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Harte Zeiten - gute Ideen: Klimafairness bei Kaffeeproduzenten in Brasilien

Was wird aus dem beliebtesten Heißgetränk der Deutschen, dem Kaffee? Die Klimaveränderungen setzen den sensiblen Pflanzen zu, Studien prognostizieren dramatische Rückgänge in der Produktion. Die RUNDSCHAU war vor Ort: Im weltweit größten Arabica-Anbaugebiet in Brasilien zeigt sich, was Klimafairness bedeutet und wie sie realisiert werden kann.

Von Martina Kausch | Fotos: RUNDSCHAU/Martina Kausch

Reicht das, was wir tun? Weit kann man über die Hügel schauen hinter dem Haus aus Stein mit den Bretterverschlägen, die sich als Stall an das Haus anschließen und in denen ein paar Hühner und Schweine im Schatten auf der braunroten Erde herumlaufen. Die Besuchergruppe von der Kaffeeproduzenten-Kooperative Coomap und ihre Gäste aus Deutschland haben sich am Hang nahe dem Ort Paraguaçu im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais zwischen Gebüsch und Stall unter die Rizinusbäume gestellt, um die Mittagssonne zu meiden.


"Die Zukunft des Kaffees muss nachhaltig für den Planeten und fair für den Landwirt sein."

Paulo Ferreira, Caffee Commercial Manager, CLAC


Rafael Fonseca, Business Manager bei Coomap, spricht über die Kaffeeplantagen, die sich gefühlt endlos über die Hügel ziehen, über die häufiger werdenden Frosteinbrüche und Hagelschäden, über die Sorge der Bauern und die Gegenmaßnahmen, die sie ergreifen. Quellen beispielsweise, die sich unterhalb des Hangs befinden, würde man mit einem Zaun gegen Verunreinigung durch Tiere schützen. Dadurch sichere man die Wasserversorgung. Verstärkt bedeckten Bauern den Boden zwischen den jungen, kleinen Kaffeesträuchern mit Stroh, das reduziere die Verdunstung.

Man möchte den Besuchern zeigen, dass man aktiv ist und die Veränderungen im Blick hat. Martin Schüller von Fairtrade Deutschland gehört zur Besuchergruppe, kennt als Agraringenieur die wichtigen Fragen, hört genau hin und hakt vorsichtig nach: Wären nicht sehr viele Maßnahmen nötig, um eine positive Veränderung des Mikroklimas zu erreichen? Um den Kaffeeanbau weiterführen zu können? Rafael Fonseca versteht und reagiert nachdenklich. Und fragt dann laut, aber auch zweifelnd: „Reicht das, was wir tun?“ 

In einigen Jahrzehnten Totalausfall?

Wozu soll was reichen?  Studien haben die Kaffeebranche aufgeschreckt, eine ist besonders aktuell. Nach Angaben der Forschungsgruppe Geography of Food an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wächswil/ Schweiz könnten große Anbaugebiete in Brasilien durch Trockenheit, Bodenerosion und sinkende Fruchtbarkeit des Bodens für den Kaffeeanbau zunehmend ungeeignet sein. 

"Nicht vom Äquator wegrutschen“

Für diese Studie haben Forscher Anbaugebiete für Avocados, Kaffee und Cashews untersucht und in Testmodellen Auswirkungen der Klimaveränderung auf Pflanzen und Anbau beschrieben. Die größten Probleme wurden in verschiedenen Variationen nachgestellt: Bodenbeschaffenheiten, die Erosion begünstigen, ungünstig niedrige ph-Werte des Bodens, lange Trockenzeiten, niedrige Mindesttemperaturen und Jahresniederschläge.

Das Ergebnis: Durch den Klimawandel sind die Böden des größten Arabica-Produzenten Brasilien am meisten gefährdet. 97 Prozent der aktuellen Anbauflächen könnten bis 2050 für den Anbau tatsächlich ausfallen. Bei einem niedrigen Treibhausgasausstoß würde das größte Anbaugebiet der Welt in Brasilien den Berechnungen zufolge immer noch um 76 Prozent schrumpfen.

