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Blickwechsel in der Kundenkommunikation

Von der breit gestreuten Botschaft zu maßgeschneiderten Ansätzen: Völlig losgelöst von der breiten Masse setzen Marketingkampagnen und die Kundenkommunikation heute auf gezielte und personalisierte Strategien - mittels Apps, Instagram & TikTok.

Von Karina Caspers | Fotos: Aldi Nord

Waren Sie auch schon in Patata? Sicherlich. Denn die Markenkampagne von Aldi Nord mit Sänger Alexander Marcus ist ein viraler Hit. Der Song ein Ohrwurm, das Video trashig – die Kommentare der Online-Community großartig. Kurz: Ein Marketing-Coup der Extraklasse. Besonders deutlich wird das, wenn man sich die Kommentare auf YouTube und Instagram genauer anschaut. Denn die besungene Frische von Obst und Gemüse finden die Kunden auch in den Märkten wieder, so zumindest die überwiegende Meinung der Follower. 
 
Begeisterte Kunden – genau das soll mit einer erfolgreichen Kundenkommunikation erreicht werden. Im digitalen Zeitalter bieten sich dafür unzählige Möglichkeiten. Den richtigen Media-Mix für ein Unternehmen auszuwählen wird jedoch immer komplizierter. Zumal sich in der Welt des Marketings der Fokus zunehmend weg von der Massen-Message hin zur individuellen Kundenansprache verschiebt. Diese Entwicklung spiegelt sich etwa in den innovativen Strategien großer Einzelhandelsunternehmen wider. Ein Beispiel hierfür ist die fortschreitende Hyperpersonalisierung, bei der die Bedürfnisse und Vorlieben jedes einzelnen Kunden im Mittelpunkt stehen. 


50 % kaufen mehr wegen Apps. Fast jeder Zweite (47 %) wählt Produkte nach Produktvorschlägen der App aus.

Quelle: Unternehmensberatung Simon-Kucher


Einen radikalen Schritt wagte Rewe vor rund sieben Monaten mit der Abschaffung der Papierprospekte. Fast 25 Millionen verteilte das Unternehmen zuletzt jeden Samstag. Am 1. Juli 2023 war Schluss damit. Gefragt nach dem Fazit, sagt Peter Maly, Mitglied des Rewe-Vorstands und COO: „Wir verzeichnen weiterhin eine positive stabile Geschäftsentwicklung mit einer Umsatzentwicklung, die über Vorjahr liegt. Auch bei der Kundenentwicklung sehen wir nach der Einstellung des Handzettels bis jetzt keine signifikanten Veränderungen.“ Der eben veröffentlichte Geschäftsbericht (siehe S. 8) bestätigt seine Aussage. 


"Wir sind jetzt in der Lage, unsere Kundenansprache viel flexibler, variantenreicher und individualisierter über viele Kanäle auszuspielen."

Peter Maly, COO Rewe Position


Was Kunden-Apps können

Rewe-Kunden können sich über die Rewe-App, online auf rewe.de, über den Newsletter oder via WhatsApp über die Angebote erkundigen. Peter Maly betont: „Wir testen kontinuierlich den optimalen Medien-Mix, das heißt, wir sind jetzt in der Lage, unsere Kundenansprache viel flexibler, variantenreicher und individualisierter über viele Kanäle auszuspielen.“ Eine besondere Funktion schreibt er dabei der Rewe-App zu. Darüber hinaus kündigte Rewe-CEO Lionel Souque auf der digitalen Jahrespressekonferenz für 2025 ein besonderes Kundenbindungsprogramm an. Wie das genau aussehen wird, durfte er aus juristischen Gründen noch nicht verraten. Eine wichtige Rolle dabei spielt sicherlich das Ende der Partnerschaft mit Payback. Das Punktesammeln wird dann nur noch über die Rewe-App (bzw. Penny-App) möglich sein. Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung individualisierter Omnichannel-Kommunikation. 

