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ForscherAuftritt Stephan Grünewald: Überleben oder schöner leben?

Die multiplen Dauerkrisen hinterlassen bei den Konsumenten deutliche Spuren. Stephan Grünewald beleuchtet in einer aktuellen Studie deren Krisenstrategien und zeigt, was der Einkaufswagen über die Stimmung im Land verrät.

Stephan Grünewald
Von Mirko Jeschke | Fotos: Unternehmen

Herr Grünewald, tatsächlich begleiten uns mehrere großen Krisen wie Kriege, Klimawandel oder Migrationsbewegungen schon seit vielen Jahren. In einer umfassenden Studie mit Unilever hat das Rheingold Institut nun untersucht, welche Folgen dies auf das Einkaufsverhalten hat …
Die Menschen verfolgen ganz unterschiedliche Strategien, um mit diesen belastenden Situationen umzugehen. Die Hauptkrisenstrategie ist der Rückzug ins private Schneckenhaus. 93 Prozent der Befragten stimmten in unserer Studie der Aussage zu, aktuell sehr auf sich bezogen zu sein.

Welche weiteren Strategien gibt es? 
Die zweithäufigste Methode beim Umgang mit Krisen ist das Ausblenden derselben durch den Fokus auf Hobbys und Freizeitaktivitäten, worin sich ein gewisser Eskapismus ausdrückt. Weitere Strategien sind Ordnungsversuche im Kleinen, bei denen man sich z. B. ehrenamtlich betätigt und so einen Beitrag zu einer besseren Welt leisten will, oder eine besinnungslose Betriebsamkeit, bei der man sich vollends in die Arbeit oder Projekte stürzt, um sich nicht mit den großen Problemen auseinandersetzen zu müssen. Daneben gibt es Personen, die mit einer medialen Vorwärtsbewegung ständig am Puls der Zeit bleiben und von Krisen nicht kalt erwischt werden möchten. Zu guter Letzt haben wir eine Gruppe identifiziert, die jederzeit für den aus ihrer Sicht kurz bevorstehenden Untergang gewappnet sein will, dazu zählen auch die sogenannten Prepper.

Daran kann man gut erkennen, wie unterschiedlich Menschen auf Krisen reagieren. Wie manifestieren sich solche Verhaltensweisen beim Einkauf im Supermarkt?
Einkauf ist gerade in Krisenzeiten eine Art beruhigendes Selbstvergewisserungsritual. Durch die breite Auswahl der Produkte im Supermarkt bekommen Konsumenten die Chance, aktiv Selbstfürsorge zu betreiben. Zudem stellen die vollen, aufgeräumten und bunten Regale ein deutliches Kontrastbild her zu der maroden Infrastruktur in vielen Teilen der Republik. Wir unterscheiden im Verbraucherverhalten zwei Modi: Im „Überlebensmodus“ verspüren die Leute das starke Gefühl, Geld sparen zu müssen. Dabei greifen sie auf Sonderangebote und Eigenmarken zurück und kaufen zudem große Mengen ein. Im Gegensatz dazu bevorzugen die Menschen im „Schöner-Leben-Modus“ hochpreisige bzw. Premiumprodukte, um sich etwas zu gönnen und sich etwas Gutes zu tun.

Welche Wellbeing-Produkte nehmen die Konsumenten bewusst ins Visier?
Bei der Selbststabilisierung in der Krise hilft nach den Erkenntnissen unserer Studie allen voran das Trostprodukt Eis. Es kühlt die Verbraucher nicht nur ab, sondern gibt ihnen gewissermaßen das Gefühl, Probleme „wegschmelzen“ zu können. Gleichzeitig schwingen beim Eisessen häufig schöne Kindheitserinnerungen mit, die den Verzehrmoment zusätzlich positiv aufladen. Stark gefragt sind aber auch Fix- bzw. Convenience-Produkte. Sie bieten ein schnelles, wohlschmeckendes Gericht mit Gelinggarantie, wodurch auch negative Alltagserfahrungen ein Stück weit kompensiert werden. Wir beobachten sogar eine Art „Faszination Brühwürfel“, d. h. die Menschen sind begeistert über die zauberhafte Verwandlung, die durch die Auflösung dieses kleinen quadratischen Produkts ausgelöst wird.

… und im Bereich Nonfood?
Hier ist insbesondere der Bereich Beauty und Pflege zu nennen, wobei es nicht mehr vorrangig um Schönheitsideale geht, sondern darum, sich ein dickes Fell anzucremen und sensible Problemzonen zu schützen. Es heißt nicht umsonst: „Krisen gehen unter die Haut.“ Eine ähnliche Aufgabe erfüllen Deodorants. Sie bilden eine Art Duftkokon, der Verwender wie Außenstehende gleichermaßen schützt.


Stephan Grünewald

Der Psychologe und Autor leitet das Rheingold Institut. Hier wechselt er sich mit David Bosshart, Martin Fassnacht und Florian Klaus ab. www.stephangruenewald.de

 

 

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