Steffen Schwarz, Kaffeeexperte und lange in der Forschung des Stuttgarter Botanischen Gartens Wilhelma tätig, bringt die Lage auf den Punkt: „Wir können mit dem Anbau nicht die Berge hochgehen oder vom Äquator wegrutschen“, sagt er. Denn die heute genutzten Kaffeepflanzen der Sorte Arabica sind nun einmal anspruchsvoll, was die Wachstumsbedingungen betrifft:

Durchschnittstemperaturen am Tag zwischen 20 und 26 Grad Celsius sind gut, die Nächte sollen kühl sein, aber nicht unter zehn Grad Celsius. Ideal ist Morgennebel, Niederschlagsmengen sollten sich bei 1.500 bis 2.000 Millimetern pro Jahr einpendeln, unter 1.000 Millimeter gibt es Schäden an der Pflanze. Kaffee ist die Diva unter den tropischen Nutzpflanzen.

Die Diva leidet, die Bauern hungern

Wer es mit der Diva zu tun hat, spürt die Veränderungen. Fairtrade Deutschland ist nahe am Leben der Produzenten, denn Kaffee ist das meistverkaufte Fairtrade-Produkt und Brasilien eben der weltweit größte Kaffeeproduzent. 2021 exportierte das Land rund 2,3 Millionen Tonnen Kaffee, der meiste kommt aus dem Bundesstaat Minas Gerais nordöstlich von São Paulo. In mehr als 600 der 853 Gemeinden in Minas Gerais wird Kaffee angebaut, er ist die Haupteinnahmequelle von Bevölkerung und Wirtschaft und bietet rund vier Millionen Arbeitsplätze.

Die Produktion wird weitestgehend von Kleinbauern getragen, die meisten bewirtschaften jeweils einige Hektar. Zur DNA von Fairtrade gehört seit der Gründung unter anderem, Kleinbauern und Arbeiter in Entwicklungs- und Schwellenländern menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, stabile Mindestpreise sowie Prämien zu zahlen. Doch seit diesem Jahr gibt es ein weiteres Leitprinzip: Agrarökologie fördern. Das bedeutet Ressourcen bewahren und den Anbau diversifizieren, um eine stärkere Resilienz der Kleinbauern in einer gesünderen Umgebung zu erreichen. 

Bei vielen Kaffeeproduzenten in Minas Gerais ist die Lage zunehmend angespannt. Wenn sich da die Wetterextreme häufen, sind bald Existenzen bedroht. Ein Kaffeebauer, Mitglied der Produzentenkooperative Coopervitae im Städtchen Nova Resende, bewirtschaftet 17 Hektar Land und zeigt auf ein Kaffeefeld, das er seit sechs Jahren nicht mehr abernten konnte: „Erst kam ein Jahr mit Hagel, dann kam der Frost, dann wieder der Hagel, dann die Dürre“, fasst er zusammen.

Vor Ort diskutiert Martin Schüller mit den Agrarökonomen der Kooperativen mögliche Strategien, um das Mikroklima zu verbessern: Schattenbäume zwischen die Kaffeesträucher pflanzen, Bauern durch Anbau von Früchten neue Einkommensmöglichkeiten erschließen. Agroforst ist das Stichwort. In der Agroforstwirtschaft werden Bäume und Landwirtschaft miteinander kombiniert, mit Vorteilen für Bauern, Natur und Klima, so die kurze Beschreibung des deutschen Bundesinformationszentrum Landwirtschaft.
 

Jung, gut ausgebildet, fair

Paulo Ferreira, Kaffeebauer in der dritten Generation, Redner beim „World Coffee Leaders Forum“, ist ein Vertreter der jüngeren, gut ausgebildeten Generation der brasilianischen Produzenten. Zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder bewirtschaftet er zwei Hektar – aber mit Bio- und Fairtrade-Kaffee. Er hat einen Abschluss in Kaffeetechnologie und begann in der Handelsabteilung einer Fairtrade- und Bio-Kooperative in Brasilien zu arbeiten. Mit einem Master-Abschluss in internationalem Handelsmanagement ist er seit Februar 2022 als Coffee Commercial Manager bei dem CLAC Fairtrade tätig.

