Kunden sind durch die Krisen in der Welt zunehmend verunsichert. Was bedeutet das für den Handel, wie soll er reagieren?
Kunden erwarten in unsicheren Zeiten vor allem Verlässlichkeit. Im Handel heißt das: Produkte müssen verfügbar, Preise moderat steigend bzw. stabil und das Einkaufserlebnis muss unkompliziert sein. Wenn Basisleistungen nicht erfüllt werden, wächst die Verunsicherung weiter. Funktionaler Nutzen – also die verlässliche Erbringung der Kernleistung – steht für Kunden stärker im Vordergrund.
Das klingt etwas profan?
Ganz im Gegenteil, das ist alles andere als profan. In einer zunehmend digitalen Welt nimmt die Anzahl der Marken ab, mit denen Kunden relativ regelmäßig in Beziehung stehen. Der Gedanke „The winner takes it all“ gewinnt an Bedeutung. Unternehmen reagieren bereits auf die neuen Herausforderungen. Nestlé reduzierte seine Markenanzahl drastisch von 8.000 auf 2.000, Unilever fokussiert sich auf 30 Marken. Um hier eine relevante Marke aus Kundensicht zu sein, ist die Erbringung der Basisleistung unabdingbar.
Viele Unternehmen setzen auf sozial-ethischen Nutzen, indem sie beispielsweise nachhaltige Produktionsweisen hervorheben …
Sozial-ethischer Nutzen bleibt wichtig, aber er ersetzt nicht die Kernleistung eines Produkts oder einer Dienstleistung.
Wie sollten Händler ihr Angebot überdenken, wenn Kunden stärker auf Basisleistungen achten? Das Sortiment reduzieren?
Händler müssen genau prüfen, ob ihr Sortiment noch den aktuellen Kundenbedürfnissen entspricht. In unsicheren Zeiten zählt vor allem Verlässlichkeit: Wer in den Laden kommt, erwartet, dass die wichtigsten Produkte verfügbar sind. Gleichzeitig kann eine zu große Auswahl die Komplexität erhöhen – für Kunden und Händler. Sortimentsanpassungen sind deshalb sinnvoll, aber nicht um jeden Preis. Entscheidend ist, die Erwartungen der Kernzielgruppe ernst zu nehmen: Was wird wirklich nachgefragt? Was trägt zur Kernleistung des Händlers bei? Eine gezielte Optimierung kann helfen, Effizienz zu steigern, ohne das Einkaufserlebnis zu verschlechtern.
Der LEH hat lange mit breiten Sortimenten geworben. Wie kann er nun vermitteln, dass eine gezielte Sortimentsanpassung Vorteile bringt?
Händler sollten ihren Kunden klarmachen, dass eine gezielte Sortimentsanpassung ihnen nutzt. Es geht nicht darum, weniger anzubieten, sondern das Richtige verfügbar zu haben. Wer sein Angebot transparenter strukturiert und die Kernleistungen betont, schafft Vertrauen und Orientierung – genau das, was Kunden in unsicheren Zeiten suchen. Auch in der Kommunikation sollte der Handel diese Verlässlichkeit unterstreichen. Kunden müssen spüren, dass sie sich auf das Angebot verlassen können. Der Handel ist auch ein Kümmerer! Er sorgt dafür, dass die Menschen ihre Alltagsbedürfnisse zuverlässig decken können – und genau das sollte er klar kommunizieren.
Ist das wirklich eine Strategie?
Ja! Ich sehe oft, dass die für den Vertrieb und Handel essenzielle Customer Journey, also die Vorkauf- und Nachkaufphase, vernachlässigt wird. Hier verschenken Unternehmen und Einzelhändler Umsatzpotenziale! Auch fehlende IT-Investitionen in der Vergangenheit rächen sich.
Was ist nun also zu tun?
Unternehmen und Händler müssen den Fokus auf Nutzen generierende und wertschöpfende Funktionen legen. Dazu bodenständig bleiben und den gesunden Menschenverstand einsetzen. Bürokratische Hürden minimieren. Nicht nur in der Politik gibt es zu viel Bürokratie, sondern auch in Unternehmen.
Martin Fassnacht
ist Inhaber des Strategie- und Marketing-Lehrstuhls der WHU. www.whu.edu