Artikel

Interview mit BVE-Chef Christoph Minhoff: „Der Markt regelt das ganz gut“

Die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen stellen deutsche Lebensmittelproduzenten vor enorme Herausforderungen. Worauf es nun ankommt, erläutert BVE-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff.

Von Mirko Jeschke | Fotos: Nils Krüger

Wie schätzen Sie die Situation für die deutschen Lebensmittelhersteller angesichts der multiplen, sich überlagernden Krisen aktuell ein?

Die gesamte Branche befindet sich im Grunde seit drei Jahren in einer Dauerkrise – und das Schlimmste dabei ist, dass zurzeit kein Ende in Sicht ist. Erst kam 2020 die Corona-Pandemie, als wir zunächst lange auf einen Impfstoff gewartet haben. Doch als dieser zur Verfügung stand, wurde nach kurzer Hoffnung zunehmend klar, dass dies nicht das Ende der Pandemie bedeuten würde. Der aktuelle Ukrainekrieg mit seinen weitreichenden Folgen, darunter zerstörte Lieferketten und die politisch erzeugte Energieknappheit, hat erneut enorme Unsicherheit für die Unternehmen zur Folge. Viele wissen nicht, ob sie von einer Gasmangellage betroffen sein werden, ob sie sich den Strom noch leisten und in der Folge überhaupt noch produzieren können. Viele haben die Produktion bereits gedrosselt. Dazu kommt eine ausufernde Inflation.

Man sieht außerdem, wie volatil Forderungen sogenannter Nichtregierungsorganisationen sind. Jahrelang hieß es dort, Lebensmittel seien zu billig.  Jetzt sind Lebensmittel teurer geworden und niemand will an die alte Forderung erinnert werden. Mir scheint generell, als ob manche jetzt erst realisieren, welche Leistung die Lebensmittelbranche eigentlich vollbringt und vollbracht hat – mit der Bereitstellung von bezahlbaren, aber gleichzeitig qualitativ hochwertigen Lebensmitteln. Meiner Meinung nach führen die Krisen aktuell dazu, dass viele dieser alten Narrative ins Wanken geraten oder sich gar in Luft auflösen.

Wie bewerten Sie die gestörten Lieferketten und was kann dagegen getan werden?

Eigentlich sind alle Marktteilnehmer von diesen Engpässen betroffen und alle fahren zurzeit auf Sicht. Wenn jetzt auch noch ein Konflikt mit China droht, wird es für die Exportnation Deutschland endgültig eng. Wir schauen genau hin, welche Auswirkungen eine sogenannte „wertebasierte Außenpolitik“ haben wird. Wie gesagt, das spricht sich leicht, die Folgen – siehe Preise bei Lebensmittel - zeigen sich dann erst später. Aus unserer Sicht kann man in der EU ein Lieferkettengesetz und eine Farm-to-Fork-Strategie in einer perfekten Welt angehen – aber in einer Kriegsrealität und weltweiten Krisenlage müssen hier Ziele und Geschwindigkeit angepasst werden.

Was meinen Sie damit?

Die Folge einer solchen Entscheidung wäre doch, dass man Märkte, die nicht nach unseren Maßstäben demokratisch legitimiert sind, defacto ausschließen müsste! Der Wirtschaft aufzubürden, wozu die internationale Politik und Diplomatie nicht fähig ist, halte ich für nicht zielführend. Es gibt eben – wie wir gerade in der Corona- und Ukraine-Krise gelernt haben – Kaskadeneffekte mit katastrophalen Rückwirkungen auf uns selbst. Das sollte die Politik berücksichtigen, wenn sie massiv in den Markt eingreift. Wer etwa Kunstdünger ökologisch-ideologisch ablehnt, darf sich nicht wundern, wenn dann das Nebenprodukt Kohlensäure wegfällt und damit Bier, Mineralwasser, oder AdBlue fehlt. Es wird einfach viel zu selten eine ernsthafte Folgenabschätzung vorgenommen. Die brauchen wir dringender denn je!

Die unsichere Energieversorgung ist mit Sicherheit das größte Problem. Inwieweit sind Unternehmen und damit Arbeitsplätze in Deutschland in Gefahr?

Dieser Prozess hat längst begonnen. In einigen Bereichen sehen wir bereits eine Abwanderung ins Ausland, weil dort bessere Bedingungen herrschen. Wir schätzen, dass derzeit bis zu 20 Prozent der insgesamt 6.500 Firmen der Branche an eine Verlagerung ihres Geschäfts ins Ausland denken. Das betrifft alle Bereiche. Es geht hierbei aber nicht nur um Lieferketten, Energieversorgung und Inflationssorgen, sondern auch um permanente nationale Alleingänge. Wenn seitens der Politik immer noch etwas oben drauf gesetzt wird, lässt sich das teilweise durch Effizienzsteigerungen ausgleichen, aber irgendwann geht das nicht mehr. Am Ende müssen Unternehmen zur Existenz auch Gewinne machen.