CLAC (Coordinadora Latinoamericana de Comercio Justo), erklärt Claudia Brück, Vorstand Kommunikation und Politik bei Fairtrade Deutschland, „ist das traditionsreichste Fairtrade-Produzenten-Netzwerk und als Organisation zuständig für Kleinbauernkooperativen in Lateinamerika und der Karibik“. Hier arbeitet Paulo, und er hat eine klare Vorstellung: „Die Zukunft des Kaffees muss nachhaltig für den Planeten und fair für den Landwirt sein.“

„Die Zukunft der Kaffees muss nachhaltig für den Planeten, aber auch fair für die Landwirtinnen sein“, muss man die Aussage ergänzen. Auf der Erkundungsreise durch Fairtrade-Kaffeeplantagen in den brasilianischen Tropen wird klar: Nicht nur das Klima verändert sich, auch die Gesellschaft.
 

Erfolg ist weiblich: Café Feminino

Bei der Coopvitae in Nova Resende sind die Besucher aus Deutschland Mittagsgäste im Haus von Ana Cristina de Lima. Die 37-Jährige stammt aus einer Kaffeebauernfamilie und hat einen Kaffeebauern geheiratet. Sie spricht die traditionellen Strukturen an und die Schwierigkeiten, mit denen Frauen auf dem Land konfrontiert sind. „Ich bin Genossenschaftsmitglied und verkaufe Kaffee mit meinem Namen, um für die Rentenzeit dokumentieren zu können, dass ich gearbeitet habe. Wenn alle Unterlagen auf den Namen des Ehemanns lauten, ist es für uns schwierig nachzuweisen, dass wir auch Landwirte und Kaffeebauern sind.“

In der Stadt Poço Fundo in der Nähe organisiert sich seit 2006 eine Gruppe von Frauen, um Bio-Kaffee zu produzieren. 2013 gründeten sie ihre eigene Marke, Café Feminino. Rosangela de Souza Paiva berichtet, sie habe über Coopfarm einen Kredit für den Kauf von Setzlingen, Schulungen und technische Hilfe erhalten und so die Produktion erweitern können. Das Geld stammt aus den Prämien, die Fairtrade ausschüttet. 

Maria Regina Mendes ist Teil der Gruppe von 38 Bio-Kaffeeproduzentinnen. Sie weist darauf hin, dass das Projekt zum Wachstum und zur beruflichen Anerkennung sowie zu einem gesteigerten Selbstwertgefühl dieser Frauen beigetragen hat. Die 50-Jährige baut seit 31 Jahren Kaffee an und entschied sich vor sechs Jahren für den Bio-Anbau – ihr Sohn hatte sich bei der Arbeit auf einem Tabakfeld schwere Vergiftungen zugezogen. Ana Christina de Lima stimmt zu: „Es ist eine Freude zu sehen, dass mein Mann und ich arbeiten und nicht vergiftet werden. Meine Tochter kann auf den Feldern herumlaufen, auf denen kein Kontaminationsrisiko besteht."

Für Maria Regina geht es beim Bio-Anbau auch um Unabhängigkeit. „Angesichts des Klimawandels und der Marktschwankungen gilt: Je nachhaltiger wir innerhalb des Standorts sind, desto weniger werden wir unter externen Eingriffen leiden. Wenn Sie also selbst in der Lage sind, ein Blattbad, einen Kompost, herzustellen, haben Sie eine bessere Erntequalität, niedrigere Kosten, eine gewisse Unabhängigkeit“, erklärt sie den Besuchern. Auch Unabhängigkeit von multinationalen Chemie- und Saatgutproduzenten.

Prämie für die Klimafairness

Unter den Erkenntnissen der Reise in die Kaffeeplantagen von Minas Gerais ist eine besonders wichtig und beruhigend: Prämien aus dem fairen Handel kommen bei den Erzeugern an und leisten viel. Kindergärten, Schulen, landwirtschaftliche Investitionen und auch wissenschaftliche Forschung werden unterstützt. In der Gemeinde Boa Esperança sind aktuell die Arbeiten für ein Zentrum für Nachhaltigkeit im Kaffeeanbau in Kooperation mit der Federal University of Lavras UFLA/Fairtrade University in vollem Gang. Auf der landwirtschaftlichen Versuchsanlage werden verschiedene Kaffeesorten bei ihrem Verhalten gegenüber sich wandelnden Wetterbedingungen und Wassermangel beobachtet. Die Anlage wird zunächst drei Jahre lang komplett mit Geld aus den Fairtrade-Prämien finanziert.

