwerts von Bio-Produkten. Die Vorteile des Produkts, nachhaltige Produktionsbedingungen oder die Wahl der Inhaltsstoffe, all das sollte eine Rolle spielen. Der Schlüssel dazu: Langfristig ausgelegte Kampagnen, Face-to-Face-Erlebnisse am PoS, übergreifende Cross-Selling-Aktionen – abgestimmt auf die Klientel vor Ort.


"Auf Dauer wird eine gesunde, bewusste Ernährung entscheidend sein. Darüber müssen wir sprechen."

Karsten Pabst. Edeka Hieber


Auch die Strategie von Karsten Papst, Geschäftsführer der südbadischen Hieber-Märkte, beruht auf Kommunikation jenseits des Preises: „Auf Dauer wird eine gesunde, bewusste Ernährung entscheidend sein. Darüber müssen wir sprechen, etwa indem wir Eigenschaften, Nutzen und Herkunft der Produkte hervorheben und damit ihren Mehrwert betonen.“ Beim ohnehin stark nachgefragten Bio-Angebot von Obst und Gemüse werde gezielter eingekauft, so Papst, aber Qualität und Auswahl erhöht.

Ausblick Biofach

Vom 14. bis 17. Februar ist die Biofach in Nürnberg Treffpunkt der internationalen Bio-Branche. Die ersten Eindrücke zu den derzeitigen Veggie/Vegan und flexitarische Ernährung weiter im Aufwind, außerdem den Trend hin zu alkoholfreier Lebensweise – bedient werden die Aspekte unter anderem mit dem Grundsortiment an Bio-Direktsäften.

Berief Food wird kategorienübergreifend das Thema „Ohne Zucker“ in den Fokus rücken und dabei zum Beispiel das Bio-Drink-Sortiment mit Bio Drink Hafer Drink ohne Zucker erweitern. Mit dem Claim „Pure Taste. Pure Joy“ möchte Rawbite, Anbieter von Snackriegeln, weiter auf das Wachstumspotenzial von gluten- und palmölfreiem Snacken in Bio-Qualität ohne beigefügten Zucker setzen. 

Die Neuprodukte von Dr. Karg’s werden wie gewohnt auf das Motto „Besser snacken“ einzahlen. Caroline Mücke, Markenmanagement Dr. Karg’s: „Konsumenten setzen sich auch bei Snacks immer mehr mit den Zutatenlisten auseinander. Natürliche Zutaten und der Verzicht auf Zusatzstoffe wie Aromen und Geschmackverstärker sind für uns entscheidende Faktoren. Die Nachfrage nach wertvollen Snackalternative zu beispielsweise Chips und Flips wird immer höher. Hier spielt auch das Thema Bio eine wichtige Rolle.“

Nach dem Relaunch der Marke im Oktober 2022 wird sich Lotao mit 13 neuen veganen Bio-Fertig- und Halbfertiggerichten präsentieren. Auch bei Bauckhof Naturkost sind Convenience-Neuprodukte am Start. Darunter Torten-Backmischungen in Demeter-Qualität, womit die Marktlücke in diesem bislang nicht besetzten Segment geschlossen ist.
 


INTERVIEW

Sie leiten die irische Handelsorganisation Bord Bia seit November 2022 – Ihre ersten Pläne?
Ich werde mich darauf konzentrieren, den Wachstumskurs an irischen Lebensmittel- und Getränkeexporten fortzusetzen, 2022 waren es rekordverdächtige rund 16,7 Milliarden Euro. Die Stärke unserer Lebensmittelindustrie in Bezug auf Nachhaltigkeit werden wir mithilfe unseres Origin-Green-Programmes weiter ausbauen. 

Welche Rolle spielt dabei Bio?
In diesem Jahr haben wir den ersten Bio-Manager innerhalb der Organisation ernannt. Das ist Teil der Food-Vision-2030-Strategie der irischen Regierung, die sich verpflichtet, die Bio-Produktion und -Exporte zu steigern. Bord Bia wird zudem erneut auf der Biofach präsent sein, um Irlands nachhaltigen Ruf auch vor Ort zu veranschaulichen.

Die aktuell größte Herausforderung?
Die Aufrechterhaltung einer Vielzahl weltweiter Märkte und Kanäle war und ist Schlüssel unseres Erfolgs. Da 2023 voraussichtlich erneut ein disruptives Jahr wirtschaftlicher Schwierigkeiten und herausfordernder Lieferketten sein wird, bleibt Bord Bia weiter agil. Die irische Lebensmittel- und Getränkeindustrie muss sich darüber im Klaren sein, wie deutsche Verbraucher auf die Krise der Lebenshaltungskosten reagieren, und ihre Produkte entsprechend positionieren.


 

Stimmen aus der Bio-Branche

Wir haben nachgefragt – was bewegt die Branche? 
Die Stimmen zahlreicher namhafter Hersteller:

www.rundschau.de/stimmen-der-bio-branche

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