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Die Zukunft von Bio-Marken

Verbraucher kaufen Bio, aktuell allerdings deutlich weniger Markenware. Wie positionieren sich also angesichts dessen Bio-Marken zukunftsfähig? Gemeinsam mit dem Messeduo Biofach und Vivaness nimmt Futurologe Max Thinius dazu Stellung - die RUNDSCHAU hat bei ihm nachgefragt.

Von Sibylle Menzel | Fotos: Max Thinius; AdobeStock/Alex9500

Die Ausgangslage: Auch in Zeiten der Inflation greifen Verbraucher zu Bio-Lebensmitteln, der Kaufrückgang bei Bio-Markenwaren ist allerdings deutlich. Damit stehen Bio-Marken vor der großen Herausforderung, sich zukunftsfähig aufzustellen.

Das Messeduo Biofach und Vivaness nimmt angesichts der aktuellen Entwicklungen Einkaufsverhalten und Markenloyalität unter die Lupe - gemeinsam mit Max Thinius, der vor allem die Chancen aufzeigt, die mit fortschreitender Digitalisierung einhergehen. Die RUNDSCHAU hat bei dem Futurologen nachgefragt.

RUNDSCHAU: Sie prognostizieren, dass zukünftig jede Person mehr Hoheit über die eigenen Daten haben wird. Warum ist das in diesem Zusammenhang so wichtig und von welchen Kanälen sprechen wir?

Max Thinius: Wir sprechen von allen Kanälen. Und genau das ist zunehmend ein Problem. Derzeit „spenden“ wir nämlich alle unsere Daten großen Konzernen und geben die Kontrolle ab. Es werden in unserem Alltag zunehmend mehr Daten gesammelt: Smarte Städte, smarte Arbeit, smarte Produkte, smarte Ernährung und Gesundheit etc.

Die Vielfalt und Vielzahl dieser Daten dürfen nicht in der Hand einiger weniger liegen. Das wäre eine Persönlichkeitskontrolle. Deshalb entwickelt sich das Internet weiter. In dieser Weiterentwicklung wird es Datensilos für Menschen, Produkte, Unternehmen geben. Sprich: Jeder behält seine Daten für sich und gibt sie nur noch gezielt frei.

Man nennt das tatsächlich derzeit auch „Metaverse“. Das Metaverse hat nichts mit lustigen Avataren oder Kunstwelten zu tun, sondern organisiert, dass wir Daten selbst besitzen und damit genauso bewusst agieren können wie heute mit Geld.

Kurzum: Wir werden mit Daten und damit auch mit unseren Algorithmen so umgehen wie derzeit mit Geld und es auch selbst verwalten.

Und wenn wir mit Daten wie mit Geld umgehen, hat das Folgen...

Wir werden mit Daten mehr Werte in unserem Alltag abbilden können. In der heutigen industriellen Struktur funktioniert vor allem der monetäre Wert, da es der Einzige ist, den wir erkennen können.

Wenn über Daten auch Werte wie lokale Produktion, Nachhaltigkeit, soziale Verträglichkeit, dargestellt werden können, werden wir eine mehrdimensionale Werteskala haben und der monetäre Wert wird nicht mehr der Einzige sein.

Dann können wir zunehmend entscheiden, welcher Wert uns am wichtigsten ist. Das können wir heute zwar auch schon, aber zukünftig sehen wir dann direkt während unserer Handlung welchen Wert wir damit unterstützen. Wir bekommen also eine direkte Resonanz.

Diese direkte Resonanz wird unser Verhalten maßgeblich beeinflussen, da ich auf dem Smartphone sehen kann, was ich mit der Welt anstelle und was die Welt bzw. die von mir konsumierten Produkte mit mir anstellen. Ich vermute oder glaube das dann nicht mehr nur, sondern ich sehe es.


   

 

 

Um Kunden zu erreichen, sollten Marken digitale Möglichkeiten zur Markenbindung finden und nutzen. Wie wird das zukünftig aussehen?

