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ForscherAuftritt David Bosshart: „Menschen lieben Rituale“

Auch in Zeiten der Inflation wird das Festtagsgeschäft durchaus lukrativ bleiben, ist sich Handelsforscher David Bosshart sicher. Und er erklärt, warum Unternehmer mehr denn je gefragt sind.

David Bosshart Trendforscher, Executive Advisor, langjähriger Direktor Gottlieb Duttweiler Institute (Foto: GDI Gottlieb Duttweiler Institute; Sandra Blaser)
Von Sibylle Menzel | Fotos: GDI Gottlieb Duttweiler Institute; Sandra Blaser

Die Festsaison steht vor der Tür – was denken Sie, wie steht es um den gewohnten „Konsumrausch“?
Rausch nicht mehr, aber man wird sich immer noch etwas gönnen. Menschen lieben Rituale, und die Festtage sind hochritualisiert mit Geschenken, Einladungen, Einkaufsgewohnheiten. Da mache ich mir keine Sorgen, auch wenn die Umsätze inflationsbereinigt wohl nicht mehr das übliche Niveau erreichen.

Händler müssen kreativer werden und die Seelenlage der Kunden richtig verstehen lernen. Liest man die Medien, so ist Deutschland unnötigerweise ein Land der Hysteriker und Apokalyptiker geworden – leider tut die Politik das Ihre dazu, um den Trend zu verstärken. Angst ist nie ein guter Ratgeber. Man muss gerade an den schönen Festtagen, die ja Zeiten der Besinnlichkeit und der gegenseitigen Wertschätzung sind, den Menschen zeigen, dass wir für sie da sind.

Während der Pandemie lagen „Trostprodukte“ hoch im Kurs – was ist nun, wenn man sich die aber auch nicht mehr leisten kann? 
In solchen Zeiten suchen Menschen Komfort und Verstärkung positiver Gefühle eher im Familiären, im Vertrauten, also der Wiedererinnerung an vermeintlich gute alte Zeiten. Zu viel Unvertrautes geht nicht. Eine kleine Drehung kann genügen, wie mit der Neuinterpretation eines bekannten Weihnachtsrezepts. Das Gute muss nicht teuer sein, aber kann nur selten billig sein, das ist schon richtig. 

Es bleibt also im Grunde bei der Frage, wie sich die eher subjektiv empfundene Situation beim Verbraucher entwickelt, dass er sich noch etwas leisten kann? 
Durch die tiefen Zinsen oder gar Negativzinsen und billiges Geld ist uns allen die Inflation nur noch als theoretisches Konstrukt bekannt. Dazu kommen aber die oft vergessenen psychologischen und verhaltensökonomischen Faktoren: Die Verbraucher haben keine emotionalen Erfahrungen mehr damit, was es heißt, wenn Preise plötzlich und auf unbestimmte Zeit steigen.

Das gilt auch für die nunmehr älteren Verbraucher, aber noch viel mehr für die jungen Menschen. Dummerweise und tragischerweise kommt jetzt die Inflation noch zu einem Zeitpunkt, an dem wir endlich die Pandemie loshaben wollten. Auch wenn sie wieder gerne Geld ausgäben und gerne Konsum aller Art genießen wollten, mit den steigenden Ungewissheiten dürfte der Zeithorizont der Verbraucher kürzer und kürzer werden, und damit das Verhalten viel launischer.

Für eine angemessene Einschätzung des künftigen Kundenverhaltens bräuchten wir Echtzeitdaten, die quantitativ und qualitativ kontinuierlich erhoben werden müssten. 

Ein Ende aller Krisen in 2023 ist nicht sehr wahrscheinlich. Gibt es auch positive Aspekte, die aus allem hervorgehen könnten? 
Gewinnen Sie all den Veränderungen das Positive ab! Gewinner von morgen lernen kontinuierlich und setzen um, experimentieren und diskutieren, was man besser machen kann. Wenn du glaubst, dass du die Welt nicht verändern kannst, ändere die Art, wie du sie betrachtest. Verlierer beklagen sich und suchen die Schuld bei anderen.

Ich sehe die vielfältigen Krisen als Katharsis, als überfällige Reinigung – man kann alten Ballast abwerfen. Was brauchen wir wirklich, um glücklich zu sein, uns wohlzufühlen und Menschen zu bedienen? Das ist immer mehr als das, was man mit Geld berechnen kann.

Es ist natürlich nicht einfach, sich einzugestehen, dass die alte Welt nicht mehr funktioniert, die jahrelangen Erfolgsrezepte hinterfragt werden müssen. Aber die alte Zeit kehrt nicht zurück. Sie ist definitiv in der Vergangenheit deponiert worden. Wenn Sie so wollen: Zum Wandel gehören Mut und Demut, Anerkennung der eigenen Beschränktheit, aber auch Überzeugung und Lust, etwas Neues umzusetzen. Also sind wir am Ende wieder beim Unternehmer, den wir mehr denn je brauchen. 


David Bosshart

ist als Trend- und Handelsforscher weltweit tätig. Er wechselt sich hier mit Martin Fassnacht, Stephan Grünewald und Florian Klaus ab. www.davidbosshart.com

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