Was beinhaltet die moderne Kommunikation genau? Bei einer großen Supermarkt-Kette könnte das Szenarium wie folgt aussehen:

  1. Online-Shopping: Kunden können online Lebensmittel bestellen und ihre Einkäufe entweder in der nächsten Filiale abholen oder nach Hause liefern lassen.
  2. Kundenkonto: Kunden haben ein Online-Kundenkonto, das mit ihrem Einkaufsverlauf, ihren Präferenzen (etwa Vegan) und ihrem Treueprogramm verknüpft ist.
  3. Mobile App: Die Supermarktkette bietet eine mobile App an, über die Kunden Produkte suchen, Angebote anzeigen, Einkaufslisten erstellen und ihre Bestellungen verwalten können, so wie etwa die Rewe-App.
  4. Live-Chat: Auf der Website steht ein Live-Chat zur Verfügung, über den Kunden Fragen zu Produkten oder Bestellungen oder allgemeine Anfragen stellen können. Mithilfe von KI passiert das mittels eines Chat-Bots. 
  5. Soziale Medien: Die Supermarktkette ist aktiv auf verschiedenen Social-Media-Plattformen. Patata von Aldi Nord ist ein Beispiel. Ein anderes ist Kaufland. Hier werden nicht nur die eigenen Plattformen beim Ausspielen des Contents genutzt, sondern auch die von Testimonial Jens Knossalla alias Knossi und den „drei Engeln“, Moderatorin Lola Weippert, Twitch-Streamerin Fibi Pfeifer alias „Fibii“ und Fashion-Creatorin Emilia Bartoeck. Ein klares Reichweiten-Plus. Auf diesen Plattformen kann zudem schnell auf Kundenanfragen reagiert werden. Zudem teilt das Unternehmen hier Angebote wie Veranstaltungen und ermöglicht es seiner Kundschaft, direkt über diese Kanäle zu interagieren.
  6. Kundenservice-Hotline: Es gibt eine Kundenservice-Hotline, über die Shopper Hilfe bei Problemen mit ihren Bestellungen, Fragen zu Produkten oder anderen Anliegen erhalten können. Rund um die Uhr.
     

INFO

Digitales Marketing

Fast zwei Drittel der Deutschen ab 18 Jahren haben mindestens eine Supermarkt-App auf ihrem Smartphone installiert. Preisvorteile und Loyality-Programme sind dabei der klare Treiber: 74 % der Nutzer lösen in der App verfügbare Coupons oder Zusatzrabatte ein, 57 % nutzen sie zum Sammeln von Treuepunkten.

54 % der 18–29-Jährigen und 46 % der 30–44-Jährigen sagen, dass sie im letzten Monat YouTube genutzt haben. Unter den 45–54-Jährigen sind es immerhin noch 43 %, in der Altersgruppe ab 55 Jahren nur noch knapp jeder Dritte. 

Während fast zwei Drittel der 18–29-Jährigen und knapp mehr als die Hälfte der 30–44-Jährigen Instagram im letzten Monat genutzt haben, sind es unter den 45–54-Jährigen nur 38 %, unter den Personen ab 55 Jahren nur 22 %. Snapchat und TikTok hat im letzten Monat rund jeder dritte 18–29-Jährige genutzt.

Quelle: YouGov


 

Produkte hyperlocal bewerben

Was alle Kaufleute besonders freut: Die Erfolge sind messbar. Ein Beispiel: Offerista. Das Shopper Marketing Network bietet individuell ausgerichtete, digitale Lösungen für standortbasiertes Angebots- und Filialmarketing. Mit Cross-Channel-Kampagnen werden Werbebotschaften reichweitenstark über verschiedene nutzerrelevante Kanäle transportiert. Marken können Konsumenten so neugierig auf Produkte machen und sie damit zum Kauf in der Filiale bringen. Eine Form der Kommunikation sind dabei digitale Prospekte verschiedener Supermarktketten. Diese können auf über 1.400 verschiedenen Plattformen (etwa focus.de, chefkoch.de, Bring!-App) ausgespielt werden.

Zudem bietet Offerista Content für einzelne Produkte auf Social Media an. Und das hyperlocal. Um ein fiktives Beispiel zu nehmen: Ein Lebensmittelfabrikant möchte den Abverkauf eines neuen Produkts in einer bestimmten Region testen. In einer speziellen Zielgruppe. Das Offerista-Team um Geschäftsführer Benjamin Thym nutzt dann genau die benötigten Datensätze, um die Abverkaufsquote an vorher genau festgelegten Supermärkten zu pushen. Der Erfolg der Kampagne wird exakt dokumentiert. Ein Abverkaufsplus von 15 bis über 100 Prozent soll so möglich sein. 

