Artikel

ForscherAuftritt David Bosshart: Essen, immer und überall

In der westlichen Wohlstandswelt ist man der Meinung, Tierisches durch pflanzenbasierte Alternativen ergänzen oder gar ersetzen zu müssen, sagt David Bosshart. Für den Trendforscher ein Weg mit Widerhaken.

David Bosshart, Trendforscher, Executive Advisor, langjähriger Direktor Gottlieb Duttweiler Institute. Foto: GDI, Sandra Blaser
Von Sibylle Menzel | Fotos: GDI, Sandra Blaser

Der Ernährungswandel hin zu mehr pflanzenbasierten Lebensmitteln ist das Foodthema unserer Zeit. Eine Transformation der Lebensmittelwelt ist das eine. Als Schlüssel für einen Wandel sehen Sie zudem das menschliche Verhalten. Was meinen Sie damit?
Einerseits verdanken wir der modernen, industrialisierten Ernährung enorm viel, wie etwa die Haltbarkeit oder die Eliminierung des Hungers. Gleichzeitig haben wir kluge, zum Teil über Jahrhunderte überlieferte Regeln ausgeschaltet. Statt unsere Beziehung zu Lebensmitteln mit Respekt und aus Mangelerfahrung zu gestalten, kennen wir heute nur noch Überflusserfahrung und Sofortverfügbarkeit zu billigen Preisen. Dass man etwa regelmäßig fastet, Brot nicht wegwirft, Reste wiederverwertet oder am Freitag kein Fleisch isst, wird weggeblendet.

Diese Haltung – neudeutsch Mindset – wurde ersetzt durch Zeitgeistprodukte. Wenn wir staatliche Bevormundung mit immer mehr willkürlichen Verboten verhindern wollen, muss das Verhalten geändert werden. Aber hier sind wir in der Preisfalle: Pflanzenbasierte Ernährung ist teuer, vor allem wenn wir mehr Frische verkaufen wollen. Und tragischerweise vom Kalorienbedarf her viel teurer als Fleisch. Und ob die industrialisierten Ersatzprodukte auch gesund sind, kann man noch nicht nachweisen. Warren Buffet hat einst gesagt, er investiere in McDonald’s, weil es die effizienteste Maschine des Proteinvertriebs sei.

Sie sprechen auch von „Killer-Apps“ ‒ von Faktoren, die einer „besseren“ Ernährungsweise entgegenstehen. Was fällt darunter?
Getrieben durch verständlichen Wachstums- und Innovationsdruck haben wir das Gefühl, das Neue sei immer besser als das alte. Fakt ist, dass gerade die ungesunden Produkte und Schnellstverpflegung global am stärksten wachsen. Fast Food, Convenience Food, ultraprozessierte Lebensmittel, also Marketingprodukte, die gar nicht mehr als Lebensmittel deklariert werden dürften. Sie dienen einzig dem Mehrkonsum oder Überkonsum.

Menschen sind Gewohnheitstiere und brauchen stabilisierende Rituale. Sonst sind sie verloren. Formelhaft gesagt: Wir essen immer und überall. Öfter zu viel und allein. Und ungesund. Dass man zwischendurch auch mal auf den Putz hauen darf, versteht sich von selbst. Aber dass wir überall Ernährungs- und Gesundheitsberater brauchen, die ständig ihre Meinung dem Zeitgeist anpassen, spricht Bände. 

Das Gegenteil davon wäre ein vernünftiger Umgang mit Ernährung?
Wir verpolitisieren heute auch die Ernährung und machen aus allem eine Ideologie. Lokale Lebensmittel war einst im Ansatz ein vernünftiger Trend, heute ist er vielfach nur noch Marketing. Ein Zweisternekoch im Südtirol hat mir einmal gesagt, so viel Regional, wie wir hier anbieten, haben wir gar nicht. Immerhin sichert Lokal auch regionale Wertschöpfung ‒ ein starkes Argument. Im Ernährungschaos der Überinformationen muss man die Basics kennen. Es genügen Checklisten als Orientierungshilfen: Iss Lebensmittel. Nicht zu viel. Zumeist Pflanzen. Was Michael Pollan hier gesagt hat, genügt eigentlich. Wir brauchen günstige, gute Lebensmittel. 

Welche Institutionen können die Transformation wie begleiten?
Alle, die nicht im Übermaß nur ihre eigenen engen Interessen vertreten. In der Wertschöpfungskette können alle, von den Verbänden und der Landwirtschaft über die Herstellerstufen bis zu den Händlern, etwas dazu beitragen. Gute Werbung zum Beispiel ist eigentlich die Kunst der lustvollen Verführung – heute ist es eher technokratische Trickserei mit KI. Als Schweizer setze ich immer noch auf Eigenverantwortung und Selbstachtung. Wo wir zu viele Vorschriften, Beratungen und Betreuung brauchen, kommt es nicht gut. Sollte ich mich nicht schämen, wenn ich im Gehen ein Sandwich esse, das Handy bediene und dann das halbe Sandwich als Abfall wegschmeiße?


David Bosshart

ist als Trend- und Handelsforscher weltweit tätig. Er wechselt sich hier mit Martin Fassnacht, Stefan Grünewald und Florian Klaus ab. www.davidbosshart.com

Artikel teilen

Immer gut informiert