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ForscherAuftritt: David Bosshart – „Qualität gehört die Zukunft“

Ein Discounter treibt das Tierwohlthema an – dazu hat der Executive Advisor des Gottlieb Duttweiler Institute eine klare Meinung und ist überzeugt: Der Druck steigt für alle, die auf reine Preisprofilierung setzen.

Von Sibylle Menzel | Fotos: RUNDSCHAU

Frischfleisch der Haltungsformen 3 und 4 aus dem Discount, weitere Handelsunternehmen planen ähnliche Maßnahmen, wie Aldi sie angekündigt hat. Was halten Sie davon?

Ein minimaler vorauseilender Gehorsam. Es wissen alle, dass die aktuelle Tierhaltung in Deutschland schon lange nicht mehr zeitgemäß ist. So, wie wir die Tiere behandeln, behandeln wir auch die Menschen.

Die Umstellung soll laut Ankündigungen bis 2030 erfolgen. Was sagen Sie zu dem Zeitfenster?

Es spiegelt nur das gemächliche Tempo wider, mit dem wir auch andere drängende Themen angehen: Pestizide, Zucker, tiefergreifende Landwirtschaftsreformen, Digitalisierung, übergreifende Kooperationen. Die Ankündigung gibt Zeit und Raum zum Manövrieren. Veränderungen kommen heute auch bei Lebensmitteln in Schüben: unvorhergesehen, überraschend, unvorbereitet. Wie Covid-19.

Ließe sich nicht vieles beschleunigen, würden Konsumenten noch mehr um die Zusammenhänge im Lebensmittelsystem wissen? Welche Akteure wären als Vermittler zuständig?

Wir erkennen bereits, dass Menschen, Tiere, Pflanzen und Umwelt unlösbar miteinander verbunden sind. Zuständig sind alle im ganzen Wertschöpfungsnetzwerk. Die Zeit, in der man die Schuld und die Verantwortung auf andere schieben konnte, ist längst vorbei.

Verändert das Vorhaben des Discounters auch das generelle Image von Discountern? Und schlussendlich die Einstellung der Verbraucher zum Fleischkonsum?

Die Zukunft gehört der Qualität und dem Inhalt. Sonst werden Lebensmittel weiterhin geringgeschätzt und weggeworfen. Discounter ahnen, dass der Druck gerade bei Wurst- und Fleischwaren auf alle steigt, die sich nur noch über den Preis profilieren wollen. Die besten Supermärkte haben eine stärkere Ausgangslage. Auch die Fachverbände spielen eine wichtige Rolle. Sie müssen allerdings viel innovativer werden. Letztendlich geht es um Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Wir haben in der Automobilindustrie sehr schön gesehen, wie lange man herumwurstelt und neue Gegebenheiten zwar andiskutiert und mit Ankündigungen kommt, aber die alte Denke weiterhin im Kopf mitschleppt.

Inwieweit spiegelt sich im Zuspruch für Clean-Label-Produkte der Wunsch nach verantwortungsvoller Herstellung?

Ernährung wird immer mehr von sich verbessernden wissenschaftlichen Erkenntnissen geprägt. Schön wäre es, wenn die Menschen freiwillig mit Lust und Maß konsumieren würden und Verbote verhindert werden könnten. Falls nicht, kommen im schlimmsten Falle mehr Regulierungen, und wir sind in der gleichen Situation wie mit Covid-19 von März 2020 bis Juni 2021.

Sprechen wir noch einmal über die Pandemie: Die weitere Ausbreitung der Virusmutante lässt um die gewünschte Normalität bangen. Welche Folgen erwarten Sie?

Wir werden wohl einfach die „nächste Normalität“ haben, nicht eine neue Normalität. Im besten Falle kriegen wir auch hier mit neuen Erkenntnissen und Impfungen die Situation einigermaßen unter Kontrolle. Wir leben dann von der Hoffnung, dass Covid einmal so etwas wie eine Grippe werden wird. Im schlimmsten Falle haben wir eine Plage. Es fehlen der Wille und die Entschlossenheit, die Pandemie zu eliminieren. Dazu braucht es Koordination und rasche Impferfolge im internationalen Maßstab. Stattdessen haben wir eine Mischung von Opportunisten und Egoisten, Leugnern und Ignoranten. So zerstören wir die Freiheit und bauen gleichzeitig die Sicherheit ab.

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