Boa Esperança war 2017 die erste Fairtrade-Town in Südamerika, und der Bürgermeister Hideraldo Henrique Silva stellt sich als absolut überzeugter Fairtrade-Fan vor. Er habe an einer Businss School studiert, aber 2016 aus Überzeugung seine Karriere aufgegeben, um Bürgermeister zu werden. Seither fördere die Gemeinde Fairtrade-Betriebe finanziell, an den landwirtschaftlichen Schulen gebe es spezielle Unterrichtseinheiten für ökologischen Landbau, die für lange Wartelisten und landesweit für Aufsehen sorgten.

Zwischen 2015 und 2022 habe sich die Anbaufläche für Bio-Produktion verzehnfacht. Zwei Fairtrade-Kooperativen gebe es nun in der Stadt. „Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft arbeiten in einem Netzwerk zusammen, um den Menschen neue Perspektiven zu geben und die Landflucht zu beenden“, sagt er in temperamentvoller Rede bei der Präsentation der Kooperative vor den Gästen.
 

Fairtrade im deutschen LEH

Und wie stehen die deutschen Verbraucher zum Thema Fairtrade? In einer Umfrage, die Yougov exklusiv für die RUNDSCHAU durchführte, gaben insgesamt nur 27 Prozent der Befragten an, nie Fairtrade-Kaffeeprodukte zu kaufen. 65 Prozent kaufen solche Produkte häufig, am häufigsten Konsumenten zwischen 35 und 45 Jahren. 22 Prozent kaufen sie „sehr häufig“. Fragt man nach den Gründen, warum Konsumenten für Kaffeeprodukte mit Fairtrade-Label Geld ausgeben, spielen die Produktionsbedingungen eine große Rolle.

Der Kaufbegründung „Bei der Produktion von Fairtrade-Kaffeeprodukten wird sich für faire Arbeitsbedingungen für Kaffeebauern und gegen Kinderarbeit eingesetzt“ stimmten 69 Prozent zu. Dass die Fairtrade-Produkte zum großen Teil aus ökologischem Anbau stammen, ist für 44 Prozent ein Kaufargument. 35 Prozent stimmten der Aussage „Fairtrade-Kaffeeprodukte sind qualitativ hochwertig“ als Kaufmotivation zu. Und 35 Prozent der Befragten meinten, „Fairtrade-Kaffeeprodukte schmecken mir gut.“

Die RUNDSCHAU wollte von den Yougov-Befragten auch wissen, ob die aktuelle Inflationssituation Einfluss auf das Kaufverhalten hat. 33 Prozent sagten „Nein, hat keinen Einfluss, ich kaufe weiterhin Fairtrade-Kaffeeprodukte“, 32 Prozent antworteten mit „Ja, hat Einfluss, ich kaufe mittlerweile keine Fairtrade-Kaffeeprodukte mehr oder weniger davon.“ Die Umfrage fand Mitte August statt.

In den Regalen des deutschen LEH sind Fairtrade-Produkte unterschiedlich konsequent gelistet. Auf Nachfrage heißt es von Aldi, man führe über 170 Fairtrade-zertifizierte Produkte im Sortiment. Edeka gibt an, mehr als 1.300 Fairtrade-Markenartikel anzubieten, außerdem gebe es bei den Eigenmarken aktuell rund 90 Produkte mit dem Fairtrade-Siegel. Bei Tegut stehen Anfang August 2023 genau 241 Fairtrade-Artikel in den Regalen, bei Globus etwa 100 Artikel. Saisonal, also zu Ostern und Weihnachten, steige die Anzahl der Fairtrade-Produkte noch einmal um 50 Prozent an, lässt das Unternehmen wissen. Da stellt sie sich wieder, die Frage: Reicht das, was wir tun?

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