Auf welche Belastungen spielen Sie an und welche Maßnahmen braucht es jetzt?

Die Politik hat bereits viele Anregungen aufgegriffen, darunter auch unser gefordertes Belastungsmoratorium mit einer Gas- und einer Strompreisbremse. Aber am Ende kann sie den Markt nicht außer Kraft setzen. Wir brauchen vor allem keine neuen bürokratischen, ideologische Forderungen. So ist etwa der Zeitplan der europäischen Farm-to-Fork-Strategie extrem herausfordernd. Auch zusätzliche Label wie der Eco-Score sind derzeit nicht hilfreich. Die Unternehmen sind so nah dran am Verbraucher wie sonst niemand. Und sie wissen, was die Menschen jenseits von Propaganda wirklich wollen. Wenn wir die Themen Vielfalt, Produktoptimierung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz betrachten, hat die Branche aus unserer Sicht bereits große Schritte vollzogen. Der Markt regelt das eigentlich ganz gut.

Welche innovativen Maßnahmen beobachten Sie im Energiebereich?

Einige Unternehmen sind bereits sehr kreativ und setzen verstärkt auf Biogas, das heißt, sie nutzen nicht verwertbare Reststoffe für die Biogasgewinnung. Aber das ist natürlich nicht für alle eine Lösung, wobei die Lebensmittelbranche ohnehin mehr geleistet hat als andere Branchen. Sie ist enorm innovationsgetrieben, flexibel und wird sicherlich auch unter diesen schwierigen Bedingungen ungewöhnliche Lösungen finden. Dennoch werden es viele Unternehmen nicht schaffen, die Krise zu überleben. 

Wie belastend ist momentan der Personal- bzw. Fachkräftemangel?

Es sind ja nicht nur Fachkräfte, die der Branche fehlen. Auch die Bereiche Logistik und Gastronomie leiden unter dem abgewanderten Personal. Die Alterspyramide ist seit Jahrzehnten bekannt. Wenn die Babyboomer jetzt in Rente gehen, fällt ein riesiges Volumen an Fachkräften weg. Und Kinder, die in der Vergangenheit nicht geboren wurden, kann man auch nicht vollständig durch Zuwanderung oder Automatisierung ersetzen. Der Fachkräftemangel resultiert aus der Demografie, der Veränderung der Arbeitswelt und Lebenswelten einer jungen Generation.

Immer öfter ist die Rede vom Wohlstandsverzicht. Was könnte das für die Verbraucher bedeuten?

Ich weiß ehrlich gesagt nicht so genau, wo sich dieser sogenannte Wohlstandsverzicht konkret ausdrücken soll? Auf dem Konto, im Kühlschrank oder anderswo? Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschen gerne ihren Wohlstand behalten wollen! Auch bin ich davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bürger keine planwirtschaftliche oder paternalistische Politik wünschen. Einige zivilgesellschaftlichen Gruppen sind ja von ihrer antikapitalistischen, antiaufklärerischen Ideologie überzeugt! Der Staat muss und kann alles besser regeln, ist deren Glaubensbekenntnis. Das ist aber leider oder Gott-sei-Dank nicht der Fall – und historisch bewiesen. Mir ist auch zu viel Doppelmoral im Spiel: Verzicht predigen und Hedonismus leben! Das geht aber oftmals an der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in unserem Land vorbei. Wir müssen auf der Selbstbestimmung und der Mündigkeit der Konsumenten bestehen! Dazu gehört auch das Recht, sich auch mal „unvernünftig“ zu verhalten und sich etwas zu gönnen.

Wie kann der galoppierenden Inflation Einhalt geboten werden?

Das ist zunächst Aufgabe der Geldpolitik der EZB. Wir brauchen aber ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, das ist entscheidend zu Beruhigung der Weltwirtschaft. Ohne eine Entspannung in Europa werden wir im Wettbewerb der Kontinente und Systeme zu den Verlierern zählen. Es muss daher eine Befriedung geben. Die Zeit, die wir im internationalen Wettbewerb gerade verlieren – und seit Corona schon verloren haben – wird uns noch lange beschäftigen.

Was stimmt Sie trotz der Krisen positiv?

Unsere Unternehmen sind seit jeher immer weit vorne beim Erkennen und Lösen von Problemlagen. Auch wenn wir bei einigen Themen wie klimaneutrale Mobilität oder Digitalisierung etwa im künftigen Metaverse noch besser werden können oder müssen, setze ich auf die besonders kreative Lösungskompetenz der Branche und gehe davon aus, dass sie auch in dieser Krise nochmal Kraft für Innovationen schöpfen kann.

Artikel teilen

Gut informiert durch die Krise