Die Ernährung der Zukunft: Wie sieht sie aus?
Die Situation in Deutschland ist nicht gerade berauschend: Man spricht wieder vom kranken Mann. Zum Teil gefühlt, aber auch gemessen haben Konsumenten weniger Geld für Ernährung zur Verfügung. Das könnte zur Rückkehr von alten Mustern führen: viel, schnell, billig. Wieder Preisschlachten, weniger Rücksicht auf die Natur, auch Kompromisse bei der Qualität. Für einen epochalen Wandel spricht, dass wohl bald nicht mehr prestigeträchtige Automarken die wichtigsten Exportartikel sind, sondern die Discounter Aldi und Lidl.
Wovon sind wir noch am weitesten entfernt?
Das Umweltbewusstsein ist der große Verlierer. Theoretisch ist es zwar gestiegen, aber das konkrete Verhalten und die Infrastrukturen hängen weit zurück. Es gibt vier Typen: die unfreiwillig Frugalen, die verzichten müssen; dann die konsumfreudigen Resistenten, die einfach weiter konsumieren, als wäre in den letzten Jahren nichts passiert. Drittens die lokal und regional orientierten Konsumenten. Schließlich die Ökokosmopoliten, die mit Ernährung die Welt retten wollen, wie wir sie insbesondere im gehobenen urbanen, grün-linken Lager antreffen.
Wie sieht es mit der Entwicklung diverser Ernährungsstile aus?
Nicht vergessen: Lebensmittel sind Medienmittel. Sehr vieles verdankt sich heute den sogenannten Narrativen: Wer bestimmt eigentlich die Inhalte unserer Diskussionen um die richtige Ernährung? Das Gesundheitsbewusstsein hat zugenommen. Gut so. Aber die Narrative sind oft getrieben von reiner Ideologie: Angstmache, Moralisierung, Vorschriften. Salz, Zucker und Fett kennen wir. Praktisch alle westlichen öffentlichen Institutionen dämonisieren jeglichen Alkoholkonsum als per se toxisch. Am penetrantesten die WHO. Kanadas offizieller Führer für Alkohol und Gesundheit will null Drinks pro Woche. Dabei ist der Trend bei Alkohol längst in fast allen entwickelten Ländern seit etwa Mitte der Nullerjahre rückläufig. Es werden populistisch Fakten geschaffen, die keine sind.
Apropos Medienwelt: Inwiefern bestimmt sie die Ernährung von Gen Z ?
Die Beziehungen zur Ernährung sind viel abstrakter geworden – nicht mehr über konkreten Umgang und tradierte Erkenntnisse von Produkten, sondern über mediale Gesundheitsinformationen und Beeinflussung durch Social Media. Das Wichtigste für die Gen Z wäre, auf Bauernhöfen ein Praktikum zu machen, um Erde und Bodenqualität kennenzulernen. Ich habe heute noch beste Erinnerungen an mein Bauernhofpraktikum.
Stichwort Ernährung und der Einsatz von künstlicher Intelligenz: Sehen Sie Vorteile für Konsumenten?
Wir erwarten immer mehr von der Technologie, immer weniger von uns Menschen. Es ist bequem, wenn man viel automatisieren kann – wir sind ja gerne faul. KI kann toll sein, wenn ihr Einsatz die Lebensqualität der Kunden verbessert: nicht immersiv, nicht penetrant, sondern wenn sie zum Beispiel meine Lieblingsprodukte ankündigt, die gerade rabattiert sind, oder respektvoll auf Innovationen hinweist, die in meinem Interessenkreis liegen. Wer übertreibt, wird bestraft. Ich sehe überall eine Rache des Analogen kommen: Weil immer mehr digital bestellt wird, will selbst der neue Starbucks-Chef wieder mehr „human“ kommunizieren; der Barista soll wieder meinen Namen per Stift auf den Becher kritzeln, und wer in Ruhe vor Ort Kaffee trinken will, soll eine edle Keramiktasse erhalten.
Welche Anforderungen stellen die Entwicklungen an den LEH?
Der Kampf der Formate wird zunehmen. Kleinst-, Klein- und Großflächen. Standorte. Jeder will Nahversorger sein. Bis zu einem gewissen Maß kommt die Konvergenz der Formate nun noch schneller. Marken und gut harmonierende Teams werden den Unterschied machen.
David Bosshart
ist als Trend- und Handelsforscher weltweit tätig. Er wechselt sich hier mit Martin Fassnacht, Stefan Grünewald und Florian Klaus ab. www.davidbosshart.com