In vielen Unternehmen – ob LEH oder Industrie – wird derzeit heftig diskutiert, welche Kanäle man wie mit welcher Art Content füllen möchte. Sebastian Huber, Prokurist und Digitalexperte bei Edeka Fanderl, sagte dazu im RUNDSCHAU-Interview: „Wir denken, wenn wir es in dieser Art bei der digitalen Kommunikation übertreiben, passt das nicht zu uns. Die Kunden würden sich eher wundern, wenn wir zu viele sozusagen lustige Videos posten würden. Auch wenn man über moderne Medien kommuniziert, sollte man bei sich bleiben. Die Werte und Prinzipien, für die man steht, sollte man nicht komplett über Bord werfen und sich nicht an alles anpassen. Die Kommunikation muss zum Unternehmen passen. Wir lassen die Mitarbeiter nicht im Markt rappen, da sind wir ein bisschen konservativer unterwegs.“

Dabei spricht er einen wichtigen Punkt an: Authentizität ist von höchster Relevanz, wenn man sich auf den Social-Media-Plattformen bewegt. Das beweist auch die Gewinnerin des RUNDSCHAU YOUNGSTAR Awards 2024, Irem Aydemir. Sie präsentierte etwa auf dem Instagram-Kanal von Edeka Egert in Selb zum 1. April die erste pinke Ananas. Solche Aktionen einzelner Händler sind natürlich kein Reichweiten-Booster, sie sind aber ein regionaler Ansatz der Kundenbindung. Anders sieht es auf Konzernebene aus. Um den zig Millionen hohen Media-Etat des Handelskonzerns (Edeka und Netto) soll es gerade einen heißen Pitch geben.

Die Verbreitung von Content auf verschiedenen Social-Media-Kanälen in unterschiedlichen Formen hat mehrere Gründe. Erstens schafft sie eine größere Reichweite und Präsenz, um verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Zweitens bietet sie Vielfalt in der Ansprache. Drittens erfolgt ein vielfältiges Kundenengagement. Viertens ermöglicht sie die Personalisierung des Contents, um eine stärkere Bindung zu einzelnen Kunden aufzubauen. Insgesamt trägt die Nutzung verschiedener Social-Media-Kanäle und -Formate dazu bei, eine effektivere und ansprechendere Hyperpersonalisierung zu erreichen.

Wie das am besten funktioniert? Einfach mal ausprobieren, ist ein Satz, den man bei der Erstellung von Social-Media-Content häufiger hört. Diese Erfahrung machte auch Hannah Thieser, Senior Brand & Digital Communication Managerin: „Wir bei Original Wagner sind stolz darauf, bereits seit 2020 zu den Vorreitern auf TikTok zu gehören. Als eine der ersten Brands wagten wir uns auf die Plattform. Das natürlich nicht ganz ohne jegliche Bedenken und Unsicherheiten. Dennoch haben wir uns bewusst für den Ansatz des ,Testens und Lernens‘ entschieden.“ 


"Als Marke müssen wir da sein, wo unsere Zielgruppe ist. Und zwar sowohl mit Werbung als auch mit Inhalten."

Astrid Kloos, Business Executive Officer Cereal Partners Worldwide, North Cluster


Mit TikTok zum Sales Lift

Ähnlich sieht das Astrid Kloos, Business Executive Officer, Cereal Partners Worldwide bei Nestlé. Sie ist unter anderem verantwortlich für die Marke Cini Minis, in Deutschland mit einem eigenen Kanal auf TikTok präsent: „Unabdinglich ist, die eigene Zielgruppe genau zu kennen. Im nächsten Schritt kommt es darauf an, sie innovativ und kreativ anzusprechen und dabei den Bogen zwischen der Marke, dem Publikum und dem Kanal zu schlagen.“

Die Zahlen belegen den Erfolg: Mit einer Reichweite von 6,2 Millionen Nutzern konnte eine Zwei-Sekunden-View-Through-Rate von 18 Prozent generiert werden (Benchmark: 14,5–18,5 %). Bei der Anzeigenerinnerung wurde der Benchmark von 8,2 Prozent mit 0,7 Prozent übertroffen. Auch die Umsatzwirkung konnte mit einem Sales Lift von 3,6 Prozent erreicht werden (Quelle: TikTok).

KI bringt noch mehr Kundennähe

Wie sich das Thema Hyperpersonalisierung in Zukunft entwickeln wird, war auch Thema bei den 23. Tessiner Innovationstagen. Wirtschaftsjournalist Constantin Gillies wie auch Tom Streefkerk von Colordruck W. Mack GmbH & Co. KG gaben interessante Einblicke. Die Möglichkeiten des Digitaldrucks zeigte Streefkerk anhand eines Verpackungs-Best- Practice-Case von Storck. Zum 50-jährigen Jubiläum von Toffifee im vergangenen Jahr konnten Verbraucher ihren Namen auf das Produkt drucken lassen.