Digital heißt zunächst einmal, wir begeben uns nicht nur in das Zeitalter der „Digitalisierung“, sondern in die Digitalität. Das heißt: Digitalisierung plus Realität. Sprich, das Digitale wird sich zunehmend mit unserem Alltag vernetzen.

Dabei werden Daten zunehmend mit anderen vernetzt, also zum Beispiel mit smarter Gesundheit, smarter Ernährung, einer wertebasierten Lebensqualität. Ein Beispiel:

Stellen wir uns den Hersteller von Turnschuhen vor, der Trail-Running-Schuhe verkauft. Mit Hilfe eines Codes am Schuh kann ich diesen mit meinem Social-Media-Profil verbinden. Darüber bekomme ich die besten Strecken weltweit angezeigt, wo ich in Trails meine neuen Schuhe nutzen kann. Und dazu Restaurants, in denen ich die Ernährung bekomme, die meinem Lebensstil und den Daten meiner Gesundheits-App und meinen Zielen für Lebensqualität entsprechen. Solche Szenarien sind nicht mehr weit, sie passieren bereits heute.

Und wenn es um die Produkte geht? Was werden Marken dem Kunden bieten?
Ganz einfache Möglichkeiten gibt es bereits heute über Daten, Informationen, Videos, oder Texte, die ich aufrufen kann, wenn ich mich online über Produkte informiere oder von Verpackungen scanne. Sie sind aber nur der Übergang. Wir leben im Übergang zum Zeitalter der Digitalität, in dem zunehmend Daten aus verschiedenen Quellen unsere Interaktion mit Marken steuern werden.

Das wird sogar so weit gehen, dass „Marken“ nicht mehr nur vom Markeneigener, sondern auch von den Nutzern mitgestaltet werden. Das ist deshalb interessant, da die Marke sich damit weniger Fehler leisten kann, da sie immer im direkten Zusammenhang mit den Konsumenten auftritt. Hier entstehen weitere Wertesysteme. Werte werden also vielfältiger und wichtiger. Wohl dem, der heute schon welche hat.

Sie sehen mit der Digitalisierung zwei große Potentiale für die Bio-Branche entstehen: 1. Können Hersteller ein höheres, datenbasiertes Verständnis über Verbraucher erlangen und daraus 2. ihre Entwicklungen ableiten. Wie ist das zu verstehen?

Wie schon gesagt, Verbraucher selbst bekommen durch Daten wieder mehr Resonanz über ihre Handlungen. Die müssen nicht mehr kiloweise Bio-Obst und -Gemüse essen und sich dann fragen: „Und? Was habe ich jetzt am Planeten verändert? Ich seh nix!“ Sie werden vielmehr ohne Zeitverzögerung sehen, ob mit ihrer Handlung der grüne oder rote Ring auf ihrem Smartphone oder ihrer Uhr zunimmt.

Damit bekommen Verbraucher zunehmend immer mehr Hintergrunddaten, die immer weiter mit anderen Daten vermengt den direkten Einfluss ihres Handels auf die Welt zeigen – aber auch den direkten Einfluss, den die Welt und ihr Handeln auf ihre eigene Gesundheit nimmt.

In diesem neuen Narrativ werden sich Produktentwicklungen, Marketingstrategien, Vertrieb, aber auch Distribution, Intermediäre, Bewusstsein und alle anderen denkbaren Parameter anpassen.

Und präventiv entsteht daraus eine vollkommen neue Bezugsebene zwischen Marken und Verbrauchern. Das wird so weit gehen, dass wir per Algorithmus immer genauer sehen können, welche Produkte wir an welchem Ort in welcher Quantität und Qualität zur Verfügung stellen können. Das wird zu einer bedeutenden Abnahme von Verschwendung führen, zu frischeren Produkten – aber eben auch zu neuen Vertriebs-, Marketing- und Geschäftsmodellen.

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