Was daraus mit der Unterstützung von ChatGPT 4.0 und Dall-E 3 möglich ist, demonstrierte Constantin Gillies. Anhand der Vorlieben auf seinem Instagram-Profil ließ er das KI-Tool eine hyperpersonalisierte Packung generieren. Sein Faible für Star Wars und Technik der 1980er-Jahre wurde darauf genauso verewigt wie sein Name und eine stilisierte Praline. Dafür waren lediglich ein paar Promps notwendig. Interessant: Die Funktion von ChatGPT 4.0 beinhaltet neben dem Text- nun auch eine Bildgenerierungs-Tool. „Die KI bekommt Augen und Ohren“, so nennt Constantin Gillies die rasante Weiterentwicklung der KI. 

Zudem kann GPT 4.0 den Kühlschrankinhalt scannen und daraus Rezeptvorschläge entwickeln. Ein nächster Schritt wäre die automatisierte Erstellung einer Einkaufsliste in der App einer Supermarktkette. Hier schließt sich der Kreis zu der am Anfang ausgeführten hyperpersonalisierten Omnichannel-Kommunikation. Denn aufgrund der Verknüpfung mit den Kundendaten könnten die Produkte sofort gekauft, bezahlt und geliefert werden. Eine perfekte Customer Journey. Über eine Standortermittlung, ähnlich wie bei der Nutzung von Google Maps, kann der Lieferdienst zudem eine Vorkehrsage über die Erreichbarkeit des Shoppers in seiner Wohnung treffen. Mehr Kundennähe geht nicht.


INTERVIEW

Sahra Al-Dujaili, Group Vertical Director Consumer Goods bei TikTok

Was sollten Marken bei der TikTok-Kommunikation beachten? Wo lauern Fallen und was geht gar nicht? 
Das Besondere an TikTok ist, dass – anders als bei anderen Plattformen – die Inhalte und nicht die Anzahl der Follower im Mittelpunkt stehen. Kommt ein Inhalt gut an, kann ein Video viral gehen, auch wenn ein Unternehmen gerade erst neu auf der Plattform ist. Die Community schätzt somit Eigenschaften wie Ideenreichtum, Persönlichkeit und Authentizität, aber fordert diese auch konsequent ein.

Am besten nutzen Unternehmen TikTok daher zunächst selbst und lassen sich von bestehenden Inhalten inspirieren, um daraus eigene Content-Ideen zu entwickeln. Zudem spielen Interaktion und Austausch eine ebenso entscheidende Rolle. Dabei sollten Marken auf Augenhöhe kommunizieren und nicht Top-Down. So gelingt es, eine wertschätzende und dauerhafte Beziehung zur Community aufzubauen. 


 


INTERVIEW

Maike Abel, Digital & Corporate Marketing Director, Nestlé Deutschland

Wie groß waren die Bedenken, auf TikTok aktiv zu werden? 
Wie alle anderen Werbetreibenden haben wir TikTok mit dem Markteinstieg in Deutschland natürlich auch erst mal kritisch beobachtet und haben zunächst mit eigenen TikTok-Profilen unserer Marken im kleinen Rahmen getestet und gelernt. Parallel hat unser TikTok-Team an einer Brand-Safety-Lösung gearbeitet – also an einem Mechanismus, mit dem wir sichergehen, dass unsere Werbung bei TikTok nicht etwa in einem unpassenden Umfeld erscheint. Sobald dieser unseren Anforderungen entsprach, sind wir aktiv geworden.

Auf wie vielen Beinen muss Markenkommunikation heute stehen, um allen Zielgruppen gerecht zu werden? 
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kampagnen mit einem breiten Medienmix (zwei Kanäle und mehr) am erfolgreichsten für uns arbeiten. Hierbei setzen wir eher auf einen längeren Kampagnenzeitraum mit durchschnittlicher Kontaktfrequenz. 

Welche Relevanz haben klassische Print- oder TV-Kampagnen?
Print hat für manche unserer Marken nach wie vor eine Berechtigung, ist aber im übergeordneten Medienmix sehr stark rückläufig. TV ist für uns nach wie vor eine stabile Säule, wobei wir immer weniger von einer reinen TV-Planung, sondern eher von einer integrierten Bewegtbildplanung (analog und digital) sprechen.
 

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